# taz.de -- Handelskammerchef über Baltimore: „Die Macht ist da, wo das Geld ist“
       
       > Lance Lucas leitet die schwarze Handelskammer in Baltimore. Das Leben in
       > der Stadt sei von Armut, Segregation und Chancenlosigkeit geprägt.
       
 (IMG) Bild: Tausende Polizisten und Nationalgardisten sind in Baltimore im Einsatz
       
       Sie leiten die schwarze Handelskammer von Baltimore. Wieso ist eine
       getrennte Handelskammer nötig? 
       
       Lance Lucas: Weil die historische Diskriminierung gegen Afroamerikaner
       weitergeht. Das gilt sowohl für die Kreditvergabe an Unternehmen in
       afro-amerikanischen Händen wie für öffentliche Aufträge. Als Handelskammer
       vertreten wir mehrere Hundert Unternehmen mit insgesamt 2.000
       Beschäftigten. Wir stärken uns gegenseitig und wir bringen kleine und große
       schwarze Unternehmen zusammen, um bessere Verträge zu bekommen, und um die
       Gesetze zugunsten der afroamerikanischen Gemeinschaft zu ändern.
       
       Baltimore hat eine afroamerikanische Bürgermeisterin und einen
       afroamerikanischen Polizeichef. Wieso gehen die Diskriminierungen trotzdem
       weiter? 
       
       Die Macht ist da, wo das Geld ist. Und Politiker hängen von Spenden für
       ihre Kampagnen ab. Die bedeutendsten Beiträge zu Wahlkampagnen kommen aus
       einer einzigen Gruppe: den Großunternehmen. Davon sind die meisten nicht
       afro-amerikanisch.
       
       Wo ist die wirtschaftliche Macht in Baltimore? 
       
       In traditionellen mittel-alten, weißen, männlichen Händen. Das obere 1
       Prozent. Der durchschnittliche Nettowert eines Afroamerikaners beträgt
       5.000 Dollar. Das reicht nicht einmal, um die eigene Beerdigung zu zahlen.
       
       Was meinen Sie mit „Nettowert“ einer Person? 
       
       Die Bilanz von allem, was Sie haben und was Sie schulden. Der
       durchschnittliche Nettowert eines europäischen Amerikaners sind 100.000
       Dollar. Ganz egal wie viele schwarze Politiker Sie im Stadtrat haben: Wenn
       die Finanzen in den Händen einer anderen Community sind, entscheiden Sie
       trotzdem nicht über ihr eigenes Schicksal. Das ist unser Problem.
       
       Ihre Zahlen beziehen sich auf die USA insgesamt. In Baltimore ist die
       Bevölkerungsmehrheit schwarz. Wie sieht es in Ihrer Stadt mit der
       ökonomischen Chancenverteilung aus? 
       
       Ungleich. Nehmen Sie die Arbeitslosigkeit für Afroamerikaner in Baltimore:
       Sie liegt bei 18 Prozent, während die allgemeine Arbeitslosigkeit in den
       USA bei nur 5,7 Prozent liegt. In der Great Depression (Ende der 1920er, d.
       Red) hatte das Land 25 Prozent Arbeitslosigkeit während zwei Jahren und es
       war kurz davor, durchzudrehen. Das Land war dabei, seinen Verstand zu
       verlieren. Aber manche Stadtteile in Baltimore haben seit mehr als zwei
       Jahrzehnten mehr als 25 Prozent Arbeitslosigkeit. Gilmor Homes - wo Freddie
       Gray verhaftet wurde - ist einer davon. Dort sind 45 bis 50 Prozent der
       afroamerikanischen Männer zwischen 18 bis 30 Jahren arbeitslos. Ein
       Nebenprodukt von Armut ist die Gewalt, die jetzt ausbricht. Jedes
       unterdrückte Volk verhält sich so. Ganz egal wo in der Welt.
       
       Wo sehen Sie die Lösung für die Wutausbrüche? 
       
       Ich habe zehn Jahre lang in einer High-School in dem Stadtteil von Freddie
       Gray unterrichtet. Lange bevor die Fernsehkameras hier waren, haben wir
       dort Leute ausgebildet, die heute für Fortune-500-Unternehmen arbeiten.
       Lockheed Martin zum Beispiel. Wenn sie eine angemessene Bildung bekommen,
       können dieselben Leute, die jetzt „Schläger“ genannt werden,
       Computer-Techniker und Network-Ingenieure werden.
       
       Welchen Unterschied macht es für die afroamerikanische Bevölkerung, ob eine
       Afroamerikanerin an ihrer Spitze steht? 
       
       Der einzige Unterschied, ist Empathie, Verständnis. Das kann dazu führen,
       dass die Leute sich besser fühlen. Aber in den Fakten macht es nicht den
       geringsten Unterschied, welche Hautfarbe die Person an der Spitze hat.
       
       Sie sind ein Lobbyist für schwarze Unternehmen. Was raten Sie der
       Bürgermeisterin Ihrer Stadt? 
       
       Es gibt 20.000 offene Technologie-Jobs in Baltimore. Und wir befinden uns
       in einem Cyberkrieg, für den die USA mehr Geld ausgeben, als für den Ersten
       und Zweiten Weltkrieg zusammen genommen. Wenn sie die nötige Ausbildung
       hätten, könnten die jungen Leute diesen Cyberkrieg führen.
       
       Die geplünderten Geschäfte und zerschlagenen Fenster befinden sich in
       schwarzen Stadtteilen. Schaden die Wutausbrüche für allem der
       afroamerikanischen Bevölkerung von Baltimore? 
       
       In dem ganzen Mondawmin Einkaufszentrum
       
       ...wo es in der Nacht von Montag zu Dienstag geknallt hat... 
       
       ... sind nur zwei Unternehmen, die Afroamerikanern gehören. Es ist ein
       Einkaufszentrum mit extrem hohen Gewinnen pro Quadratmeter. Und Sie können
       dort Rolex für 30.000 Dollar kaufen. Aber der rundum liegende Stadtteil, wo
       auch Freddie Gray lebte, ist total verarmt. Die Geschäfte sind in
       koreanischen, oder afrikanischen oder arabischen Händen. 1968 (bei der
       Bürgerbewegung, d. Red.) mögen sie afroamerikanisch gewesen sein. Aber in
       2015 kontrollieren die Afroamerikaner aus diesen Stadtteilen ihr eigenes
       finanzielles Schicksal nicht.
       
       Birgt das, was jetzt in Baltimore passiert, auch eine Chance für die Stadt? 
       
       Durch große Tragödien kommen große Gelegenheiten. Wir sind jetzt mit ein
       paar harten Fragen konfrontiert, die nicht durch Reden und durch
       Demonstrationen gelöst werden können. Allen voran die elende Armut. Die
       Johns Hopkins Universität in Baltimore hat eine Studie erstellt, die zeigt,
       dass 97 Prozent der Leute, die in Baltimore in Armut geboren werden, auch
       in Armut sterben. Das ist ein System von Armut.
       
       29 Apr 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dorothea Hahn
       
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