# taz.de -- Rapper Chefket im Interview: „Populismus in Rap-Form“
       
       > Gangsta-Rapper reproduzieren nationale Stereotype und regen sich dann
       > über die rassistische Masse auf, kritisiert der Rapper Chefket. Ein
       > Gespräch.
       
 (IMG) Bild: Wuchs in Süddeutschland aus und wohnt jetzt im „urbanen Mallorca“ Berlins: Rapper Chefket beim taz-Gespräch
       
       taz: Herr Dirican … 
       
       Chefket: Du kannst Chefket sagen. So kennen mich ja die allermeisten.
       
       Okay, also Chefket. 2005 bist du nach Berlin gezogen. Von Plattenverträgen
       und Chart-Erfolgen war noch nichts zu sehen, oder? 
       
       Damals habe ich Hartz IV beantragt. Ich habe mir lange gesagt, ich schaffe
       das auch ohne. Bis ich einmal kein Geld mehr für ein Busticket hatte. Ich
       habe jemanden nach Geld gefragt, und der hat gesagt: Na klar. Aber dann hat
       er mir den Talk gegeben: Warum beantragst du nicht Hartz IV, das ist dein
       Recht. Deine Eltern haben immer ihre Steuern gezahlt, durften noch nie
       wählen, und du brauchst es doch wirklich.
       
       Wie hast du davor überlebt? 
       
       Mit Kindergeld und billigen WGs. Ich habe für 100 Euro in der
       Spanheimstraße am Gesundbrunnen gewohnt mit zwei Schwäbinnen aus Stuttgart,
       die ihr eigenes Brot gebacken haben. Danach habe ich entschieden: Nicht
       mehr mit Schwaben zusammenwohnen! (lacht)
       
       Du bist im Jahr 1986 im schwäbischen Heidenheim an der Brenz geboren, hast
       mit deinen drei älteren Schwestern in der Lessingsstraße gewohnt, hast das
       Schillergymnasium besucht. Klingt doch nach einer idyllischen Kindheit. 
       
       Ich bin in der Oststadt aufgewachsen, einem Arbeiterviertel. Als Lausbub
       stahl man beim Nachbarn Zwetschgen und Äpfel. Statt einer
       Schneeballschlacht macht man eine Apfelballschlacht. Man sägte seine
       Luftpumpe ab, steckte Weinkorken rein und schoss sich damit ab. Alle
       Nachbarhäuser waren quasi Familie. Nebenan waren Pferdekoppeln. Ich bin
       aufgewachsen in den 90ern, in den goldenen Zeiten. Wir waren Italiener,
       Polen, Türken, Russen. Durch die viele Industrie gab es keine Arbeitslosen.
       Alle hatten Arbeit, allen ging es gut. Wie willst du da schlecht drauf
       sein?
       
       Die 90er hießen auch: Solingen, Mölln, Rostock-Lichtenhagen. 
       
       Präsenter war für mich der Golfkrieg. Ich dachte: Die Welt geht jetzt
       unter. Ich meine mich daran zu erinnern, dass damals in den Nachrichten
       kam, dass Saddam Hussein absichtlich Öl ins Meer hatte fließen lassen, um
       Tiere zu töten. Vögel, die versuchen, im Öl zu überleben. Dämonisch.
       
       Die Welt ist also woanders untergegangen? 
       
       Definitiv. Solingen und so weiter, das habe ich nicht sofort mitbekommen.
       Erst später wurde mir das bewusst. Das ist mal kurz wie ein Pop-up
       aufgeblinkt. Zack! Und dann war es wieder weg. Ende der 80er waren die
       Türken so akzeptiert, dass diskutiert wurde, ob sie trotz eines türkischen
       Passes wählen dürfen. Man hat sich immer mehr als Teil der Gesellschaft
       gesehen. Und ab dem Mauerfall war das plötzlich weg. Da ist ein großer
       Rückschritt passiert. Die Türken, die hier bereits seit zwei Generationen
       waren, wurden vergessen. Man hat gesagt: erst die Deutschen und dann die
       Türken.
       
       Was hat das verändert? 
       
