# taz.de -- Protestbewegung in Myanmar: Generation Freiheit
       
       > Die Generäle in Myanmar wollen mit ihrem Putsch die Zeit zurückdrehen.
       > Doch die Jugend will die Freiheit, in der sie aufgewachsen ist, nicht
       > hergeben.
       
 (IMG) Bild: Bräute mit drei Fingern: Protest, cool und witzig, in Rangun am 10. Februar
       
       „Mein Ex ist schlimm, aber das Militär ist schlimmer!“ oder: „Ich will
       keine Diktatur, sondern einen Liebhaber!“ Mit solchen Slogans demonstrieren
       im konservativen Myanmar seit Tagen junge Menschen gegen den Militärputsch
       vom 1. Februar. Ihre auch in entsprechenden Hashtags verbreitete Botschaft
       an die Generäle: „Ihr legt euch mit der falschen Generation an.“
       
       Bisher haben sich die jungen Demonstrant:innen nicht von der
       Gewaltdrohung des Militärs und den ersten brutalen Polizeieinsätzen, bei
       denen schon vereinzelt scharf geschossen wurde, vom Protest abhalten
       lassen. Auch das am Montagabend erlassene Versammlungsverbot und das
       Kriegsrecht blieben bisher wirkungslos.
       
       Vielmehr gingen die landesweiten Massenproteste am Donnerstag weiter. In
       Myanmars größter Stadt Yangon (Rangun) versuchten auffällig viele Menschen,
       ihrem entschlossenen Protest humoristische Züge und einen
       Happeningcharakter zu geben.
       
       So ließen sich an der am Inya-See vorbeiführenden Hauptstraße junge
       Demonstrant:innen zu „Chill-ins“ auf Klappsesseln und aufblasbaren
       Sofas nieder, andernorts demonstrierten junge Frauen in Abend- und
       Brautkleidern als Prinzessinnenblock, und eine Riege von Bodybuildern
       erregte mit muskelgestählten nackten Oberkörpern Aufsehen.
       
       ## Pizza statt Politik
       
       Auch Minderheiten beteiligen sich an den Protesten. Muslime, Christ:innen
       und Hindus demonstrieren in ihren jeweiligen Regionen des Landes gegen das
       nationalistisch-buddhistisch ausgerichtete Militär. Myanmar werden von
       internationalen Beobachter*innen immer wieder Verbrechen gegen die
       muslimische Bevölkerungsgruppe der Rohingya vorgeworfen.
       
       In vielen Kleinstädten gibt es seit Tagen Mopedkonvois, bei denen junge
       Menschen ihren Übermut wie klassische Halbstarke gegen die Generäle
       gerichtet austoben – auch das ist erst möglich, seit es mit der politischen
       und wirtschaftlichen Öffnung der letzten Jahre etwas mehr Wohlstand gibt.
       Zuvor hatte das Militär das Land in den fünf Jahrzehnten seiner Herrschaft
       zum Armenhaus gemacht.
       
       „Die Kids, die nur K-Pop, Netflix und Pizza kennen, sind jetzt bei der
       Revolution dabei, obwohl sie von Politik nicht viel Ahnung haben“,
       kommentiert ein Mittdreißiger aus Yangon gegenüber der taz das
       Protestverhalten der Menschen um die 20. Sie werden in Myanmar als
       Generation Z bezeichnet, sind um die Jahrtausendwende oder danach geboren
       und folgten auf die sogenannte Y-Generation, benannt nach Y2K, also dem
       Jahr 2000.
       
       Während die Y-Generation nach der langen Isolation den Umgang mit Handys,
       Internet und der Globalisierung erst lernen musste, wuchs die Generation Z
       damit auf und nutzt diese völlig selbstverständlich. „Die sind schon
       smart,“ räumt der Mittdreißer ein.
       
       ## Durchs Internet genährtes Selbstbewusstsein
       
       Ein Beispiel: Wer sich früher in Yangon verlief und eine Person nach dem
       Weg fragte, konnte erleben, dass diese – nach Jahren der Schließung vieler
       Bildungseinrichtungen – kein englisches Wort verstand und noch nie einen
       Stadtplan gesehen hatte. Der wurde denn auch mal falsch herum gehalten und
       nur fragend angeschaut.
       
