# taz.de -- Abschied vom Tanztheater: Die Endlichkeit von Ding und Leben
       
       > Ein Kapitel Tanzgeschichte geht zu Ende: Der Choreograf William Forsythe
       > beendet seine Intendanz in Frankfurt und Dresden.
       
 (IMG) Bild: Eine Aufführung im Schillertheater Berlin 2012.
       
       Seine letzte Premiere war eine Hommage an sich selbst: Im November 2012
       zeigte William Forsythe mit „Study #3“ einen Remix seiner Choreografien von
       „Die Befragung des Robert Scott“ (1986) bis zu „Study #1“ (2012). Kurze
       Szenen großer Abende glimmten auf, barsten wie kleine Feuerwerke und
       verschwanden wieder. Der Choreograf selbst nannte den Parforceritt durch
       seine Werkgeschichte „eine Übung im Umgang mit Ressourcen“, die britische
       Zeitung The Guardian aber schloss aus dem Abend: „Forsythe is much
       possessed by death; his subject, overwhelmingly, is loss.“ Der zentrale
       Gegenstand des großen Choreografen sei der Verlust.
       
       Tatsächlich skizzieren die Arbeiten der Forsythe Company seit „Three
       Athmospheric Studies“ (2005) eine fragile, erschütterte Welt, durchforstet
       und bewohnt von skurrilen Figuren, deren wendige Körper durchlässig sind
       für diese Erschütterungen. Sie werden durchflüstert von dem, was in sie
       eindringt: Erfahrungen von gesellschaftlicher Verunsicherung, von Gewalt
       und Tod, aber auch Fragmente aus Wissenschaft und Literatur, Kunst und
       Popkultur. Und sie verwandeln diese Eindringlinge in etwas anderes, nun
       Fremd-Vertrautes – wie die furiose Tänzerin Dana Caspersen, die in „I don’t
       believe in outer space“ Gloria Gaynors Ohrwurm „I will survive“ mit einem
       ungeahntem, immer wieder ins Groteske kippenden Zorn ausstattet.
       
       Kippfiguren und Grenzbewegungen, durchdringender Schrecken, innige
       Zärtlichkeit und sprühender Irrwitz liegen in dieser Bühnenwirklichkeit
       nahe beieinander, die sich als Porträt unser hochkomplexen, gewalttätigen,
       postironischen und überartikulierten Gegenwart lesen lässt. Forsythes’
       Tänzer sind hervorragende Performer, die als Cowboys, Fitnessqueens,
       Spitzbuben und Halbwesen die Grenzen der Darstellung ausreizen – seien es
       nun die Wiedergänger auf dem Narrenschiff des Kunstbiz in „The Returns“
       oder die Verführungsgestalten in der Theater-Casting-Show „Theatrical
       Arsenal II“. Immer mit dabei: Endlichkeit und ungeheurer Witz als zwei
       Seiten einer Medaille.
       
       Ungeplant wurde „Study #3“ zur Retrospektive, zum Auftakt eines
       schleichenden Abschieds: William Forsythe erkrankte im Juni 2013 schwer,
       erlitt ein Burn-out. Der heute 65-Jährige hatte bis zu drei Neuproduktionen
       im Jahr herausgebracht, er hatte die Company nicht nur als Chefchoreograf,
       sondern auch als Geschäftsführer geleitet und jede einzelne Aufführung vom
       Technikpult aus begleitet, seine Stücke immer wieder verändernd und neu
       justierend.
       
       ## Schrecken und Zärtlichkeit
       
       All dies, sagte er kürzlich in einem seiner seltenen Interviews der
       Financial Times, habe seinen Tribut gefordert. Ende 2013 trat er als
       Chefchoreograf und Geschäftsführer zurück, sein ehemaliger Tänzer und
       Ballettmeister Christopher Roman übernahm Tagesgeschäft und Probenleitung,
       seitdem stehen Wiederaufnahmen im Spielplan.
       
       Im September wird nun der italienische Choreograf Jacopo Godani die Leitung
       der Company übernehmen. In den 1990er Jahren war er Solist beim Ballett
       Frankfurt, heute arbeitet er als Gastchoreograf für unterschiedliche
       Tanzcompanien. Es ist eine ungewöhnliche Entscheidung, die eingeführte
       Marke der Forsythe Company gewissermaßen unter neuer Führung weitersegeln
       zu lassen, doch die Städte Frankfurt und Dresden sowie die Länder Hessen
       und Sachsen, die gemeinsam die Company finanzieren, wünschten ihre
       Fortführung. Neben einer Neuproduktion pro Saison soll es Wiederaufnahmen
       aus dem Forsythe-Repertoire geben, allein, die Stücke der Forsythe Company
       werden dem Verschwinden anheimgegeben: Zu eng sind sie mit den Tänzern
       verknüpft, die sie mitentwickelten.
       