       Es hat dazu geführt, dass viele Türken plötzlich in der Schwebe waren und
       sich nicht repräsentiert gefühlt haben. Immer mehr von ihnen sind
       nationalistischer geworden oder ins Religiöse, Fundamentalistische
       abgedriftet, weil sie eine Identität und eine Zugehörigkeit gesucht haben.
       Ich lese heute Tweets von Leuten mit türkischem Background, die schreiben:
       Als die Mauer fiel, hatten wir schon 30 Jahre Steuern gezahlt. Dann
       entwickeln sich Stereotypen und Zugehörigkeitsmechanismen. Man darf nicht
       unterschätzen, wie verletzend das war. Ich will nicht ausgegrenzt werden,
       also grenze ich mich selbst ab. Dann lebt man nicht miteinander, sondern
       nebeneinander. Man redet nicht miteinander, sondern übereinander. Heute
       habe ich übrigens ziemlich viel mit Ostdeutschen zu tun. Mit denen fühle
       ich mich teilweise verbundener – weil bei ihnen wie auch im orientalischen
       Bereich Familie und Zusammenhalt wichtig sind. Außerdem sind Ostdeutsche
       auch von Diskriminierung und Vorurteilen betroffen.
       
       „Ob du oder ich, es gibt keine Differenz. Du bist ein Mensch, ich bin ein
       Mensch.“ Kennst du die Zeile? 
       
       Das ist Fresh Familee mit dem Song „Ahmet Gündüz“, 1993. Ich fand krass,
       wie Fresh Familee über die deutsch-türkische Identität geredet hat. Ich
       fand das sehr wichtig. Für viele, glaube ich, war es ein bisschen zu funky.
       Die dachten: Das ist ein zu ernstes, politisches Thema, um so darüber zu
       rappen.
       
       Wie bist du zum Rap gekommen? 
       
       Als ich zehn oder elf Jahre alt war, da gab es ein paar Jungs, die haben
       von den amerikanischen GIs Breakdance gelernt. Und es dann den anderen
       beigebracht. Damals ging es nur um deine Skills. Wenn du gut tanzen
       konntest, gehörtest du dazu, wenn du gut rappen konntest, auch. Aber
       damals gab es nicht so viele Rapper. Es ging mehr ums Tanzen. Ich habe nur
       gerappt, weil ich mir damals die Hand gebrochen hatte. So bin ich Rapper
       geworden.
       
       Deinen ersten Raptext hast du noch auf Englisch geschrieben. Klingt nach
       einer klassischen HipHop-Sozialisation, wie sie heute kaum noch vorkommt. 
       
       Wir sind noch mit englischem HipHop aufgewachsen. Heutzutage wachsen die
       Jugendlichen mit deutschem HipHop auf. Es ist selbstverständlicher, in der
       eigenen Sprache zu rappen. Vielleicht ist dadurch auch die Bedeutung der
       Worte in den Hintergrund getreten. Wenn du damals auf Deutsch rappen
       wolltest, dann musste es wirklich on point sein. Aber je
       selbstverständlicher das Rappen auf Deutsch wurde, desto mehr geht auch
       durch, was nicht tight ist.
       
       2001 solltest du Abi machen, hast aber abgebrochen. Was hast du gemacht,
       bis du nach Berlin gezogen bist? 
       
       Meiner Mutter zuliebe habe ich die Fachhochschulreife nachgeholt und bin
       staatlich geprüfter Wirtschaftsassistent geworden. Dann bin ich ein ganzes
       Jahr zu Hause geblieben und habe meinen Eltern gesagt: Ich möchte
       versuchen, ganze allein ein Album zu produzieren. Ein Rap-Album mit
       zehnsilbigen Reimen. Absoluter Nerdshit. Damals hieß ich noch Chef-Ket.
       Später habe ich das Album für fünf Euro vor Clubs verkauft und bin mit dem
       Geld feiern gegangen. Von dem Album existiert nur noch eine Kopie, und die
       besitze ich.
       
       Eine typische HipHop-Geschichte. 
       
       Du hast immer die Katze im Sack gekauft. Heute weiß man genau, was man
       bekommt. Es ist Wahnsinn, was für ein Billigprodukt Musik geworden ist. Da
       setze ich mich drei Jahre hin, mache ein Album, dann kommt es raus, und
       jemand hört nur mal kurz beim Scheißen rein. Aber wenn einer es liebt, dann
       hört er es vielleicht 100-mal, und man verdient beim Streaming 100-mal
       dran statt nur einmal durch die CD.
       
       Ist Berlin die Hauptstadt des Deutschrap? 
       
       Ja. Hier gab und gibt es Cypher, Underground-Stuff, Labels. Wichtig ist
       auch die Anonymität. Nur weil man ein bisschen rappen kann, wird man hier
       nicht gleich verhätschelt. Man muss erst mal abliefern. Meine
       Freestyle-Sessions am Anfang meiner Berlin-Zeit waren auf jeden Fall eine
       gute Schule für mich.
       
       Du machst keinen Gangsta-Rap. Hast du Kontakt zu Berliner Gangsta-Rappern? 
       
