# taz.de -- Unruhen von Baltimore: „The Wire“ hilft zu verstehen
       
       > Die US-Serie „The Wire“ zeigt Baltimore als heruntergewirtschaftete Stadt
       > – und nimmt damit den aktuellen Unruhen einiges vorweg.
       
 (IMG) Bild: Ein Demonstrant schreit am Mittwoch die Nationalgarde in Baltimore an
       
       „Wenn ihr Reformen nicht ohne Ziegelstein in der Hand fordern könnt,
       riskiert ihr, diesen Moment zu verlieren – für uns alle in Baltimore. Dreht
       um. Geht nach Hause. Bitte.“ Dieser Blogpost wäre wohl in der Aufregung
       über die Unruhen von Baltimore untergegangen. Wenn er nicht von David Simon
       kommen würde, dem Drehbuchschreiber der HBO-Serie „The Wire“, die Baltimore
       als rotten Moloch der USA weltbekannt gemacht hat.
       
       Wer über 50 Stunden seiner Lebenszeit damit verbracht hat, zuzusehen, wie
       diese Serie ganze Viertel voller Abgehängter porträtiert, Menschen, die die
       US-Wirtschaft einfach nicht mehr braucht, wer zugesehen hat, wie die
       TV-Show Polizei und Bildungsapparat als verrottetes System vorstellt, dem
       kommen die Nachrichten aus Baltimore schrecklich schlüssig vor. Zu vertraut
       ist die Ikonografie einer heruntergewirtschafteten Stadt.
       
       Selbst die Keimzelle des jetzigen Protests ist die gleiche: Über weite
       Teile spielt „The Wire“ in genau der Gegend von West Baltimore, wo auch
       [1][Freddie Gray von Officern in einen Polizeivan gedrängt wurde und Tage
       später starb]. 97 Prozent schwarze Bevölkerung lebt in dieser Ecke der
       Stadt, sie hat die fünfthöchste Mordrate der USA, viel Kriminalität und
       Gangs, mehr als jeder Zweite ist arbeitslos.
       
       Wer wissen möchte, was das alles bloß so ruiniert hat, findet bei „The
       Wire“ Antworten. Class, nicht race habe diese Menschen marginalisiert, sagt
       Simon selbst. Sie sind meist schwarz. Vor allem aber arm. Sie leben in
       einem System, das sich nicht einmal mehr vornimmt, niemanden
       zurückzulassen. Sie werden verwaltet und kontrolliert von Amtsträgern, die
       kein Personal und Budget haben, anständige Polizeiarbeit zu machen. Die
       korrupt sind, Fehler aus Überforderung machen. Selbst die Mächtigen können
       hier nichts zum Besseren wenden. Höchstens ein paar Einzelkämpfer versuchen
       das Schicksal einiger weniger zu verbessern.
       
       ## Vorsicht: „The Wire“ ist fiktiv
       
       Sicherlich ist es Unsinn, das alles 1:1 auf Baltimore übertragen zu wollen.
       Und nein: Gerade wenn man eine Erklärung für die massive Polizeigewalt
       gegen junge Schwarze aus Armenvierteln sucht, findet man hier keine
       abschließende Erklärung.
       
       Denn: Es handelt sich um eine Serie. Schnell kann es zynisch werden, wenn
       ihre fiktiven Charaktere sich in unseren Köpfen vor die Schicksale realer
       Menschen schieben. Simplifizierend, wenn man ihre zugespitzte Narration mit
       Realität verwechselt.
       
       Zu Recht wird in sozialen Netzwerken darauf hingewiesen, dass Fan der Serie
       sein nicht heißt, dass man die Situation dort restlos verstehe. Oder dies
       ersetze, vor Ort zu recherchieren. Ein Stück weit wirft „The Wire“ einen
       weißen Blick auf die Probleme, einen von außen. Zumindest ist der gut
       informiert: Autor Simon arbeitete jahrelang als Crime-Reporter der lokalen
       Baltimore Sun und recherchierte im Milieu, bevor er die Serie schrieb.
       
       ## System mit Korruption und Gewalt stabil halten
       
       Und doch: Die „The Wire“-Parallele hilft, die Probleme in Baltimore
       zugänglicher zu machen, sich involviert zu fühlen. Taugt das am Ende nicht
       mehr als noch ein toter junger Schwarzer in noch einer Stadt, dessen Namen
       man schon wieder vergessen hat, so schrecklich das auch ist?
       
       Die jetzigen Unruhen vorhergesagt hat „The Wire“ nicht: Dort wird das
       morsche System mit Korruption und Gewalt stabil gehalten. Im echten Leben
       bäumen sich jetzt die Wütenden auf, ganz anders als die armen
       Marginalisierten, die die Serie damals einfach nur als hilflose Opfer der
       Verhältnisse sah.
       
       „The Wire“ läuft seit sieben Jahren nicht mehr. Die Nachrichten der letzten
       Wochen aber zeigen: An den sozialen Katastrophen, auf die die Serie
       aufmerksam machen wollte, hat sich praktisch nichts geändert.
       
       30 Apr 2015
       
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