       Heute dagegen kann passieren, dass man bei der Frage nach dem Weg selbst
       fast mitleidig angeschaut wird und das jungdynamische Gegenüber dann ein
       Smartphone zückt und einem darauf per Google Maps den Weg weist.
       
       Doch könnte es für die junge Generation jetzt ein böses Erwachen geben,
       wenn ihr durchs Internet genährtes Selbstbewusstsein wie eine Blase platzt,
       weil das Militär die Entwicklung der letzten zehn Jahre mit Waffengewalt
       zurückdrehen will.
       
       Die Festnahme der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi durch das
       Militär hat den Menschen nicht nur ihre faktische Regierungschefin
       genommen, sondern unter dem Vorwurf angeblichen Wahlbetrugs auch ihre
       Stimmen bei der letzten Wahl für nichtig erklärt.
       
       Bisher ist das Internet und hier vor allem Facebook, das in Myanmar als
       Synonym für das Netz gilt, für die sich dort inszenierenden jungen Leute
       ein ganz wichtiger Resonanzraum, den sie jetzt auch zur Mobilisierung
       nutzen.
       
       Als das Militär wenige Tage nach dem Putsch versuchte, erst Facebook und
       dann das ganze Netz zu sperren, war das ein Schock. Der dürfte aber eine
       zusätzlich mobilisierende Wirkung gehabt haben, weil ein Leben ohne
       Facebook für Myanmars Jugend nicht vorstellbar ist.
       
       Natürlich gib es auch jetzt schon smarte „Kids“, die sich mit
       entsprechenden Programmen und Tools auf weitere Sperren vorbereiten. Und
       sie sind auch international so vernetzt, dass sie sich Taktiken von den
       studentischen Massenprotesten in Hongkong und Thailand abschauen und sich
       im Rahmen einer informellen sogenannten Milchteeallianz auf längerfristige
       Proteste vorbereiten.
       
       Diese Allianz ist allerdings auch nur eine im Netz geborene gemeinsame
       Identifikation einer Generation junger Asiat:innen, die autoritäre
       Herrschaftsformen bekämpfen.
       
       ## Vielfältiger Protest
       
       Neben dem bunten Protest junger Menschen fällt beim Widerstand gegen den
       Putsch in Myanmar die große Beteiligung von Beamten und Staatsangestellten
       auf. Sie wurden früher kurzgehalten und mussten den selbstherrlichen
       Generälen als Büttel dienen. Inzwischen haben jedoch auch sie mitbekommen,
       was eine moderne Verwaltung zum Nutzen der Bevölkerung sein kann, und
       wollen nicht wieder in die dunkle Vergangenheit zurück.
       
       Wenn ganze Belegschaften von Behörden, Instituten, Versorgungsbetrieben und
       Krankenhäusern jetzt gegen den Putsch protestieren, ist das für die
       Generäle so unerwartet wie für die Demonstrierenden riskant. Bei früheren
       Massenprotesten waren vor allem Studenten (1988) und Mönche (2007) führend.
       Jetzt ging die Kampagne zivilen Ungehorsams von den Mitarbeiter:innen
       staatlicher Krankenhäuser aus.
       
       Noch unerwarteter für die Putschisten und deshalb von der Protestbewegung
       besonders bejubelt sind Polizist:innen, die plötzlich den
       Drei-Finger-Protestgruß zeigen oder wie in Pathein ihre Barrikaden
       wegräumen und den Demonstrant:innen den Weg bahnen.
       
       Am Donnerstag hat eine 40-köpfige Polizeieinheit in Loi-kaw die Seite
       gewechselt. „Das hat es früher nicht gegeben“, schreibt der politische
       Analyst Khin Zaw Win, der wegen seiner Beteiligung an den Protesten 1988
       lange im Gefängnis saß.
       
       10 Feb 2021
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sven Hansen
       
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