# taz.de -- Liebesbriefarchiv in Koblenz: Mein Süßtönender, mein Spatzerl
       
       > Eva Wyss hütet das Liebesbriefarchiv in Koblenz. Weder Telefon noch
       > Internet konnten den Herzensbotschaften den Garaus machen. Im Gegenteil.
       
 (IMG) Bild: Wo fängt ein Liebesbrief an, wo hört er auf?
       
       KOBLENZ taz | Die Liebe ist gut versteckt. Die Liebe lagert in großen
       grauen Aktenschränken zwischen meterhohen Bücherregalen. Die Liebe ist
       nummeriert, transkribiert, archiviert. Abgelegt in herzensroten Schubern
       finden sich seitenweise heiße Schwüre, Schwärmereien, freundschaftliche
       Zuneigungsbekundungen. Fast 9.000 Liebesbriefe ruhen fern von den für sie
       bestimmten Empfängern im Liebesbriefarchiv der Koblenzer
       Universitätsbibliothek, dem einzigen deutschlandweit.
       
       Die Hüterin dieses Romantikpools ist eine Frau, Typ Schneewittchen: helle
       Haut, langes braunes Haar, die Lippen rot von Lippenstift. Professorin Eva
       Wyss studiert Liebesbotschaften aller Art, wie diese, die sich hinter
       Dokument 3712 verbirgt:
       
       Teufelchen, mein liebstes Mädel. Hast mich armen Bub gefangen. Hältst mein
       Herz in Deinen Händen. Wie in eisenharten Zangen. 
       
       ## 17 verschiedene Verehrer
       
       Mit diesen Zeilen bekundete ein Max einer Elisabeth, genannt Lisel, 1926
       seine Zuneigung. Wie sich herausstellte, war er nicht der Einzige, der dem
       Charme der jungen Schneiderin aus Zürich erlag. Briefe von 17 verschiedenen
       Verehrern erhielt sie von 1924 bis 1940, mal voll überschwänglicher
       Gefühle, mal in leicht vorwurfsvollem Ton gehalten, wie der, den Carlo Ende
       Juli 1929 an seine Lisel schrieb:
       
       Soeben erhielt ich Ihre lb. Zeilen, so wie Ihren freundlichen
       Geburtstagsgruss der mir trotz etwelchen Verspätung grosse Freude bereitet
       hat. Meine Geburt wird im allgemeinen am 20. Juli gefeiert und wie ich
       natürlich gewusst ja nur gehofft hätte, Sie würden auch noch an mich
       denken, so hätte ich ihn eben um einige Tage verschoben. 
       
       Und während er noch auf Angabe einer Telephonstation, wo man sie erreichen
       könnte, hofft, buhlt Ende des Jahres schon Edgar um das Herz der
       Schneiderin:
       
       Ich sehne mich nach Dir, will Dich sehen, dann möchte ich mit Niemand
       tauschen, will nur für Dich sein all meine Liebe nur Dir schenken, keiner
       kann mich mehr von Dir abbringen. Du bist meine Königin ich kann nur für
       Dich leben. 
       
       ## E-Mails, Briefe, SMS, Zettelchen
       
       Liebesbriefe beschäftigen Eva Wyss seit 1997, damals war sie
       wissenschaftliche Assistentin an der Universität Zürich. Sie faszinierte
       diese kaum erforschte Art der Kommunikation zwischen zwei Liebenden, die an
       keiner Schule, an keiner Universität gelehrt wird. Auf eine Zeitungsannonce
       hin fluteten in kurzer Zeit zweieinhalbtausend Schriftstücke ihren
       Briefkasten, der Grundstock des heutigen Archivs. Darunter Feldpost aus dem
       Krieg, kunstvoll mit Zeichnungen ausgeschmückte Liebesversprechen und eng
       beschriebene Zeilen in verschnörkelter Schrift, die beim Versuch des
       Entzifferns manchem Mitarbeiter Kopfzerbrechen bereiteten.
       
       Längst besteht die Sammlung nicht mehr nur aus handgeschriebenen Zeilen.
       Die Sprachwissenschaftlerin sammelt, was sie bekommen kann, darunter auch
       leidenschaftliche E-Mails, hastig getippte Liebesschwüre via SMS oder
       Zettelchen, die Schüler heimlich unter der Nase des Lehrers an den
       Pausenschwarm weiterreichten.
       
       Meist sind es Männer, die zu Feder, Handy oder Laptop greifen, um den
       Schatz mit Worten zu umwerben.
       
       Ein Zufall? „Liebesbriefe sind eine männliche Textsorte“, sagt Eva Wyss.
       „Hier kann der Mann authentisch seine Leidenschaft zum Ausdruck bringen.“
       Aber wo fängt ein Liebesbrief an, wo hört er auf?
       
       ## Liebesbriefe waren pragmatischer Natur
       
       Du bist: meine zuflucht, mein zu hause, mein tor zur welt, mein rhythmus,
       meine tränen, mein lachen, mein ein und alles. 
       
       Der Inhalt einer SMS, verschickt am 13. Februar 2002. Ist diese Art, Poesie
       weiterzugeben, weniger wert als von Hand geschriebene Verse? Eine
       Definition zu finden fällt selbst der Expertin schwer. „Der Liebesbrief
       enthält traditionell eine Liebeserklärung oder Gefühlsdarlegung“, sagt Eva
       Wyss. Das lässt viel Spielraum. Die Form veränderte sich im Laufe der Zeit.
       