       Über dreißig Jahre lang hat William Forsythe die nationale ebenso wie die
       internationale Tanz- und Kulturszene geprägt. Als nahezu Unbekannter kam
       der 35-jährige US-Amerikaner 1984 vom Stuttgarter Ballett als Direktor ans
       Ballett Frankfurt, und arbeitete hier bald ebenso nachdrücklich wie
       beeindruckend daran, das Ballett zu dekonstruieren – nicht nur
       künstlerisch, sondern auch strukturell. Er befragte das Verständnis von
       Ballett radikal, strapazierte seine Technik und erweiterte sie. Denn Tanzen
       ist für ihn Forschung. Und Bewegung wird nicht als emotionaler Ausdruck
       verstanden, sondern eine Form des Denkens, die über die Bühne herausreicht.
       
       ## Abbau von Hierarchien
       
       In konsequenter Fortführung seines tiefgreifenden Interesses an Strukturen
       begann Forsythe zugleich, die Hierarchie des Ballettensembles mit seinen
       Solistenstars abzubauen. Er förderte die Künstlerpersönlichkeiten seiner
       Tänzer und setzte auf die Intelligenz und Kompetenz jedes Einzelnen, sie
       als Mitschöpfer der Choreografie begreifend. So gingen viele Choreografen –
       wie Richard Siegal, Crystal Pite und Fabrice Mazliah – aus ihren Reihen
       hervor.
       
       Rasch fand die Arbeit des Balletts Frankfurt nationale wie internationale
       Anerkennung. Doch auch von wahren Tumulten im Zuschauerraum wird berichtet,
       etwa bei der Uraufführung von „The Loss of Small Detail“ 1987 – geht doch
       das Heraufdämmern von etwas Neuem stets auch mit einer gewissen Rat- und
       Sprachlosigkeit einher. Bis heute sind Forsythes Choreografien hochkomplexe
       Gebilde, in denen Körper, Bewegungen, Sprache und Musik eng
       ineinandergreifen und stets auf mehreren Ebenen rezipiert werden können.
       
       Nicht immer scheint die Stadt Frankfurt gewusst zu haben, was sie an ihrem
       großen Choreografen hat: 2004 wurde die Ballettsparte der Oper weggekürzt.
       Forsythe gründete 2005 das Public-Private-Partnership The Forsythe Company,
       finanziert von den Städten Frankfurt und Dresden, den Ländern Hessen und
       Sachsen sowie einige Stiftungen. Mit der kleineren Company aus 16 Tänzern
       entstanden große Abende wie „Three Athmospheric Studies“, das 2006 zum
       Berliner Theatertreffen eingeladen wurde, und „I don’t believe in outer
       space“.
       
       ## Hüpfburgen und Luftballons
       
       Immer wieder neu stellt sich Forsythe die Frage, was Tanz ist und was
       Choreografie, der Zukunft zugewandt und neugierig, ja hungrig nach dem
       suchend, was er noch nicht kennt, noch nicht versteht. So entwickelte er
       digitale Vermittlungs- und Notationssysteme für den Tanz: 1999 präsentierte
       er auf der CD-ROM „Improvisation Technologies“ Techniken, um Bewegungen
       hervorzubringen, seit 2009 entwickelt er mit verschiedenen Institutionen
       digitale, webbasierte Aufschreibsysteme für Choreografien. Gleichzeitig
       entstanden die „Choreographic Objects“, künstlerische Arbeiten zwischen
       Installation und Tanz, die das Publikum selbst in Bewegung versetzen – wie
       die gigantische Hüpfburg „White Bouncy Castle“ oder die
       Luftballonlandschaft „Scattered Crowd“, die heute weltweit auch in Museen
       ausgestellt werden.
       
       „Life is just a party, and partys weren’t meant to last“, heißt es nach
       Prince in „I don’t believe in outer space“, diesem verstörenden Stück über
       die Endlichkeit von Ding und Welt, das zugleich eine Liebeserklärung ist an
       das Diesseitige. Ein Kapitel der Tanzgeschichte geht zu Ende, wenn William
       Forsythe seine Company verlässt.
       
       Doch auch wenn er gemeinsam mit seiner Frau Dana Caspersen nach Vermont
       ziehen wird, still werden wird es nicht um diesen rührigen Erfinder, Denker
       und Künstler: Ab der kommenden Spielzeit arbeitet er als assoziierter
       Choreograf am Pariser Opernballett und wird hier 2016 eine Premiere
       herausbringen. Im Herbst zeigt eine Ausstellung im Museum für Moderne Kunst
       in Frankfurt seine „Choreographic Objects“, und er wird an der
       kalifornischen Kaufman School of Dance unterrichten.
       
       6 May 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Esther Boldt
       
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