# taz.de -- Umgang mit Rechtsextremismus: Don Otto und die AfD
       
       > Natürlich möchte man am liebsten die AfD mit einem Verbot loswerden.
       > Wären da nicht Konsequenzen, die möglicherweise alles noch schlimmer
       > machen.
       
 (IMG) Bild: Die Ideologie der Intoleranz konsequent bekämpfen, Wahlkampf der AfD in Erfurt im Sommer 2024
       
       Im nordzentralen Chile kursiert im 19. Jahrhundert eine Art Legende über
       zwei Brüder deutscher Herkunft: [1][Otto und Fritz Scheuch]. Über sie
       werden unzählige wundersame Anekdoten erzählt, von denen eine besonders
       hervorsticht: die vom „Sillón de Don Otto“ – dem Sessel von Herrn Otto. Sie
       geht ungefähr so: Eines Tages berichtet Don Otto seinem Bruder Fritz, er
       habe seine Frau mit einem Liebhaber auf dem Sofa überrascht. Zornig erklärt
       er, dass er das nicht hinnehmen werde und eine drastische Lösung brauche.
       
       Einige Tage später treffen sich die Brüder wieder. Neugierig fragt Fritz:
       „Na, Otto, wie hast du das Problem gelöst?“ Don Otto grinst: „Problem
       gelöst: Ich habe das Sofa verkauft!“ Das Interessante an dieser Geschichte
       – einer Art ländlicher Parabel – ist, dass sie uns nicht nur dazu anregt,
       über unsere eigenen Reaktionen auf alltägliche Konflikte nachzudenken,
       sondern auch über die institutionellen Antworten, mit denen Gesellschaften
       versuchen, ihre inneren Spannungen zu bewältigen.
       
       In vielen Bereichen handeln wir noch immer wie Don Otto: Wir tauschen das
       Möbelstück aus, statt das eigentliche Problem anzugehen, und verkaufen
       kosmetische Korrekturen als tiefgreifende Reformen. Einer der Fälle, die
       diese Parabel aus soziopolitischer Perspektive besonders treffend
       verkörpern, ist der Umgang des politischen Systems mit der AfD. Die
       Geschichte von Don Otto eröffnet einen hilfreichen metaphorischen Zugang
       zur aktuellen Debatte über [2][ein mögliches Verbot dieser Partei].
       
       Zwar ist das Problem der AfD kein moralischer Fehltritt oder bloßer
       Vertrauensverlust wie im Fall eines untreuen Partners; die Lage ist
       erheblich ernster: Ihre offene Konfrontation mit demokratischen Werten und
       den Grundlagen des Rechtsstaats macht sie zu einer Bedrohung für genau jene
       Menschen, die dieser schützen soll. [3][Wenn AfD-Funktionäre die
       NS-Vergangenheit verharmlosen], Minderheiten angreifen und ein
       ausschließendes nationales Selbstverständnis propagieren, bleibt das nicht
       bei bloßer Rhetorik.
       
       ## Ein Verbot löst das Problem nicht
       
       All dies stellt eine Herausforderung dar, die keine Demokratie ignorieren
       darf. Wenn der Verfassungsschutz die AfD als „gesichert
       rechtsextremistisch“ einstuft, dann verlässt das Problem den Bereich bloßer
       subjektiver Meinungen und zeigt seine strukturelle Verankerung. Letztlich
       herrscht in der Partei ein [4][ethnisch-abstammungsmäßiges
       Volksverständnis] vor, das mit der freiheitlichen demokratischen
       Grundordnung unvereinbar ist.
       
       Insofern scheint dies auf den ersten Blick ein hinreichendes Argument für
       ein Parteiverbot zu liefern. Dennoch gibt es einen Aspekt, der im
       öffentlichen Schlagabtausch oft übersehen wird. Ungeachtet der objektiven
       Argumente, die ein mögliches Verbot der AfD stützen, darf man nicht
       ignorieren, dass eine solche Entscheidung Züge annehmen könnte, die uns
       wieder an Don Ottos alten Sessel erinnern.
       
