# taz.de -- Spiel für nachhaltigen Konsum: Daddelnd die Welt verändern
       
       > CO2 für das Spiel, Rabatte für den Nutzer: Die App „Ökogotschi“ bietet
       > umweltbewussten Unternehmen eine Werbeplattform.
       
 (IMG) Bild: Bio einkaufen, Rabattpunkte sammeln.
       
       BERLIN taz | Wer kennt sie noch, die grellbunten und piepsenden Zeitfresser
       aus Japan? In den 90ern zogen Tamagotchis Millionen mit einem simplen
       Spielprinzip in den Bann: Wer seinem virtuellen Haustier Aufmerksamkeit
       oder Nahrung verweigert, riskiert dessen Tod.
       
       Ein tolles Prinzip – wenn das Ganze auch einen Sinn hätte, findet der
       Salzburger Spieleentwickler Robert Praxmarer. Was wäre, wenn sich das
       Tamagotchi von CO2 ernähren würde? Wenn sich die Spieler im Alltag
       klimabewusst verhalten müssten, um im Spiel weiterzukommen? Dann, vermutet
       Praxmarer, könnte man auch Kinder für einen ökologischen Lebensstil
       begeistern. Aus dieser Überlegung entstand die Smartphone-App „Ökogotschi“,
       die Praxmarer derzeit entwickelt.
       
       Für die Idee erhielt sein Start-up Polycular diverse Nachhaltigkeitspreise.
       Die Österreichische Wirtschaftskammer schickt Praxmarer und seinen Partner
       2016 sogar für drei Monate ins Silicon Valley, um das Spiel zu vermarkten.
       Das Geschäftsmodell könnte sich vor allem für heimische Unternehmen als
       attraktive Werbemöglichkeit entpuppen.
       
       Gamification heißt das Prinzip, das bei Ökogotschi virtuelle und reelle
       Welt verknüpft: Kauft der Spieler zum Beispiel im echten Leben Milch aus
       der Region, erhält er Punkte im Spiel. Und das ganz einfach: Milch-Etikett
       mit dem Smartphone fotografieren, Punkte sammeln, weiterspielen.
       „Lebenselixier für das Ökogotschi, gutes Gewissen für den Spieler“, erklärt
       Praxmarer.
       
       ## Rabattpunkte auf ökologisch
       
       In der Werbung wird Gamification zunehmend eingesetzt: „Reine
       Textbotschaften oder nichts sagende Marketing-Videos kommen bei den
       jüngeren Konsumenten nicht mehr an“, weiß der Kommunikationsexperte
       Christian Engweiler.
       
       Genau das will sich die Ökogotschi-App zunutze machen: Die Anwendung werde
       nachhaltige Produkte wie Ökostrom, E-Fahrzeuge oder regionale Lebensmittel
       bewerben, sagt Praxmarer. Wer sich in der Nähe eines Biobauern befindet,
       bekommt einen Hinweis. Kauft der Nutzer dort etwas, bekommt er Punkte
       gutgeschrieben. Den Bonus soll es zwar für alle nachhaltigen Produkte geben
       – wer aber sein Geld bei den Projektpartnern ausgibt, sammelt dafür mehr
       Punkte. Im Gegenzug kassiert das Start-up vom Unternehmen eine Provision.
       Praxmarer sieht einen weiteren Anreiz: „Wer besonders viele Punkte sammelt,
       bekommt die Produkte billiger.“
       
       Er räumt ein, die App sei „im Prinzip eine Werbeplattform“. Also doch alles
       nur Reklame? So will der Salzburger das nicht gelten lassen: Er hoffe, dass
       Spieler durch das Punktesammeln langfristig für ein umweltbewusstes Leben
       motiviert werden. „Und das fängt beim Konsum an“, ist er überzeugt.
       
       ## Zweifel an der Wirksamkeit
       
       Doch kann ein Computerspiel soziales Handeln auf Dauer beeinflussen? Dieser
       Frage gehen derzeit Forscher der Universität Utrecht in Holland nach.
       Bisherige Studien konnten die Annahme nicht belegen. Bei einem Spiel wie
       Ökogotschi sei diese Wirkung aber nicht ausgeschlossen, sagt
       Kommunikationsexperte Engweiler: „Wenn der Spieler die App derart in seinen
       Alltag integriert, dass die Botschaft unbewusst in seine Entscheidungen
       einfließt, wird nachhaltiges Handeln zum Teil der Persönlichkeit und
       selbstverständlich.“ Ein Teil der Computerspielebranche ist davon sowieso
       überzeugt. „Games for Change“ heißt das Genre – Spiele, die etwas verändern
       sollen wie „Phone Story“, das die die Produktionsbedingungen des iPhones
       bloßstellte. Kritiker zweifeln jedoch, dass das Spiel an der beschriebenen
       Situation tatsächlich etwas änderte.
       
       „In erster Linie schaffen solche Computerspiele Bewusstsein für
       gesellschaftlich verdrängte Themen“, sagt der Wissenschaftler Mathias
       Fuchs, der an der Universität Lüneburg Spieleprinzipien untersucht. Anderen
       Anwendungsbereichen steht er jedoch skeptisch gegenüber. Etwa wenn Firmen
       Belohnungssysteme einführen und das als Spiel inszenieren. Solche Modelle
       gebe es in fast jedem großen Unternehmen, sagt Fuchs. „Da gaukelt die
       Industrie ein Spiel vor, obwohl die Leute nur härter arbeiten sollen.“
       
       Die Werbeindustrie verspricht sich eine hohe Wirksamkeit von Gamification,
       weiß Fuchs. Deshalb könnte die App Ökogotschi nicht nur bei nachhaltigen
       Unternehmen, sondern auch bei Spieleentwicklern Interesse wecken, glaubt
       er. Als Modell, das Werbeeinnahmen garantiert und Spielergewissen beruhigt.
       
       4 May 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Pauli
       
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