# taz.de -- Inklusion im Fernsehen: Keine Rolle für den Rollstuhl
       
       > Menschen mit Behinderung sind im deutschen Fernsehen eine Ausnahme.
       > Sowohl vor als auch hinter der Kamera. Was tun die Sender dagegen?
       
 (IMG) Bild: Christine Urspruch als „Dr. Klein“ im ZDF.
       
       Ob sie Sport treibe? „Ab und zu Minigolf“, antwortet die kleinwüchsige
       Oberärztin schlagfertig. Neben ihr schwitzt ein neugieriger Junge auf dem
       Ergometer. Um seine EKG-Kurven am Monitor zu beobachten, hat sich „Dr.
       Klein“ auf einen Hocker gestellt. Die Ärztin ist 1,32 Meter groß. In der
       ZDF-Vorabendserie „Dr. Klein“ wird sie von Christine Urspruch gespielt, die
       auch Pathologin im Münsteraner „Tatort“ ist.
       
       Nur selten sieht man Menschen mit Behinderung im Fernsehen. Und das, obwohl
       laut Statistischem Bundesamt fast jeder Zehnte als schwerbehindert gilt.
       Frauke Gerlach, Direktorin des Grimme-Instituts, fordert deshalb mehr
       Inklusion im Fernsehen, also Menschen mit Behinderung vor und hinter der
       Kamera. „Die diesjährige Nominierung von ’Be my Baby‘ für den Grimme-Preis
       zeigt, was möglich ist und eigentlich der Normalfall sein sollte“, sagt
       sie. In dem ZDF-Film spielt Carina Kühne eine junge Frau mit Down-Syndrom,
       die gegen große Widerstände eine Familie gründen will.
       
       Die Rolle passt: Kühne hat das Down-Syndrom und sie sehnt sich nach
       selbstverständlichem Miteinander. Medienkritiker und Grimme-Juror Torsten
       Körner lobt ihre schauspielerische Leistung, auch als Beitrag zum
       Inklusionsprozess, warnt jedoch: „Es ist falsch verstandene Inklusion, wenn
       Schauspieler nur auf das festgelegt sind, was sie im realen Leben
       charakterisiert.“
       
       Als Zeichen zunehmender Teilhabe von Menschen mit Behinderung wertet Körner
       auch das MDR-Engagement der blinden Talkmasterin Jennifer Sonntag. In den
       „SonntagsFragen“ erlebe der Zuschauer „Gäste, die von ihren Selbstbildern
       oder Stereotypen befreit werden“. Körner vergleicht außerdem die
       Kinderserien „Die Vorstadtkrokodile“ (1977) mit „Trio – Odins Gold“ (2014)
       und stellt fest: In den heutigen Dialogen spielt der Rollstuhl keine Rolle
       mehr.
       
       ## Zuschauer sensibilisieren
       
       Als weniger gelungen sieht Körner die Bemühungen von Moderator Markus Lanz.
       In der letzten Sendung von „Wetten dass..?“ interviewte Lanz den schwer
       verunglückten Wettkandidaten Samuel Koch. Koch ist querschnittgelähmt.
       „Lanz wollte es besonders gut machen“, erklärt der Medienkritiker. Aber
       gleichzeitig auf Show, Menschen, Schicksal und Inklusion zu setzen, das
       funktioniere nicht. Körners Fazit: „Der Normalo ist eine hartnäckige
       Exklusionsgeschichte.“
       
       Wie auch „Das Jenke-Experiment“ (RTL) beweist: In Selbstversuchen wollte
       Jenke von Wilmsdorff die Zuschauer für gesellschaftliche Themen
       sensibilisieren. Unter anderem im Rollstuhl, „blind“ oder „gehörlos“
       versuchte er den Alltag zu bestreiten. Von Wilmsdorff ist sich des
       „schmalen Grates“ bewusst „zwischen meinem persönlichen Empfinden und sich
       etwas anzumaßen, was man gar nicht persönlich empfinden kann“. Raúl
       Krauthausen, der im Rollstuhl sitzt, erwidert: Niemals werde man
       Diskriminierung bekämpfen, indem man für kurze Zeit in die Rolle eines
       Behinderten schlüpfe und dann erkläre, die Situation zu verstehen. Der
       Gründer von Sozialhelden e. V. bemängelt, dass sich Redaktionen nicht von
       Menschen mit Behinderung beraten lassen.
       
       Stimmt nicht, meinen ARD und ZDF. Am Beispiel der wöchentlichen Sendung
       „Menschen – Das Magazin“ erklärt Regina Henrich-Dieler vom ZDF: „Sowohl im
       Team der Sendung als auch bei der Moderation wird aktiv Inklusion gelebt.“
       Und ARD-Sprecherin Anna Engelke weist darauf hin, dass die Förderung von
       Menschen mit Behinderung sowie die Chancengleichheit wichtige Ziele der
       Personalpolitik seien.
       
       Krauthausen aber fragt: „Warum gibt es keine Nachrichtensprecher mit
       Behinderung?“ Oder im Krimi einen behinderten Mörder, meint Verena Bentele,
       einst Paralympics-Star, heute Behindertenbeauftragte der Bundesregierung.
       Sie plädiert für weitere Untertitelungen und Videotexte in leichter Sprache
       sowie Audiodeskriptionen für Blinde. Einige Sender bauen ihr Angebot aus:
       RTL kündigte vergangene Woche an, Live-Shows wie „Let’s dance“ für
       Hörgeschädigte zu untertiteln. Der MDR plant eine Audio-App, die Blinden
       Zugriff auf Livestreams und Podcasts erleichtern soll.
       
       14 May 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Angelika Staub
       
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