# taz.de -- Wolfsburger Dschihadisten: Polizei verschläft Terror-Tourismus
       
       > Ein radikaler Prediger hat in Wolfsburg jahrelang für den Heiligen Krieg
       > geworben. Als seine Anhänger loszogen, taten die Behörden nichts – obwohl
       > Verwandte flehten, ihre Pässe einzuziehen.
       
 (IMG) Bild: Könnte locker ein Niedersachse darunter sein: IS-Kämpfer im Nahen Osten.
       
       HANNOVER taz | Die Führung des niedersächsischen Landeskriminalamts (LKA)
       hat Vorwürfe zurückgewiesen, Polizisten hätten Dschihadisten trotz
       Warnungen in die Krisengebiete des Nahen Ostens ausreisen lassen.
       „Entsprechende Sorgen und Nöte von Eltern und Angehörigen nehmen wir sehr
       ernst“, sagte LKA-Vizepräsident Thomas Ring vor JournalistInnen der
       Landespressekonferenz in Hannover: „Das Landeskriminalamt lässt keine
       Menschen ausreisen, die sich einer Terrororganisation anschließen wollen –
       wenn wir gerichtsfeste Beweise dafür haben.“
       
       Ein Rechercheteam von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung hatte zuvor
       berichtet, selbst in der „Salafisten-Hochburg“ Wolfsburg habe die Polizei
       keinen einzigen Antrag auf Entzug des Reisepasses gestellt – dabei seien
       die Beamten von verschiedenen Seiten gewarnt worden, radikalisierte
       Wolfsburger Muslime wollten als Unterstützer der Terrororganisation
       „Islamischer Staat“ (IS) nach Syrien und in den Irak reisen. Das LKA sei
       nicht einmal eingeschritten, als der Bruder eines potenziellen
       Dschihadisten dessen Passentzug forderte: Er ertrage es nicht, dass sein
       Bruder „sein Leben hinwerfen“ wolle, habe der Mann zur Begründung gesagt.
       
       Von Versäumnissen seiner Beamten wollte LKA-Vize Ring trotzdem nicht
       sprechen. „Ganz vehement“ wolle er solche „Vorwürfe zurückweisen“, tönte
       der 54-Jährige – und musste doch massive Pannen einräumen: Mindestens 40
       Dschihadisten sind bisher allein aus Niedersachsen in Krisengebiete
       ausgereist. 15 von ihnen stammen aus dem Großraum zwischen Wolfsburg und
       Braunschweig.
       
       Denn dort hat der 2011 aus Tunesien eingereiste Yassin O. massiv Werbung
       für den „Islamischen Staat“ gemacht. Der 31-Jährige, der in Wolfsburg von
       Anhängern respektvoll „der Scheich“ genannt wurde, unterzog seine Rekruten
       offenbar einer Art Gehirnwäsche. Wer den leidenden Muslimen in Syrien nicht
       helfe, sei selbst ein „Kuffar“, ein Ungläubiger. IS-Kämpfern dagegen wirke
       das Paradies.
       
       Wolfsburgs gut integrierte muslimische Gemeinde reagierte umgehend: Yassin
       O. soll vom dortigen Islamischen Kulturverband ein Hausverbot kassiert
       haben. Niedersachsens Polizei aber bekam von der Agitation des „Scheichs“
       überhaupt nichts mit.
       
       Dass neben dem VW-Werk ein IS-Mann den Heiligen Krieg propagierte, fiel dem
       LKA erst auf, als die 15 Wolfsburger Rekruten bereits auf dem Weg in den
       Nahen Osten waren. Seine Beamten hätten „nicht mitbekommen, dass ein
       Anwerber in Wolfsburg aktiv war“, musste LKA-Vize Ring einräumen. Bemerkt
       worden sei das erst, als sich auch der „Scheich“ längst abgesetzt hatte –
       als Richter soll er heute in Syrien die Scharia umsetzen. Von den 40 aus
       Niedersachsen in den Krieg gezogenen Männern seien dagegen bereits vier
       getötet worden, so LKA-Vize Ring.
       
       Die Opposition im niedersächsischen Landtag reagierte mit heftiger Kritik.
       „Schlichtweg inakzeptabel“ sei die „ungehinderte Ausreise“ der potenziellen
       Dschihadisten, so die innenpolitische Sprecherin der CDU, Angelika Jahns –
       schließlich fordert auch der UN-Sicherheitsrat die Verhinderung eines
       solchen Terror-Tourismus. Es sei die „verdammte Pflicht und Schuldigkeit“
       der Bundesrepublik, „dafür zu sorgen, dass der Terror nicht aus Deutschland
       in die Welt getragen wird“, erklärt auch Jahns’ Parteifreund,
       Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Selbst das Problem potenzieller
       IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten nach Niedersachsen zurückkehrten,
       solle „offenbar ausgesessen“ werden, bemängelt FDP-Fraktionsvize Stefan
       Birkner.
       
       Weniger zufrieden mit der Arbeit des Landeskriminalamtes ist offenbar auch
       der Innenminister der rot-grünen Landesregierung Niedersachsens. Vom
       Sozialdemokraten Boris Pistorius erhielt das LKA kein Wort der
       Unterstützung. „Herr Minister Pistorius ist aktuell nicht zu erreichen“,
       sagte einer seiner Sprecher auf taz-Anfrage: „Inhaltliche Fragen
       beantwortet das LKA.“
       
       1 Apr 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Wyputta
       
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