# taz.de -- Doku über Pianistennachwuchs: Imagepolitur für die Klassik
       
       > Im Dokumentarfilm „Jung + Piano“ begleitet Oliver Gieth die Teilnehmer am
       > „Tonali“-Wettbewerb für Klavier-Nachwuchs – koproduziert von den
       > Ausrichtern.
       
 (IMG) Bild: Wo angestrengtes Üben war, soll strahlendes Siegerlächeln werden: Elisabeth Brauß, "Tonali"-Gewinnerin 2013.
       
       HAMBURG taz | Die Hamburger Elbphilharmonie gilt den einen als
       Paradebeispiel für Misswirtschaft und verschwendete Steuergelder. Aber das
       im Bau befindliche Konzerthaus lässt sich auch als Symbol für Modernität
       und Aufbruch sehen. So präsentiert sie Regisseur Oliver Gieth in den ersten
       Einstellungen seiner Dokumentation: als Gipfel einer Hamburger Skyline. Wie
       ehrfürchtig nähert sich die Kamera in einer langen Fahrt dem Gebäude, ehe
       sich dann der Filmtitel „Jung + Piano“ computeranimiert auf ihrer Fassade
       ausrollt.
       
       Drinnen werden dann Fotoaufnahmen gefilmt: ein Model ruht, eine Violine in
       der Hand, in einer Hängematte in einem noch im Bau befindlichen Innenraum.
       Was einmal das Plakat für den Musikerwettbewerb „Tonali“ 2014 werden soll,
       wirkt, als wartete das Dornröschen der klassischen Musik darauf, an diesem
       Ort wach geküsst zu werden.
       
       ## Zukunftssicherung für die Klassik
       
       Und so ganz anders ist der Anspruch der Initiatoren des Projekts, Boris
       Matchin und Amadeus Templeton, nicht. Beide sind Cellisten in Hamburg und
       suchten mit „Tonali“ ein ganzheitliches Konzept zu entwickeln, um ein
       junges Publikum an die klassische Musik heranzuführen. Den ganzheitlichen
       Anspruch des Projekts untermauert, dass beide auch als Koproduzenten dieses
       Dokumentarfilms firmieren; nach „Grand Prix der Geiger“ (2010/11) und „Ciao
       Cello“ (2013) bereits die dritte Dokumentation über einen der jährlichen
       Tonali-Wettbewerbe.
       
       Entsprechend viel Zeit wird darauf verwendet, den Daseinsgrund dieser
       Initiative zu erklären. Der Kulturwissenschaftler Martin Tröndle spricht
       vom Phänomen „Silbersee“, als den klassische Musiker von der Bühne aus ihr
       Publikum sehen – und der Film liefert die passenden Bilder von ergrauten
       Bildungsbürgern in der Hamburger Laeiszhalle. Tröndle stellt ein
       „Überaltern des Konzertlebens“ fest und sieht – in einer etwas
       befremdlichen Formulierung – das „biologische Ableben“ heutiger
       Konzertbesucher als eine Bedrohung der klassischen Musikkultur.
       
       Es ist also durchaus auch gesunder Egoismus professioneller klassischer
       Musiker, aus dem heraus Matchin und Templeton gegen den Lauf der Dinge
       anzusteuern versuchen. Dabei ist ihnen durchaus bewusst, dass es gerade
       nicht zu wenig Nachwuchsmusizierende gibt, sondern zu wenig junges
       Publikum. Da macht ein Wettbewerb für junge Musiktalente die Situation
       eigentlich noch schlimmer, indem er langfristig für mehr arbeitslose oder
       schlecht bezahlte Musiker sorgt.
       
       Indes ist bei Tonali die Vermittlung der Musik mindestens so wichtig wie
       der Wettbewerb selbst. Im Film ist zu sehen, wie Wettbewerbsteilnehmer in
       Hamburger Schulen spielen. Dort schreiben sie dann Autogramme für die neuen
       jungen Fans, die sich um ihre Tische drängen. Um Alternativen zum
       konventionellen Konzert zu eröffnen, gehen sie auch in ein Krankenhaus und
       spielen für die Patienten. Auf Workshops lernen sie, professionelle Ansagen
       zu machen und müssen dabei zum Teil mehr Lampenfieber überwinden als bei
       ihren eigentlichen Auftritten.
       
       ## Keine stolzen Eltern im Bild
       
       Die Teilnehmer des Wettbewerbs waren zwischen 16 und 21 Jahre alt und es
       fällt auf, dass sie – anders als bei ähnlichen Dokumentationen üblich –
       hier nicht persönlich vorgestellt werden: Es gibt keine Interviewszenen, in
       denen sie erklären, wie sie zur klassischen Musik gekommen sind; keine
       „Homestorys“ mit stolzen Eltern und auch erstaunlich wenige Aufnahmen, in
       denen die Gruppendynamik dargestellt werden soll. Einige sprechen öfter in
       die Kamera, andere wiederum scheinen an der Mitwirkung an Gieths Film nicht
       interessiert zu sein und bleiben so wortlos und aus ungünstigen
       Perspektiven aufgenommen im Hintergrund. Aber es wird schnell deutlich:
       Hier steht das Projekt im Mittelpunkt, nicht die Gruppe der daran
       Teilnehmenden.
       
       Seltsam beiläufig wird aber auch die Musik behandelt: Natürlich gibt es
       längere Passagen, in denen die Pianisten spielen, aber es wird nicht etwa
       angegeben, was und von wem. Ja, die Filmemacher haben offenkundig keine
       Ohren für die Musik, und so ist auch der Schnitt alles andere als
       musikalisch. Regisseur Oliver Gieth hat bisher einen Dokumentarfilm („Gib
       mich die Kirsche! Die 1. deutsche Fußballrolle“, 2006) und einen Videoclip
       über Fußball gedreht und unter anderem eine Doku über die Künstlerin
       Rebecca Horn geschnitten. Es gibt also viele Filmemacher in Deutschland,
       die einen besseren Musikfilm gemacht hätten, aber auch hier sollten
       offensichtlich andere Wege ausprobiert werden.
       
       ## Der Blick des Außenseiters
       
       Gieth ging mit dem neugierigen Blick eines Außenseiters an das Thema, und
       vielleicht soll das einem jungen Publikum gemäß sein, das von noch einem
       routiniert gemachten Film eher gelangweilt oder gar abgeschreckt würde. Und
       tatsächlich gelingen schöne Einstellungen, etwa jene, in der die
       Wettbewerbsteilnehmer beim Abschlusskonzert einer Konkurrentin im Publikum
       sitzen und allesamt mitspielen, mit den Fingern auf den Knien.
       
       Der letzte Akt folgt dann der Dramaturgie eines Sportfilms: enttäuschte
       Gesichter nach der Vorauswahl, einen fatalen Hänger beim Abschlusskonzert
       mit der Bremer Kammerphilharmonie – und eine strahlende Gewinnerin:
       Elisabeth Brauß, Jahrgang 1995, aus Hannover. Ob sie die Beste im
       Wettbewerb war, ist nach diesem Film indes unmöglich zu beurteilen.
       
       ## 
       
       ## „Jung & Piano“ läuft vom 6.–9. sowie am 15. und 16. März im Kino im
       Künstlerhaus, Hannover, im April im Bremer City 46, im Mai im Nordlicht,
       St. Peter-Ording. Die DVD ist bei erhältlich
       
       5 Mar 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Wilfried Hippen
       
       ## TAGS
       
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