# taz.de -- Cornelia Funke auf Lesetour: Der goldene Schmarrn
       
       > Die Autorin ist ein Phänomen. Jetzt liest sie aus ihrem „Goldenen Garn“
       > vor. Leider zeichnet sich das Buch durch enttäschende Homogenität aus.
       
 (IMG) Bild: Würde das Publikum auch begeistern, wenn sie Beipackzettel vorliest: Cornelia Funke.
       
       BREMEN taz | Hingehen? Aber selbstverständlich sollte man da hingehen, wenn
       man die Gelegenheit bekommt und Karten ergattert. Cornelia Funke ist ein
       Phänomen, das sich längst nicht mehr mit den Mitteln der Literaturkritik
       fassen lässt – und dessen Langzeitwirkung, schließlich wird sie vor allem
       als Kinder- und Jugendbuchautorin wahrgenommen, uns noch bevorsteht: Wie
       tief prägen doch die ersten Lektüren!
       
       Wenn also Funke am 5. März in der Bremer Glocke ihre insgesamt nur
       viertägige Deutschland-Tournee startet, und tags darauf in Hamburg im
       Schauspielhaus gastiert, dem größten deutschen Sprechtheater – die 1.200
       Plätze werden ausverkauft sein –, dann ist jeder dieser Auftritte ein
       bedeutendes kulturelles Ereignis. Nein, das sollte man nicht verpassen.
       
       Seine Erlebnis-Qualität hängt dabei kaum mit der literarischen Qualität des
       neuen Romans aus der Reckless-Reihe zusammen. Klar, „Das Goldene Garn“ ist
       vor zehn Tagen herausgekommen, das ist der Anlass des Auftritts. Und klar
       liest Funke aus diesem Band vor.
       
       Vermutlich wird sie, wie bei der Tour zum ersten Band der Reihe wieder im
       adäquat-beflügelten Feenkostüm, begleitet von Trailer-Musik auf eine
       neobarock gestaltete Bühne schreiten. Aber: Jede Wette, sie könnte von dort
       auch das Publikum in Bann schlagen, indem sie leicht raunend Beipackzettel
       rezitiert.
       
       ## Piraten-Bilderbuch und anarchische Advents-Erzählung
       
       Und das zurecht: Funke hat ja längst geliefert. Sie ist längst eine Art
       globale Marke. Ihre Romane sind in 40 Sprachen übersetzt. Und während die
       auf einem ähnlich hohen Verkaufszahlenlevel im Kinder- und
       Jugendbuchsegment rangierenden Philipp Pullman, Joanne K. Rowling oder gar
       die schmalzige Stephenie Bloß-kein-Sex-vor-der-Ehe-Meyer Eintagsfliegen zu
       bleiben scheinen, hat Funke ein extrem vielgestaltiges veritables Oeuvre
       vorgelegt.
       
       Es reicht vom witzigen Piraten-Bilderbuch über die rührend anarchische
       Advents-Erzählung mit dem vom Himmel gefallenen Weihnachtsmann Niklas
       Julebukk bis zur grandiosen Mädchen-Gang-Reihe, und klar: weit darüber
       hinaus.
       
       Sobald sie etwas neues veröffentlicht, sorgt das für Bewegung auf den
       Bestsellerlisten, auch wenn ihre Romane die Zielgruppenfixierung längst
       abgelegt haben. Die Reckless-Bände sind zwar jugendfrei, und verhandeln
       Mythen und Märchenmotive, wenden sich aber ganz sicher nicht an Kinder.
       
       So tendiert auch „Das Goldene Garn“ deutlich Richtung Dark-Fantasy. Leider
       weist es dabei einige der verbreitetsten Mängel des Subgenres auf: Da ist
       einmal das weitgehende Fehlen von Komik oder gar Selbstironie.
       
       Das geht einher und wird bedingt durchs Vorherrschen eines
       bedeutungsschwanger raunenden Tons, der durch in drei Punkten
       auströpfelnden Phrasen artikuliert, im Modus unbeantworteter Fragen und
       zahlreicher Ein-Satz-Absätze: „Warum war Kami’en nach Osten gereist?“,
       Absatz. „Nicht wegen ihr“, Punkt, Absatz. „Nein“, Punkt, Absatz.
       