       Denn so sehr sich die Demokratie vor jenen schützen muss, die sie
       gefährden, so illusorisch wäre es zu glauben, ein Parteiverbot würde
       automatisch beziehungsweise „per Dekret“ solche Einstellungen und Praktiken
       auflösen, die diese Partei prägen – seien es historischer Relativismus,
       Diskriminierung, kulturelle Ausgrenzung oder ethnisch definierter
       Nationalismus.
       
       Wie im Fall von Don Otto liegt das Problem auch hier nicht allein in der
       trügerischen Komfortzone dessen, der glaubt, eine unerwünschte Situation
       durch sein Handeln zu lösen, sondern vielmehr darin, dass gerade dadurch
       die eigentlichen, tiefer liegenden Probleme überdeckt bleiben. Obwohl man
       glaubt, das Problem an der Wurzel gepackt zu haben, ist es in Wahrheit nur
       oberflächlich übertüncht.
       
       ## Riskantes Terrain
       
       Das führt letztlich zu einer Verschiebung der Problemlösung und könnte das
       zugrunde liegende Szenario sogar weiter verschärfen. Ein anschauliches
       Beispiel für diese Dynamik zeigt sich bereits im Versperren des
       demokratischen Wegs für dieses politische Lager. Als Frage formuliert:
       Welche Lehre würden AfD-Wähler daraus ziehen, wenn sie feststellen, dass
       ihnen die Möglichkeit genommen wird, ihre Vorstellungen demokratisch
       einzubringen?
       
       Die Paradoxie eines Verbots liegt darin, dass man im Namen der Demokratie
       jene Anreize schwächen könnte, die ideologische Konflikte im
       institutionellen Rahmen halten. Dadurch drohen diese Konflikte in ein
       unvorhersehbares und riskantes Terrain abzurutschen. Episoden wie die
       Putschpläne der Reichsbürger deuten schon an, in welche
       außerinstitutionelle Richtung sich Bewegungen entwickeln können, wird ihnen
       der politische Weg versperrt.
       
       Gewiss könnte eine Entscheidung, die AfD zu verbieten, und dabei im
       Verfahren zu scheitern, noch größeren Schaden anrichten. Ein solcher
       Fehlschlag würde der Partei womöglich einen Märtyrerstatus verleihen, sie
       zur Opferfigur stilisieren und ihr damit sogar zusätzlichen Aufschwung
       liefern. Doch schon diese knappe Einschätzung der Erfolgsaussichten eines
       Verbots lädt dazu ein, über ein Problem nachzudenken, das die deutsche
       Gesellschaft insgesamt durchzieht und weder mit der AfD beginnt noch mit
       ihr endet.
       
       Gemeint ist das Beharren jener kollektiven Milieus, in denen Geschichte
       umgeschrieben wird, Diskriminierung zum Alltag gehört, der Wert der
       Menschenrechte erodiert und die Institutionen, die für ihren Schutz
       zuständig sind, infrage gestellt werden. Natürlich kann es verlockend sein,
       sich wie Don Otto des Sessels zu entledigen – der Fahne, der plakativen
       Propaganda. Klar ist das einfacher und billiger, als sich dem strukturellen
       Problem zu stellen. Am Ende kommt aber das Billige teuer zu stehen.
       
       Der Punkt besteht nicht darin, ein Verbot der AfD pauschal abzulehnen,
       sondern zu verstehen, dass es das Problem nicht löst und die Notwendigkeit
       nicht ersetzt, dem entgegenzutreten, was aus Bequemlichkeit ausgeblendet
       wird. Letztlich geht es darum, die Ideologie der Intoleranz konsequent zu
       bekämpfen – im Bewusstsein, dass es wenig nützt, den Sessel hinauszuwerfen,
       wenn der Verlauf jener „Beziehung“ nicht thematisiert wird, nämlich: die
       Erzählungen, Vorurteile und kollektive Trägheit, die ihm zugrunde liegen.
       
       4 Dec 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://es.wikipedia.org/wiki/Otto_y_Fritz
 (DIR) [2] /AfD-Verbot/!t6043524
 (DIR) [3] /Verharmlosung-von-Rechtsextremismus/!6015092
 (DIR) [4] /AfD-Jugend-Generation-Deutschland/!6132388
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rafael Alvear
       
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