# taz.de -- Verbot für Brechts Stück „Baal“: In Grabesruhe
       
       > Suhrkamp und Brecht-Erben gewinnen: Die Castorf-Inszenierung von Bertolt
       > Brechts „Baal“ darf nur noch zweimal aufgeführt werden.
       
 (IMG) Bild: Nur noch einmal darf Frank Castorfs Inszenierung von „Baal“ am Münchner Residenztheater laufen.
       
       Das Spiel ist aus. Nur noch zweimal darf Frank Castorfs Inszenierung von
       „Baal“ gespielt werden, einmal am Münchner Residenztheater, einmal auf dem
       Berliner Theatertreffen. Alle anderen Vorstellungen müssen abgesagt werden.
       Die Brecht-Erben haben sich mit dem vor der Landgericht München
       geschlossenen Vergleich am Donnerstag weitgehend durchgesetzt.
       
       Bereits unmittelbar nach der Premiere am 15. Januar hatte der
       Suhrkamp-Verlag auf eine Absetzung des Abends geklagt mit der Begründung,
       es handele es sich um eine nicht autorisierte Bearbeitung des Stücks.
       Umfänglich würden Fremdtexte verwendet, die Werkeinheit aufgelöst – nicht
       überraschend bei einer Inszenierung von Frank Castorf.
       
       Es ging in diesem Prozess gar nicht um Brecht. Es ging um
       Grundsätzlicheres. Es ging um Begriffe wie Werktreue, Texteinheit und die
       alte Frage, was ein Regisseur mit einem Text auf der Bühne anfangen darf.
       Ist er den lebenden oder toten Autoren als höchste, über allem stehenden
       Instanz verpflichtet? Oder ist der Text nur ein Anlass für einen eigenen
       Zugriff, ein persönliches Anliegen, das ihn dazu verführen kann, Aspekte
       stärker zu gewichten, anderes zu vernachlässigen, hinzuzuerfinden,
       umzustellen und zu streichen – und so eine ganz eigene Auseinandersetzung
       auf die Bühne zu bringen. Der Autor steuert als Ausgangspunkt dieser Reise
       lediglich seinen Text bei.
       
       Es lassen sich für beide Positionen mannigfaltige Argumente finden.
       Natürlich ist es sinnvoll, wenn ein Regisseur einen Shakespeare erst mal
       dramaturgisch durchdringt, bevor er ihn umbaut. Aber wir lieben eben auch
       gerade die ausfallenden, persönlichen Interpretationen von großen Werken
       der Weltliteratur. Die Dostojewskis und Tolstois von Hartmann und Castorf
       zum Beispiel. Die Frage, wann denn ein Regisseur zu weit gegangen sei, ist
       genauso alt wie das deutsche Regietheater.
       
       ## Absurdes Verhalten
       
       Nur im Falle Brecht lässt sie sich so eindeutig beantworten, dass das
       Verhalten des Suhrkamp-Verlags und der Brecht-Erben gänzlich absurd
       erscheint. Brecht hätte an diesen Geschehnissen wahrscheinlich seine helle
       Freude gehabt. Denn für ihn war der Fall zu seinen Lebzeiten so klar, wie
       er klarer nicht hätte sein können. Der Mann erklärte das Klauen zum
       Programm, jeglichen Text zu Material und die Bearbeitung desselben auf der
       Bühne zur eigenen, neuen Kunstform.
       
       So schnappte er sich John Gays „The Beggar’s Opera“, verwandelte sie mit
       neuen Texten (und Koautorin Elisabeth Hauptmann) in „Die Dreigroschenoper“,
       brachte sie mit Musik von Kurt Weill auf die Bühne. Wenn damals
       irgendwelche Erben aus Großbritannien geklagt hätten, Brecht hätte sich im
       Turmzimmer des Berliner Ensembles totgelacht. Eben dort, wo Claus Peymann
       seit fast zwanzig Jahren ein überkommenes Autorentheater predigt, mit dem
       die Brecht-Erben offenbar keine Probleme haben.
       
       Es zählt zur postumen Ironie von Brechts Leben, dass der große Zertrümmerer
       des Klassikertheaters schlussendlich selbst zum Klassiker geworden ist.
       Postum werden Brechts Ideen in Stein gemeißelt, wofür sie der Autor nie
       vorgesehen hatte.
       
       ## Satire auf das Urheberrrecht
       
       Das Erbe von Bertolt Brecht, es wird so ausgerechnet von seinen Erben
       verschleudert, die dabei noch nicht einmal besonders konsequent agieren.
       „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“, mag man sich gedacht haben,
       als man mit dem Münchner Residenztheater einen Vertrag über eine
       Inszenierung des „Baal“ in der Regie von Frank Castorf abschloss. Man
       erlaubte mit vollem Wissen einem Regisseur die Inszenierung, dessen
       Arbeitsweise und Textbegriff dem Brechts erstaunlich ähnlich ist und bei
       dem sich jeder Gedanke an einen Werktreuebegriff alter Schule schon von
       vornherein verbietet.
       
       Jetzt anzukommen und nach den bezahlten Premierentantiemen eine Absetzung
       vor Gericht zu betreiben, wirkt fast wie eine schillernde Satire auf das
       Urheberrecht. Man fragt sich die ganze Zeit, wann denn nun der Vorhang
       fällt, doch der fällt nicht. Denn die Erben haben am Donnerstag nicht nur
       bewiesen, dass sie ihren Brecht ganz für sich allein haben wollen – sondern
       auch, dass sie seine Leiche exakt in dem Zustand konservieren wollen, wie
       er vor fast sechzig Jahren gestorben ist. In einer Grabesruhe, die gerade
       diesem Dichter nicht würdig ist.
       
       19 Feb 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Alexander Kohlmann
       
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