       Mit dieser Teilszene habe ich eigentlich gar nichts zu tun – und ich bemühe
       ich auch nicht darum. Natürlich lernt man ab und zu mal „Gangsta-Rapper“
       kennen, aber das verfeinert dann nur das Bild über die Person. Niemand ist
       durch und durch asozial. Jeder, der Musik macht und Texte schreibt, besitzt
       ja eine gewisse Sensibilität.
       
       Kein Rapper ist privat so asozial wie die Texte, die er rappt? 
       
       Das funktioniert nach dem Prinzip Angebot und Nachfrage. Das Publikum
       möchte Gangsta-Rap hören. Ich bin der Letzte, der auf irgendwelche Leute
       zeigt und ihnen vorschreibt, was sie zu tun haben. Aber dann muss man auch
       mit den Konsequenzen leben, wenn man solche Musik macht.
       
       Welche Konsequenzen sind das? 
       
       Den Stereotyp-Kanaken darzustellen und sich gleichzeitig über die
       rassistische breite Masse aufzuregen ist ein bisschen widersprüchlich. Du
       musst auch verstehen, warum dich jemand als Bürger zweiter Klasse sieht,
       wenn du dich so gibst, um Geld zu verdienen. Andererseits, wenn du coolen
       Rap machst, aber die Journalisten berichten nur über die Messerstecher und
       die Gangster, dann ist das auch nicht richtig. Das ist Populismus in
       Rap-Form.
       
       Du singst auf deinem neuen Album in dem Track „Aufstehen“ unter anderem
       über eine Kulturschaffende, die vor die Wahl gestellt wird: Familie oder
       Karriere. Gab es dafür ein wahres Vorbild in deinem Leben? 
       
       Es sind eher mehrere reale Personen und Probleme, die ich zusammengepackt
       habe. Da war zum Beispiel eine Frau, die nur einen befristeten
       Arbeitsvertrag bekommt, damit die neue Firma im Zweifelsfall nicht einen
       Schwangerschaftsurlaub bezahlen muss.
       
       War es dir ein Anliegen, über ein Thema zu rappen, das dich nur indirekt
       betrifft? 
       
       Ich wollte mich mal zurücknehmen. Sonst ist Rap nonstop selbstreferenziell.
       Der Impuls für den gesamten Song war eine Frage, die mir ein
       Strandverkäufer in Didim in der Türkei gestellt hat: „Würdest du das, was
       du gerade tust, auch noch machen, wenn du Millionär wärst“? Aufgrund dieses
       Songs bekomme ich immer wieder lange E-Mails von Menschen, die schreiben,
       dass sie gern ihren Job schmeißen würden, es aber wegen der Kinder nicht
       tun.
       
       Vor zehn Jahren hast du gerappt: „Ich bin ein Krieger des Lichts“. Wörter
       wie Seele, Schicksal oder Pfad sind gefallen. Heute wirken deine Texte
       bodenständiger. Warst du früher spiritueller? 
       
       Definitiv. Das lag auf jeden Fall an meinem Glauben an Gott. Und das habe
       ich damals viel mehr senden wollen. Das fand ich wichtig zu der Zeit. Aber
       teilweise hatte ich Probleme, einen spirituellen Song in einem Club zu
       performen. Alle sind high und besoffen. Mein letztes Album heißt „Alles
       Liebe (Nach dem Ende des Kampfes)“. Die Liebe zu Gott, die Liebe zur
       Familie. Das Spirituelle ist noch da, aber auf andere Art und Weise, weil
       Gott eben auch Liebe ist für mich – wie man es auch nennen will. Jeder soll
       selbst entscheiden. Ich will niemanden bekehren.
       
       In deinen Songs thematisierst du immer wieder ein Fremdsein zwischen
       Ländern und Kulturen und wie du irgendwann angefangen hast, deine Fremdheit
       zu akzeptieren. Hast du je deine Eltern beneidet, die 2005 in ihr
       Geburtsland zurückkehren konnten und dort nicht auffallen? 
       
       Mein Vater ist Jahrgang 1939, meine Mutter 1945. Meine Mutter wurde am
       Ende, mein Vater am Anfang des Zweitens Weltkriegs geboren, 17 Jahre nach
       dem Fall des Osmanischen Reichs. Bis er acht Jahre alt war, besaß mein
       Vater keine Schuhe. Er hat am Fließband gearbeitet. Das war ein ganz
       anderes Leben. Meine Eltern haben es verdient, ihren Lebensabend an der
       Küste von Didim zu verbringen. Aber für sie hat sich auch viel verändert.
       Sie haben sich aus der Türkei rausgelebt. In den letzten 35 Jahren hat sich
       die Türkei gewandelt. Sie kommen zurück und finden etwas vor, was vorher
       nicht war.
       
