# taz.de -- Friedensabkommen für die Ostukraine: Die durchwachte Nacht von Minsk
       
       > 16 Stunden lang verhandelten Merkel und Hollande mit Putin und
       > Poroschenko. Ob die Vereinbarung mehr als ihr Papier wert ist, wird sich
       > zeigen.
       
 (IMG) Bild: Vorher: Wladimir Putin, François Hollande, Angela Merkel und Petro Poroschenko.
       
       BERLIN taz | Aus dem großen gemeinsamen Auftritt im pompösen Palast der
       Unabhängigkeit in der weißrussischen Hauptstadt Minsk wurde nichts.
       Stattdessen traten die Präsidenten Frankreichs, Russlands und der Ukraine
       sowie die deutsche Bundeskanzlerin am Donnerstagmorgen getrennt vor die
       völlig übernächtigten Pressevertreter, um die Einigung auf ein zweites
       Friedensabkommen für die Ostukraine zu verkünden – nach 16 Stunden
       Verhandlungen.
       
       „Das war nicht einfach. Faktisch wurden uns alle möglichen Bedingungen
       gestellt. Aber wir haben uns auf keine Ultimaten eingelassen und auf
       unserer Position bestanden, dass es einen bedingungslosen Waffenstillstand
       geben muss“, sagte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko. Sein
       russischer Amtskollege Wladimir Putin, der noch blasser aussah als sonst,
       bemerkte, schon bessere Nächte verbracht zu haben, und hob hervor, dass man
       sich auf Verfassungsreformen in der Ukraine verständigt habe, „die die
       gesetzlichen Rechte der Menschen festschreiben, die im Donbass leben“.
       
       Doch Angela Merkel, die mit Frankreichs Präsidenten François Hollande in
       der vergangenen Woche bei Besuchen in Kiew, Moskau und Washington das
       Terrain für erneute Friedensverhandlungen bereitet hatte, trat auf die
       Bremse. Nein, ausgestanden sei die Krise noch nicht. Und: „Wir haben keine
       Illusion. Es ist noch sehr, sehr viel Arbeit notwendig“, sagte sie.
       
       Der Erfolgsmeldung war ein Verhandlungsmarathon vorausgegangen. Offenbar
       standen die Gespräche mehrfach auf der Kippe. Am Donnerstag in aller Frühe
       verkündete Poroschenko zunächst, es gebe noch keine guten Nachrichten aus
       Minsk, aber immerhin noch Hoffnung. Kurz darauf hieß es, die Separatisten
       weigerten sich. Die beiden Vertreter der prorussischen Kämpfer, Alexander
       Sachartschenko und Igor Plotnizki, setzten ihre Namen unter die
       Vereinbarung – genauso wie Heidi Tagliavini für die OSZE, Russlands
       Botschafter in der Ukraine, Michail Surabow, sowie der Expräsident der
       Ukraine, Leonid Kutschma.
       
       ## Waffenruhe und Rückzug
       
       Was beinhaltet das Dokument mit dem Titel „Maßnahmenkatalog zur Umsetzung
       der Minsker Vereinbarung“ konkret? Ab dem kommenden Sonntag um Mitternacht
       gilt in den Gebieten Donezk und Lugansk eine Waffenruhe. Dessen Einhaltung
       überwacht die OSZE, genauso wie den Rückzug der schweren Waffen aus dem
       Kampfgebiet. Dieser soll am Dienstag beginnen und innerhalb von 14 Tagen
       abgeschlossen sein.
       
       Beide Seiten, so sieht es die Vereinbarung vor, ziehen ihre schweren Waffen
       von der Front zurück, um eine „Sicherheitszone“ zu schaffen. Die
       Artilleriesysteme beider Seiten sollen dann 50 Kilometer voneinander
       entfernt stehen.
       
       Nach dem Abzug der Waffen soll, auf der Grundlage ukrainischer Gesetze, ein
       Dialog über die Art und Weise der Durchführung von Lokalwahlen in „gewissen
       Regionen“ des Lugansker und Donezker Gebiets sowie deren künftige
       Funktionsweise beginnen. Welche Regionen gemeint sind, definiert das
       ukrainische Parlament innerhalb von 30 Tagen.
       
       Bis zum Ende dieses Jahres soll eine Verfassungsreform verabschiedet
       werden, die den noch zu bestimmenden Regionen des Lugansker und Donezker
       Gebiets im Sinne einer Dezentralisierung Sonderrechte einräumt. Von einer
       Autonomie ist nicht die Rede.
       
       Einen Tag nach den noch nicht datierten Lokalwahlen ist schließlich
       vorgesehen, dass die Ukraine zusammen mit der OSZE wieder die
       russisch-ukrainische Grenze kontrollieren – ein Aufgabe, die bis Ende
       vollständig auf die Ukrainer übergehen soll.
       
       ## Amnestie für an den Kämpfen in Donbass Beteiligte
       
       Weiterhin sieht die Vereinbarung eine Amnestie für alle an den Kämpfen in
       Donbass Beteiligten vor. Zudem sollen alle ausländischen Militäreinheiten
       und Söldner – unter Beobachtung der OSZE – aus der Ukraine abgezogen
       werden. „Illegale Gruppen“ sind aufzulösen. Wer genau damit gemeint ist,
       wird nicht näher ausgeführt, was die Umsetzung dieses Punkts erschwert.
       Bekanntermaßen behauptet Moskau bis heute, dass keinen russischen Soldaten
       an den Kämpfen in der Ostukraine beteiligt sind und es sich allenfalls um
       ein paar versprengte Militärangehörige handele, die ihren Urlaub im
       Nachbarland verbrächten.
       
