# taz.de -- Referendum in Italien: Spiel mit der Apokalypse
       
       > Italien steht kurz vor der Verfassungsreform: Für Ministerpräsident Renzi
       > geht es um alles oder nichts. Die Ablehnung scheint zu überwiegen.
       
 (IMG) Bild: Noch einmal tief Luft holen, bevor es zur Sache geht
       
       Wenn Wahlen etwas ändern könnten, wären sie verboten“: diesen Spruch
       sprühten Autonome früher gern an die Häuserwände deutscher Großstädte.
       Vergangene Zeiten, heute schütteln Volksvoten die politischen Systeme der
       westlichen Welt durch. Im Juni der Brexit, im November Donald Trumps
       Triumph – jetzt ist Italien an der Reihe.
       
       Am 4. Dezember werden die Bürger dort über eine neue Verfassung abstimmen,
       und es sieht nicht gut aus für Ministerpräsident Matteo Renzi. Alle
       Meinungsforschungsinstitute sind sich einig, dass die Ablehnung überwiegt.
       Damit droht Renzis wichtigstes Projekt zu scheitern, seine Karriere ein
       vorschnelles Ende zu finden. Aber was käme nach Renzi? Beppe Grillo etwa
       mit seiner Protestbewegung „Fünf Sterne“, die mit dem Austritt des Landes
       aus dem Euro liebäugelt?
       
       Am Freitag vergangener Woche wurden die letzten Umfragen vor der Abstimmung
       veröffentlicht; die ermittelten Werte sind eindeutig: Kein Institut sieht
       die Befürworter der Verfassungsreform vorn, im Durchschnitt aller Umfragen
       kommt das Nein auf 55, das Ja auf 46 Prozent.
       
       ## Widerstände ignorieren
       
       Es wäre das Aus für eine Reform, die Italien endlich stabile Regierungen
       bescheren sollte. Ihr Kern ist der Abschied vom „perfekten
       Zweikammersystem“. Bisher nämlich haben in Italien das Abgeordnetenhaus und
       der Senat exakt die gleichen Vollmachten, müssen beide Häuser der Regierung
       das Vertrauen aussprechen, verabschieden sie beide sowohl den
       Staatshaushalt als auch sämtliche Gesetze, und wenn der Senat auch nur ein
       Komma an einem vom Abgeordnetenhaus verabschiedeten Gesetzestext ändert,
       muss der Entwurf zurück ins Abgeordnetenhaus.
       
       Das soll jetzt ein Ende haben. Der Senat soll von 315 auf 100 Mitglieder
       verkleinert werden, die zudem nicht mehr direkt gewählt, sondern von den
       Regionen entsandt würden. Zudem soll die zweite Kammer kaum noch etwas zu
       sagen haben. Ihr bliebe – außer bei Verfassungsänderungen oder bei
       internationalen Verträgen – nur ein aufschiebendes Veto, das vom
       Abgeordnetenhaus überstimmt werden kann. Ein weiterer Kernpunkt ist die
       Stärkung des Zentralstaats gegenüber den Regionen. Mit der neuen Verfassung
       könnte die Regierung in Rom zum Beispiel bei Infrastrukturprojekten
       Widerstände der Regionalregierungen ignorieren.
       
       Als weiteren Stabilitätsanker ließ Renzi zudem ein neues Wahlrecht
       verabschieden. Danach hat in Zukunft jene Partei, die mehr als 40 Prozent
       der Stimmen gewinnt, automatisch im Abgeordnetenhaus 340 der 630 Sitze.
       Kommt keine Partei auf 40 Prozent, gehen die beiden stärksten in die
       Stichwahl, und der Sieger erhält die absolute Mehrheit der Sitze.
       
       Vor allem das Zusammenspiel von Verfassungs- und Wahlrechtsreform
       mobilisiert die Gegner der Reform. Silvio Berlusconis Forza Italia, die
       rechtspopulistisch-fremdenfeindliche Lega Nord, Beppe Grillos
       Fünf-Sterne-Bewegung, aber auch die linken Minderheitsflügel aus Renzis
       Partito Democratico warnen, Italien werde so zu einem Staat, in dem „ein
       Mann allein das Kommando“ habe, auch wenn seine Partei im ersten Wahlgang
       nur 25 Prozent der Stimmen auf sich vereint habe.
       
