# taz.de -- Kolumne Ich meld' mich: Tief Luft holen, volle Kraft voraus
       
       > Zwei, drei Lieder sollten Weltenbummeler schon draufhaben. Nicht selten
       > wird man im Ausland gebeten, ein Lied aus der Heimat vorzutragen.
       
 (IMG) Bild: Nein, wirklich, heute ist mir nicht nach Singen.
       
       Es ist wieder mal so weit. „Und jetzt unser Freund aus Germany …“, ruft der
       Bärtige, der den Kulturabend auf der kanadischen Insel Fogo moderiert.
       Viele sind schon angetreten. Der Fischer hat gichtige Finger zum „St.
       John’s Waltz“ übers Akkordeon tanzen lassen, die beiden Schwestern
       schwermütig die „Cliffs of Baccalieu“ umschifft und alle zusammen
       begeistert „I’se the b’y“ gestampft. Etwas exotisch Europäisches wird sich
       jetzt gut machen.
       
       Erwartungsvoll drehen sich die Gesichter zu mir um: Ein Lied aus seiner
       Heimat, nicht wahr, hat ja doch jeder parat?
       
       Natürlich kommt dieser Moment. Er kommt immer wieder, irgendwann, in
       irgendeinem Winkel der Welt. Sucht am Chiemsee ein Schuhplattler einen
       Partner aus dem Publikum, zeigt der japanische Manager in der Karaokebar
       auf jemand, gucken sich die Pygmäen in Kamerun einen der Weißen aus, um mit
       ihnen zu tanzen – die Wahl fällt unweigerlich auf mich.
       
       Ich weiß: Ein Reisender hat Verpflichtungen. Er darf nicht nur Bilder, Töne
       und Informationen aufsammeln. Er muss auch etwas zurücklassen – und sei es
       die Erinnerung an jene Sternstunde in der Geschichte des Dorfes, als alle
       sich das Lachen verbeißen mussten über das, was die Europäer Musik nennen.
       Dazu bricht Singen das Eis. Zwei, drei Lieder, die man auswendig kennt,
       gehören ins Gepäck, so wie Familienfotos und die winterlichen Postkarten
       aus Lübeck.
       
       Und welch große Erinnerungen verbinden sich doch mit musikalischen
       Auftritten: „Si a tu ventana llega una paloma …“ – die Barbesucher in dem
       Dorf an der galizischen Küste hoben den Freund fast auf die Schultern, als
       er „La Paloma“ schmetterte. Unter dem funkelnden Sternenhimmel von Nepal
       glänzten die Augen der Träger, als die beiden Mitreisenden, ein Ehepaar aus
       Hessen, die „Stille Nacht“ beschworen. Und „Am Brunnen vor dem Tore“ am
       schwarzen Eisloch in Grönland …
       
       Nun also Fogo Island. Wat mut, dat mut. Aufstehen, tief Luft holen, und
       dann volle Kraft voraus: „Ick heff mol den Hamborger Veermaster sehn …“
       
       17 May 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Franz Lerchenmüller
       
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