       Die Einigung vom Donnerstag fußt in wesentlichen Teilen auf dem Minsker
       Abkommen vom 5. September 2014. Anders als dieses ist die neue Vereinbarung
       von einer Erklärung der Präsidenten Russlands, Frankreichs und der Ukraine
       sowie der Bundeskanzlerin flankiert. Darin bekräftigen die vier Politiker,
       ihre „uneingeschränkte Achtung der Souveränität und der territorialen
       Unversehrtheit der Ukraine“. Um die Umsetzung des Maßnahmenpakets zu
       erleichtern, wollen alle ihren Einfluss auf die jeweiligen Parteien
       ausüben.
       
       Begleitet werden soll der Umsetzungsprozess durch die Schaffung eines
       „Aufsichtsmechanismus, der künftig in regelmäßigen Abständen zusammentreten
       wird, und zwar in der Regel auf der Ebene hoher Beamter des
       Außenministeriums“.
       
       Was die Achtung der Souveränität und der territorialen Unversehrtheit der
       Ukraine in der Realität wirklich wert ist, wird sich bald zeigen. Die
       jüngsten Bemühungen einer diplomatischen Lösung der Ukrainekrise waren das
       beherrschende Thema auf dem Gipfel der Europäischen Union, der am
       Donnerstag mit Verspätung in Brüssel begann. Die russische Aggression und
       die Kämpfe in der Ostukraine seien eine klare Bedrohung für den Frieden in
       Europa, sagte dort der Präsident des Europäischen Rats, Donald Tusk. „Ich
       heiße die Neuigkeiten aus Minsk willkommen, sie machen Hoffnung. Hoffnung
       ist gut, aber nicht genug. Nun muss die Waffenruhe vor Ort respektiert
       werden. Wir müssen wachsam bleiben.“
       
       Damit können alle Beteiligten sofort anfangen. Eile tut not: So sollen nach
       Angaben eines Militärsprechers in Kiew in der Nacht zum Donnerstag erneut
       schwere Waffen aus Russland im Osten der Ukraine eingetroffen sein. Rund 50
       Panzer und 40 Raketensysteme hätten die Grenze passiert.
       
       12 Feb 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Barbara Oertel
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Krise
 (DIR) Waffenruhe
 (DIR) Minsk
 (DIR) Russland
 (DIR) Ukraine
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Waffenruhe
 (DIR) Streitfrage
 (DIR) Russland
 (DIR) Schwerpunkt Angela Merkel
 (DIR) Francois Hollande
 (DIR) Ostukraine
 (DIR) Wladimir Putin
 (DIR) Russland
 (DIR) Russland
 (DIR) Barack Obama
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Konflikt in Ostukraine: Feuerpause, aber kein Frieden
       
       Es ruhig geworden im Osten der Ukraine. Die Menschen trauen sich wieder auf
       die Straße. Doch die Waffenruhe ist brüchig.
       
 (DIR) Die Streitfrage: „Es muss Hoffnung geben“
       
       Am Sonntag sollen in der Ukraine die Kämpfe aufhören – so wurde es in Minsk
       vereinbart. Aber ist damit die Gefahr eines Krieges gebannt?
       
 (DIR) Debatte Minsk-Abkommen: Alles ist offen
       
       Die zweite Vereinbarung von Minsk ist ein positives Zeichen, doch zu
       wolkig, um den Krieg zu beenden. Flankierende Maßnahmen sind nötig.
       
 (DIR) Zweifel nach Ukraine-Gipfel: Putin, lass Taten sprechen!
       
       Nach dem Treffen der Staats- und Regierungschefs in Minsk bleiben die
       Russland-Sanktionen vorerst bestehen. Erst sollen die Separatisten die
       Waffenruhe einhalten.
       
 (DIR) Kommentar Ukraine-Gipfel: Der Minsker Kompromiss
       
       Von allen Seiten muss mit dem Scheitern des Minsker Kompromisses gerechnet
       werden. Aber man sollte trotzdem optimistisch bleiben.
       
 (DIR) Nach dem Ukraine-Gipfel: Ruhe ohne Frieden
       
       Seit dem Bekanntwerden des Minsker Abkommens ist in Teilen der umkämpften
       Region Ruhe eingekehrt. Doch die Menschen sind skeptisch.
       
 (DIR) Norbert Röttgen über Minsk II: „Putin hat keine Vision für sein Land“
       
       Der Westen läuft den Krisen hinterher. Der Vorsitzende des Auswärtigen
       Ausschusses des Bundestages wünscht sich eine vorausschauendere Politik.
       
 (DIR) Ukraine-Gipfel: Minsk-II-Abkommen vereinbart
       
       Nach langen Verhandlungen ist in Minsk eine Einigung erzielt worden.
       Beschlossen wurde unter anderem eine baldige Waffenruhe in der Ostukraine.
       
 (DIR) Konflikt in der Ukraine: Die Waffen ruhen nicht
       
       Vor dem geplanten Friedensgipfel ist es im Osten des Landes zu heftigen
       Gefechten gekommen. Das Hauptziel der Verhandlungen ist ein
       Waffenstillstand.
       
 (DIR) Krisengespräch zur Ukraine in Minsk: Stoisch für die Diplomatie
       
       Geduld als Pflicht für Politiker: Angela Merkel setzt weiter auf eine
       nicht-militärische Lösung in der Ukraine-Frage. In Minsk wird es um drei
       Punkte gehen.