       Die Neinfront von Faschisten über Grillo bis zu Linksradikalen nennt Renzi
       einen „wild zusammengewürfelten Haufen“, geeint im Willen, dem Land
       „weitere 30 Jahre Stillstand“ zu bescheren. Und ausgerechnet der seit fast
       drei Jahren amtierende Regierungschef tönt wie ein Vertreter der
       Fundamentalopposition, seine Reform sei gegen die „Kaste“ der alten
       Politiker gerichtet, sie reduziere die Zahl der Parlamentarier, sie senke
       die Kosten. Die Neinsager dagegen verteidigen ihre Pfründen, ihre
       Privilegien. Renzi verteilt mit dem Staatshaushalt 2017 Wahlgeschenke,
       Rentenerhöhungen, Subventionen für Arbeitsplätze im Süden. Und er legt sich
       mit dem in Italien einigermaßen unpopulären Europa an. Die EU habe ihm zum
       Haushalt „gar nichts zu sagen“, „die Zeit der Diktate ist vorbei“,
       verkündet er – und ließ sich im Palais des Ministerpräsidenten vor neuer
       Kulisse filmen. Dort war nur noch die italienische Trikolore zu sehen, die
       Europaflagge hatte er entfernen lassen.
       
       ## Warnung vor der Demokratur
       
       Eine miserable Reform habe Renzi vorgelegt, argumentieren die Gegner und
       warnen vor einer Demokratur. Dabei stimmen die meisten Wähler weniger über
       die Reform selbst als über den Fortbestand der Regierung Renzi ab. Und die
       Tatsache, dass Italien auch nach über 1.000 Tagen unter dem sich immer
       dynamisch gebenden Premier mit einem Wachstum von gerade mal 0,8 Prozent im
       Jahr 2016 und mit weiterhin über drei Millionen Arbeitslosen wirtschaftlich
       einfach nicht auf die Füße kommt, hat das Ansehen der Regierung drastisch
       sinken lassen.
       
       Das Spiel mit der Apokalypse beherrschen aber auch die Verfechter des Ja.
       Was, wenn das Nein gewinnt, und am 5. Dezember steht Italien wieder einmal
       ohne Regierung da? Renzi sagt, dass er im Fall einer Niederlage die Segel
       streichen werde, dass er nicht dafür geschaffen sei, bloß um der Macht
       willen „dahinzudümpeln“. Stünde das Land solide da, wäre das keine Drohung,
       sondern demokratische Normalität. Doch momentan genießt Italien die
       zweifelhafte Ehre, als potenzieller Sprengsatz in der Eurozone zu gelten.
       Schon ist der Spread, der Zinsabstand zwischen italienischen und deutschen
       Staatsanleihen, im letzten Monat von knapp 1 auf knapp 2 Prozent
       geklettert.
       
       „Gar nichts ändern“ werde sich mit einem Sieg des Nein, versuchen die
       Renzi-Gegner ihre Wähler zu beschwichtigen. Schließlich votieren die
       Italiener ja nicht über einen Ital-Exit, schließlich werde der Sieg des
       Nein bloß bedeuten, dass es in Italien weitergeht wie bisher, mit der alten
       Verfassung, die seit knapp 70 Jahren in Kraft ist. Und sofortige Neuwahlen,
       gar mit einem Sieg Beppe Grillos und der Fünf-Sterne-Bewegung sind sowieso
       ausgeschlossen. Denn ein Sieg des Nein hieße ja auch, dass beide Kammern
       des Parlaments gleichberechtigt weiterexistieren. Dumm nur, dass Renzi das
       Wahlrecht mit dem dicken Mehrheitsbonus lediglich für das Abgeordnetenhaus
       eingeführt hat. Der Senat dagegen würde nach purem Proporz gewählt. Selbst
       wenn Grillo, mit 30 Prozent im ersten Wahlgang, das Abgeordnetenhaus
       erobern sollte, hätte er 70 Prozent der Senatoren gegen sich.
       
       Ein Sieg des Nein würde den Sturz Renzis bedeuten, nicht jedoch zu einem
       schnellen Fünf-Sterne-Umsturz führen. Staatspräsident Sergio Mattarella
       würde wahrscheinlich einen Übergangspremier benennen mit dem Auftrag, ein
       neues Wahlgesetz auszuarbeiten. Eine solche Regierung bräuchte die
       Unterstützung von Renzis Partito Democratico, aber ein alter Bekannter wäre
       womöglich auch wieder im Geschäft: der totgeglaubte Silvio Berlusconi.
       
       27 Nov 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Braun
       
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