# taz.de -- Streit um Aleviten-Mahnmal: Kein Platz fürs Gedenken?
       
       > Die Dersim-Kulturgemeinde will ein Denkmal für die 1937/38 ermordeten
       > Aleviten errichten. Widerstand kommt von der Türkischen Gemeinde.
       
 (IMG) Bild: Türkische Soldaten mit Gefangenen in Dersim (1938)
       
       Dass sich in einer Stadt wie Berlin Konflikte ergeben können, wenn
       unterschiedliche Perspektiven auf eine schmerzliche Vergangenheit prallen,
       ist gerade in Friedrichshain-Kreuzberg zu erleben. Hier entbrannte Ende
       letzten Jahres eine Diskussion über ein Denkmal für die in den Jahren
       1937/38 ermordeten zazaischen und kurdischen Aleviten in der
       ostanatolischen Provinz Dersim (siehe Infokasten).
       
       Kemal Karabulut, der Vorsitzende der Dersim-Kulturgemeinde Berlin, trat
       damals mit einem lange gehegten Wunsch seiner Gemeinde an Bezirkspolitiker
       heran. „Die Dersimer sehnen sich nach einem Ort, an dem sie um ihre
       getöteten Großväter und -mütter trauern können“, sagt Karabulut. Der Bezirk
       berät seitdem, ob und wie er das Projekt verwirklichen kann.
       
       ## Massaker oder Genozid?
       
       Widerstand dagegen kam unter anderem von der Türkischen Gemeinde zu Berlin
       (TGB). „Die Dersim-Gemeinde kann gerne in ihren eigenen Vereinsräumen eine
       Gedenktafel aufstellen“, sagt ihr Sprecher Bekir Yilmaz. Er regt sich viel
       mehr über die Bezirkspolitiker auf. Diese mischten sich zu sehr in
       Angelegenheiten ein, über die sie sich kein Urteil erlauben könnten. „Damit
       stößt der Bezirk einen Teil der Bevölkerung vor den Kopf“, gab die
       Türkische Gemeinde Ende Juni zu bedenken.
       
       Gemeint sind 76 Berliner Vereine mit rund 100.000 Mitgliedern, die die TGB
       nach eigenen Angaben repräsentiert. Der Bezirk solle sich nach ihrer
       Ansicht besser beispielsweise um die „Eindämmung der Gewalt“ rund um das
       Kottbusser Tor in Kreuzberg kümmern.
       
       Umstritten ist vor allem, wie die Ereignisse in den Jahren 1937/38 zu
       bewerten sind: Handelt es sich dabei um ein Massaker oder um einen von der
       damaligen türkischen Regierung organisierten Genozid? „Der Bezirk ist mit
       diesen Fragen überfordert“, glaubt Timur Husein. Der wissenschaftliche
       Referent für Verfassungsschutz der CDU-Fraktion hat noch ganz andere
       Bedenken: „Den Anfang macht vielleicht die Dersim-Gemeinde. Andere
       Opfergruppen wie Bosnier oder Tschetschenen könnten mit Forderungen folgen.
       Ich will keine Diskussion über Weltpolitik im Bezirk“, sagt Husein, der
       auch CDU-Kandidat in Friedrichshain-Kreuzberg für die Abgeordnetenhauswahl
       ist.
       
       Reza Amiri von der Linken hält dagegen: Bisher habe nur die Dersim-Gemeinde
       einen Antrag an den Bezirk gestellt. Alle Fraktionen bis auf die CDU
       unterstützen ihn. Ende Juli erklärten sie in einem offenen Brief, dass der
       TGB so tue, „als gingen diese Massaker die in unserem Bezirk und in Berlin
       lebende Bevölkerung nichts an“.
       
       Kemal Karabulut spricht von rund 40.000 Dersimern allein in Berlin. „Es
       gibt kaum eine Familie, die nicht Verluste aus den Jahren 1937/38 zu
       beklagen hat“, sagt er. Die Haltung der TGB sei typisch für Leugner
       historischer Tatsachen in der Türkei.
       
       „Am Beispiel der Dersim-Gemeinde sieht man, was sich hierzulande gerade
       verändert: Die Erinnerungs- und Gedenkkultur in Deutschland wird um die
       Erinnerung der Zugewanderten erweitert“, stellt Aleida Assmann fest. Die
       Literatur- und Kulturwissenschaftlerin beschäftigt sich seit drei
       Jahrzehnten mit Erinnerungskultur, auch mit Blick auf die
       Einwanderungsgesellschaft. „Es gibt ein Menschenrecht auf Erinnerung“, sagt
       Assmann. „Es kommt nur darauf an, wie Menschen sie inszenieren.“
       
       ## Ein Wort: Tertele
       
       Handelt es sich zum Beispiel bei erlebten Gräueltaten um ein Genozid,
       fühlten sich die Opfer oder ihre Nachfahren als Teil einer exklusiven
       Gruppe? Die Folge könne Abschottung sein, meint Assmann. Der Begriff
       „Genozid“ werde allerdings inflationär gebraucht. Für Karabulut indes steht
       fest: „Es war ein Genozid.“ Die Dersimer haben dafür ein Wort: Tertele.
       
       Das Denkmal der Dersim-Gemeinde wäre allerdings kein Novum. Schon seit
       Mitte April dieses Jahres steht vor der St.-Hedwigs-Kathedrale in Mitte ein
       Kreuzstein zum Gedenken an die Opfer des Genozids an den Armeniern im
       Jahre 1915. Und seit Anfang der 90er Jahre erinnert eine Gedenkstele am
       Kottbusser Tor an den 1980 von türkischen Faschisten ermordeten Kommunisten
       Celalettin Kesim.
       
       Expertin Assmann beobachtet, welch große Wirkung eine symbolische Geste
       haben kann: „Sie kann die Isolation der Opfer und ihrer Nachkommen
       durchbrechen.“ Ein Denkmal wäre eine solche Geste.
       
       Dessen Befürworter planen nun zunächst ein Kolloquium, das frühestens im
       November stattfinden wird: „Erinnerungskultur in der Migrationsgesellschaft
       am Beispiel der Dersim-Gemeinde“.
       
       18 Aug 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hülya Gürler
       
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