       Wirst du, wenn du sie besuchst, in der Türkei als Almanci, als
       Deutschländer, erkannt? 
       
       Na klar, an den Klamotten, die du trägst, an der Sprache. Und wenn ich zu
       lange in der Türkei bin, wünscht sich der innere Hans in mir, dass der Bus
       pünktlich kommt. Ich vermisse die Ordnung, das Geregelte. Ich wohne seit 36
       Jahren in Deutschland und habe vielleicht einmal einen Stromausfall erlebt,
       nach einem krassen Sturm. Aber wenn du fünf Wochen in Didim Urlaub machst,
       fällt der Strom da zehnmal aus. Dann weißt du das alles noch mehr zu
       schätzen. Das ist bei meinen Eltern nicht anders gewesen.
       
       Wie ist es für dich in der Türkei? 
       
       Für mich ist es interessant, wenn man plötzlich zur Mehrheitsgesellschaft
       gehört. Du sitzt an einem Tisch in der Türkei, und es wird über Kurden
       gelästert, und ich sage: So könnt ihr doch nicht reden. Genauso reden Nazis
       über Türken in Deutschland. Damit mache ich die Stimmung kaputt. Aber das
       ist wichtig. In Deutschland wird man sensibilisiert dafür, was es heißt,
       einer Minderheit anzugehören und welche Verantwortung ich habe, wenn ich
       Teil der Mehrheitsgesellschaft bin. Deshalb fand ich #wirsindmehr so
       wichtig, weil sich Weiße aus der Mehrheitsgesellschaft gegen Rassismus
       äußern. Wenn wir Minderheiten das machen, wird gleich gerufen: Oh, ihr
       spielt schon wieder die Opferrolle, guckt doch mal, was ihr selber
       Schlechtes macht!
       
       Kürzlich hast du in Bezug auf Migrationsdebatten gesagt: „Wir haben eine
       Stimme, die unsere Eltern nicht hatten.“ 
       
       Wir haben jetzt eine Stimme, aber wir können sie noch nicht in die breite
       Masse tragen. Es muss etwas aus unserer Generation heraus passieren, damit
       wir von der breiten Masse nicht mehr nur als Dealer und Kriminelle gesehen
       und in irgendwelchen Filmen so dargestellt werden. Quincy Jones hat in den
       90er Jahren mit seiner Produktionsfirma – die hauptsächlich von
       Minderheiten betrieben wurde – „Fresh Prince of Bel-Air“ produziert: Darin
       ging es um eine schwarze Akademikerfamilie, in die Will Smith als Junge von
       der Straße hinzukommt. Das war eine intelligente Art, mit Vorurteilen
       umzugehen. Aber so weit sind wir in Deutschland noch lange nicht.
       
       Was hältst du von der Gangsta-Serie „4 Blocks“, die sich um arabische Clans
       in Neukölln dreht? 
       
       Ich bin einerseits froh, dass die Serie Erfolg hat, weil ich die Macher
       kenne. Aber in einem Land, wo Leute Reality-TV nicht von der Wirklichkeit
       unterscheiden können, kann ich nicht einschätzen, was sie für eine Wirkung
       hat. Natürlich ist es Fiktion und Kunst, aber mit klaren Parallelen zur
       Realität. Ich frage mich: Inwieweit führt diese Serie Leute zusammen und
       inwieweit teilt sie sie?
       
       Du wohnst jetzt in Friedrichshain. Bist du als westdeutscher Zugezogener
       dort nicht auch ein Gentrifizierer? 
       
       Der Zuziehende an sich ist nicht das Problem. Das Problem ist der
       Zuziehende, der der Stadt nichts zurückgibt. Ich habe zum Beispiel über
       zehn Jahre in keinem meiner Raptexte Berlin erwähnt, weil ich dachte, dass
       das mir noch nicht zustehen würde. Man sollte versuchen, mit der Stadt zu
       verschmelzen. Als zugezogener Schwabe oder Bayer sollte man sich auf jeden
       Fall nicht über zu laute Clubs beschweren.
       
       Sagst du heute über dich: Ich bin Berliner? 
       
       Auf jeden Fall. Ich wohne jetzt seit ungefähr acht Jahren im
       Simon-Dach-Kiez. Das ist ein urbanes Mallorca. Damals war ich einfach nur
       froh, eine Wohnung gefunden zu haben. Manchmal denke ich schon, dass es
       nicht schlecht wäre, in eine ruhigere Gegend zu ziehen.
       
       Zum Beispiel? 
       
       Der Grunewald wäre ganz gut. Es muss ja keine Villa sein.
       
       15 Dec 2018
       
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