       ## Erzählen von der Anderswelt
       
       Und schließlich neigt dieses Erzählen von einer Anderswelt dazu, sich in
       überraschend reaktionären Plattitüden zu kristallisieren. Einige tun beim
       Lesen richtig weh: „Eine Frau ist immer auf der Seite der Liebe,
       Fuchsschwester“, so verabschiedet sich die Zwergin Ludmilla, eine rein
       affirmativ gezeichnete Figur, „die Männer sind auf der Seite der Macht“.
       
       Gnome sind schon bei Paracelsus für die Verkündung goldener Weisheiten
       zuständig. Manche behaupten, das täten die geizigen Scheißkerle, um die
       echten Schätze für sich behalten zu können.
       
       Vielleicht lässt sich solcher Schmarrn, wohltimbriert vorgetragen, besser
       aushalten. Wen der übrige Text literarisch und erzählerisch überzeugt, der
       stört sich wohl weniger an solchen Sentenzen.
       
       Die Brüder Jacob und Will Reckless bewegen sich getrennt voneinander und
       hintereinander her durchs Märchenland gen Osten – der eine mit einer
       Armbrust im Täuschsack, die auch Unsterbliche töten kann, plant im Auftrag
       des Elfenkönigs Oberon die dunkle Fee zu töten.
       
       Der andere, Jacob, ist Oberon auch noch was schuldig und jagt Will
       hinterher, wobei ihn seine Freundin Celeste alias Fuchs – sie kann sich in
       das Tier verwandeln – begleitet: Das goldene Garn ist die Liebe, die sie
       verbindet.
       
       Eher en passant und ohne es zu ahnen rettet Jacob dabei den eigenen Vater,
       John, der schon in deren Kindheit die Brüder im Stich gelassen hatte, um
       sich in der Anderswelt als Kriegswaffen-Erfinder mit dem Wissen des 20.
       Jahrhunderts einen Namen und durch Seitenwechsel viele Feinde zu machen.
       Derzeit steht er im Solde Albions, zuvor aber hat er den Goyl gedient.
       
       Goyl sind eine Art kampfstarker, steinhäutiger Untermenschen. Sie wirken
       eher bösartig und leben ausweislich der – auch von Funke gezeichneten –
       Fantasie-Landkarte des Buchs dort, wo in der Wirklichkeit Polen liegt: Da
       hätte man sich vielleicht von einer deutschen Autorin etwas mehr Feingefühl
       beim Fabulieren wünschen dürfen.
       
       An anderer Stelle steht das sich selbst im Wege: Denn während das Personen-
       und Motiv-Inventar groß und heterogen ist – neben dem Fundus orientalischer
       und russischer Märchen fallen Astrid-Lindgren-Reminiszenzen auf –, gewinnen
       sie über ihre Nennung kaum Profil.
       
       ## Alle sprechen die selbe Sprache
       
       Das liegt daran, dass sich die Sprache des Buchs durch eine enttäuschende
       Homogenität auszeichnet: Innerer Monolog und erlebte Rede sind die
       bevorzugten Erzählweisen, dann und wann ein wenig Dialog – und doch: Ob
       Fuchs, ob Zwerg, ob Goyl, ob Mensch, bis auf den Frankokanadier, der auf
       Québecois flucht, sprechen alle dieselbe Sprache.
       
       Das Kollabieren der Differenz, das Allzusammenklingen im einen Wort ist
       zweifellos eine Vorstellung romantischer Sprachmagie: Es ist eine
       erwünscht-bedrohliche Chiffre fürs Ende der Welt, fürs Verstummen des
       ewigen Dialogs – für den Tod der Erzählung. In ein Denken überführt, das
       sich nicht aus Jenseitshoffnungen speist, bedeutet das: Dieses Buch ist
       eine Leiche.
       
       27 Feb 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Benno Schirrmeister
       
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