       Im 19. Jahrhundert gehörte es zum guten Ton, seiner Verlobten regelmäßig zu
       schreiben. Aus gutem Grund. Oft kannten sich die künftigen Brautleute kaum,
       die Eltern hatten die Ehe arrangiert. Die Briefe dienten weniger der
       Romantik als vielmehr dem Kennenlernen, der Inhalt war daher meist
       pragmatischer Natur. Erst im 20. Jahrhundert wurden die Schriftstücke
       schwärmerischer – aber auch konfliktgeladener. Beziehungsprobleme waren
       spätestens seit den 1960er Jahren kein Tabu mehr und wurden thematisiert.
       Paare blieben nicht mehr per se auf Lebenszeit zusammen.
       
       Ausgerechnet die Verbreitung des Telefons hätte die Tradition des
       Liebesbriefeschreibens dann beinahe verdrängt. Warum sollten Verliebte
       seitenlang ihr Gefühlsleben wälzen, wenn sie nur kurz zum Hörer greifen
       mussten, um dem Partner ein „Ich liebe dich“ ins Ohr zu hauchen? Unvermutet
       kam dann die Trendwende – von digitaler Seite. „Die E-Mail hat die
       Liebesbriefe wieder zum Leben erweckt“, sagt Eva Wyss. Plötzlich hätten die
       Menschen erneut Spaß am Schreiben gefunden.
       
       ## Kosenamen sind beliebt
       
       Kennst du denn überhaupt herzrasen und leerschluck symthome?? wenn du in
       der ritterszeit gelebt hättest, wärest du mein treuer beschützer und diener
       gewesen??? so richtig untergeben???, 
       
       fragt Angel ihren Romeo in einer E-Mail vom 17. August 1999. Der Vorteil
       liegt auf der Hand: Während die Liebsten bisher tagelang auf die Antwort
       des anderen warten mussten, können sie sich nun mehrmals am Tag Botschaften
       zukommen lassen. E-Mails sind in ihrem Wesen Briefen nicht unähnlich.
       Anders ordnet Eva Wyss SMS und WhatsApp-Nachrichten ein, die meist eher an
       einen Dialog erinnern. Statt die Nummer des Schwarms zu wählen, wird
       einfach gleich die Nachricht in die Tasten gehauen.
       
       Ein Phänomen findet sich in allen Formen der Kommunikation: Paare geben
       sich gegenseitig Kosenamen. Besonders beliebt sind Anleihen aus dem
       Tierreich. Da ist von einer Schmusekatze die Rede, vom Murmeltierchen,
       Spatzerl, Maulwurf oder einer verküssten Leopardendame. Der
       Erfindungsreichtum scheint keine Grenzen zu kennen. Man liest Zeilen, die
       gerichtet sind an Muckelchen, Götterfunken, Sonnenzähler oder an mein
       Freizeitvergnügen. 
       
       „Die Paare sind sehr kreativ, wenn es um solche Wortschöpfungen geht“, sagt
       Eva Wyss. Als sie nachfragte, was es mit dem Kosewort „Löffelchen“ auf sich
       habe, erklärte das betreffende Pärchen, dass es immer in Löffelchenstellung
       schlafe, daher der Name.
       
       ## Eine eigene Sprache in Beziehungen
       
       An einem berühmten Vorbild mangelt es ebenfalls nicht. Hinter Archivnummer
       4499 findet sich der älteste Brief der Sammlung aus dem Jahr 1811.
       Henriette Vogel schreibt an Heinrich von Kleist:
       
       Mein Heinrich, mein Süßtönender, mein Hyazinthenbeet, mein Wonnemeer, mein
       Morgen- und Abendrot, meine Äolsharfe, mein Tau, mein Friedensbogen … Über
       80 Kosenamen findet sie für ihren Lyriker-Freund. Mehr Inhalt braucht es
       nicht. Nach Kosewort Nr. 81 und 82 mein Lehrer, mein Schüler endet der
       Brief mit den Worten:
       
       Wie über alles Gedachte und zu Erdenkende lieb ich dich. Meine Seele sollst
       du haben. 
       
       Zwölf Tage nach diesen Zeilen nahmen sie sich gemeinsam das Leben.
       
       „In Beziehungen bilden sich Codes heraus“, erklärt die Professorin. Das
       können Kosenamen sein, aber auch eine eigene Sprache. Selbst gestandene
       Erwachsene verfallen mitunter in ein regelrechtes Babykauderwelsch. Da
       heißt es beispielsweise in einer SMS von 2006:
       
       Bubu! Freu mich! liebe du 
       
       Wer noch schnell einen Valentinsgruß an den Liebsten senden möchte, dem
       braucht die Wahl des richtigen Mediums übrigens kein Kopfzerbrechen zu
       bereiten. „Es kommt gar nicht darauf an, wie, sondern was kommuniziert
       wird“, weiß Eva Wyss. Eine SMS könne genauso viel Freude auslösen wie eine
       E-Mail oder eben ein Brief. Die Liebesbriefforscherin empfiehlt, vor allem
       authentisch zu sein. Allerdings räumt sie ein: „In Umfragen wünschen sich
       dann doch alle einen handschriftlichen Brief, in Schönschrift verfasst und
       ohne Orthografiefehler.“
       
       15 Feb 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christine Luz
       
       ## TAGS
       
 (DIR) E-Mail
 (DIR) Valentinstag
 (DIR) Roman
 (DIR) Schwerpunkt AfD
 (DIR) Wolfgang Schäuble
       
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