# taz.de -- Straßenmusikerin Alice Phoebe Lou: Freiheit, Wünsche, große Träume
       
       > Alice Phoebe Lou ist Straßenmusikerin. Statt für das große Geld spielt
       > sie für ihr Publikum auf der Warschauer Brücke in Berlin-Friedrichshain.
       
 (IMG) Bild: Die Warschauer Brücke in Friedrichshain ist ihr Büro und zweites Zuhause. Sie spielt dort fast täglich.
       
       Alice Phoebe Lou verzaubert. Die 21-jährige Straßenmusikerin erschafft an
       der U-Bahn Warschauer Straße fast täglich eine kleine Blase: „Ein ruhiges,
       verrücktes, kleines, schwarzes Loch inmitten des Chaos. Wunderschön, real
       und mein zweites Zuhause – egal, wie dreckig und abgefuckt es dort ist“,
       sagt sie. Wenn die Südafrikanerin singt, versammeln sich manchmal hundert
       Passanten. Mehr als bei jedem anderen Musiker hier.
       
       Straßenmusik ist ihre Profession, nicht bloß ein Hobby und erst recht kein
       Betteln. Sie ärgert sich jedes Mal, wenn ihr Mitleid entgegengebracht wird,
       mit der lieb gemeinten Hoffnung, sie komme bestimmt bald weg von der
       Straße. „Ich liebe, was ich tue, ich verdiene verdammt viel Geld, ich mache
       Menschen glücklich – warum etwas ändern?“ Meist hat sie nur ihre Gitarre
       dabei, manchmal unterstützen andere Künstler sie mit Saxofon, Trommel oder
       Tanz.
       
       Sie kommt aus Kapstadt, ihre Eltern sind Dokumentarfilmer. In ihrem Haus
       lief immer Musik, vieles aus den Sechzigern und Siebzigern wie Jimi Hendrix
       oder Rodriguez. Heute hat sie ein paar Dreadlocks, trägt Federn und Perlen
       im Haar. Auf der Waldorfschule wurde das Fundament für ihre heutigen Werte
       gelegt: „Ich habe in meiner Kindheit gelernt, mich auszuprobieren. Wir
       haben so viele Facetten und Dimensionen! Um ein gutes Leben zu führen,
       müssen wir all unsere Fähigkeiten vereinen und dürfen keinen Teil unserer
       Persönlichkeit vergessen.“
       
       Sie selbst war Tänzerin, spielte Klavier und Gitarre, hat mit sechzehn zwei
       Monate in Paris verbracht. Nach ihrem Schulabschluss wollte sie eigentlich
       nur durch Europa reisen und dann anfangen zu studieren. Als sich ihre Reise
       dem Ende zuneigt, zweifelt sie an ihrem Plan. „Ich dachte, trotz meiner
       liberalen Erziehung: Das macht man so. Studium, feste Beziehung, geregeltes
       Leben. Aber dann dachte ich: Fuck! Ich kann machen, was ich will. Und ich
       wollte in Berlin bleiben.“
       
       ## Als sie anfing, hatte sie vor allem Angst
       
       Da war sie achtzehn Jahre alt. Als sie anfing, hatte sie vor allem Angst.
       Bis sie die Negativität irgendwann nicht mehr an sich ranließ. Ihr Song
       [1][„Amsterdam“] erzählt von diesem Prozess: „I’ve been cursed at and put
       down but I’ve been praised and I wear a crown of light despite what you
       might think is right.“
       
       Ihre frühe Erkenntnis, dass jeder und alles viele Facetten hat,
       verwirklicht Alice musikalisch. Sie will sich nicht auf ein Genre festlegen
       oder auf ein Publikum. In ihren Texten geht es um Freiheit, Wünsche, große
       Träume. Von Aggression und Steinewerfen hält sie nichts. „Wenn du Gutes
       tust, kommt Gutes zurück. Das ist nicht religiös, nicht spirituell.
       Positive Vibes schallen zurück.“
       
       Auf der Straße kann jeder zuhören, unabhängig von sozialer Herkunft. Und
       unabhängig vom Musikgeschmack. „Ich habe schon viele wegen meiner Musik
       weinen sehen. Andere kamen danach zu mir und bedankten sich, umarmten mich.
       Viele Menschen haben vergessen, wie therapeutisch Musik sein kann.“
       
       ## Schwach ist sie nicht
       
       Alice Phoebe Lou bekommt viele Angebote von großen, etablierten
       Plattenlabels. Sie hat bisher jedes abgelehnt. „Ich will keinen Pakt mit
       dem Teufel eingehen.“ Sie möchte nicht zu einem Produkt werden. Und unter
       keinen Umständen als Star behandelt werden. Anbetung hält sie für
       gefährlich – deshalb fordert sie ihr Publikum jeden Tag auf, nach dem
       Konzert mit ihr zu reden, sie zu umarmen oder ihr auch nur ein High Five zu
       geben. Obwohl es anstrengend sein kann und sie sich manchmal so gar nicht
       kommunikativ fühlt. Es ist ihr Job.
       
       Sie ist zierlich. Wirkt manchmal zerbrechlich, jung, naiv. Ist sie
       vielleicht auch ein bisschen. Sie will die Welt verändern, sie will sich
       niemals dem Kapitalismus unterwerfen. Ihr Denken nennt sie
       „positivitätsorientiert, nicht profitorientiert“. Große Hoffnungen
       thematisiert Alice im Song [2][„Berlin Blues“]: „There is a place where we
       one day will delve, where there’s no more walking on egg shells. Where
       ideas are for free, oh it’s the place to be, your great minds are no longer
       the minority.“
       
       Schwach ist Alice nicht; sie kann mit ihren Zuhörern umgehen, Konzerte
       organisieren und hat erst eine EP, dann ein Live-Album und nun ein erstes
       Album aufgenommen, das in den nächsten Monaten erscheinen wird.
       
       ## Sie will nicht der neue heiße Shit sein
       
       Ihr Konzert im Heimathafen Neukölln wird das bisher ambitionierteste
       Projekt ihres Lebens. Wieder arbeitet Alice nicht nur mit ihrer Stimme: Sie
       hat acht Tänzer und Tänzerinnen engagiert, eine davon ist Trapezkünstlerin.
       Es wird Backgroundsänger und instrumentale Unterstützung geben.
       
       Sie will nie stillstehen, niemals mechanisch in ihrer Arbeit werden. Ob sie
       vor etwas Angst hat? „Davor, plötzlich viral zu gehen, der neue heiße Shit
       zu sein. Ich will meinen Erfolg langsam und nachhaltig aufbauen, alles auf
       meine Art machen. Geld soll mich niemals beeinflussen.“
       
       12 May 2015
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.youtube.com/watch?v=tLnhcA541lE
 (DIR) [2] http://www.youtube.com/watch?v=qPvxqKAOE4k
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sarah Emminghaus
       
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