# taz.de -- „Panorama“ wird 60: Immer gut unter Druck
       
       > Das NDR-Politmagazin „Panorama“ wird 60 – und ist kritisch geblieben.
       > Dabei war es seit Beginn Angriffen ausgesetzt, die erstaunlich aktuell
       > wirken.
       
 (IMG) Bild: TV-Journalist Rüdiger Proske war einer der Gründer von Panorama im Jahr 1961
       
       Der Jargon des Briefes an den Intendanten des NDR [1][wirkt aktuell]: „Nach
       der gestrigen,Panorama'-Sendung scheint kein Zweifel mehr daran zu
       bestehen, dass Ihre öffentlich-rechtliche Anstalt nunmehr dazu übergegangen
       ist, wohl angesichts der bevorstehenden Bundestagswahl, offen, unverhüllt
       und frech Wahlpropaganda für die Linke zu betreiben. […] Darf ich fragen,
       woher Sie den traurigen Mut hernehmen, für eine solche Fülle von
       Gemeinheiten auch noch höhere Zwangsgebühren zu verlangen?“
       
       Der Anlass: „Panorama“ hatte CDU und CSU in einem Beitrag vorgeworfen, sie
       versuchten, am rechten Rand Stimmen zu gewinnen. Könnte durchaus vor Kurzem
       gelaufen sein. Tatsächlich stammt der Brief aber von 1969, der Absender war
       Lothar Haase, CDU-Mann mit NSDAP-Vergangenheit, der NDR-Intendant hieß noch
       Gerhard Schröder (nicht zu verwechseln mit dem Gazprom-Lobbyisten), und die
       Partei, der Teile der Union nach Meinung von „Panorama“ zu nahe standen,
       war die NPD.
       
       Volker Steinhoff, seit 2009 Redaktionsleiter des Magazins, sagt: Zwar
       stünden seine Sendung und die Öffentlich-Rechtlichen generell „zurzeit
       schwer unter Beschuss aus einem kleinen, aber lautstarken Lager.“ Dabei
       werde aber „leicht übersehen“, dass dies für „Panorama“ „nichts Neues“ sei.
       In der Redaktion denkt man gerade intensiv über dieses Thema nach. An
       diesem Freitag feiert „Panorama“, das älteste Politikmagazin im deutschen
       Fernsehen, seinen 60. Geburtstag. Die Jubiläumssendung läuft am 10. Juni.
       
       Beiträge über Rechtsextremismus sind auch heute geeignet, Angriffe auf
       „Panorama“ auszulösen. 2019 fand in Hannover eine Demonstration statt, die
       sich gegen drei Journalisten richtete – darunter „Panorama“-Autor Julian
       Feldmann, der an Reportagen [2][über den in rechtsradikalen Kreisen
       bewunderten NS-Verbrecher Karl Münter] beteiligt gewesen war. Und im Sommer
       2020 führte ein „Panorama“-Beitrag über einen offenbar rechtsextremen
       Bundeswehroffizier zu Psychoterrorattacken gegen die Publizistin Natascha
       Strobl. Sie hatte auf Anfrage fünf Sätze geäußert, die in der TV-Fassung
       überhaupt nicht vorkamen, sondern nur in der Textversion.
       
       ## „Bild“-Forderungen umgesetzt
       
       Angegriffen wurde das Magazin aber eben von Anfang an. Zum Beispiel Gert
       von Paczensky, der erste Chefredakteur. „Der Spitzbart muss weg!“, forderte
       Bild 1963. Damit spielte das Boulevardblatt auf einen Slogan an, der sich
       ursprünglich auf einen anderen Spitzbartträger bezogen hatte: den SED-Chef
       Walter Ulbricht. Die CDU setzte die Bild-Forderung um: Die Mitglieder der
       Partei im NDR-Verwaltungsrat – der damals nur aus Vertretern der in den
       norddeutschen Bundesländern regierenden Parteien bestand – blieben diversen
       Sitzungen fern und verhinderten so, dass von Paczenskys Vertrag verlängert
       wurde.
       
       1971 war August von Finck Senior, ein einstiger Hitler-Bewunderer aus der
       Bankenbranche, aufgebracht, weil „Panorama“ einen Deal zwischen ihm und dem
       Freistaat Bayern kritisiert hatte. So gab er insgesamt 200.000 D-Mark aus,
       um in mehreren Tageszeitungen zwei Anzeigenseiten für eine Art
       Gegendarstellung zu buchen („Die Wahrheit über die,Panorama'-Sendung vom
       18. Januar 1971“).
       
       Heute ließe sich für einen Unternehmer eine ähnliche Wirkung praktisch
       kostenlos erreichen: mit einer Social-Media-Kampagne, die sämtliche Medien
       bereitwillig redaktionell aufgreifen und teilweise wohl noch zuspitzen
       würden. Auf denselben „Panorama“-Beitrag bezog sich der langjährige
       CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß, als er den NDR als „rote
       Reichsfernsehkammer“ bezeichnete.
       
       Eine der berühmtesten „Panorama“-Sendungen war mittelbar ein Ergebnis von
       Anfeindungen von außen: Ein Artikel in der Bild-Zeitung bewirkte, dass ein
       vom NDR-Programmdirektor bereits abgenommener Film, in dem eine Abtreibung
       zu sehen war, nicht gesendet werden durfte. Nachdem das Boulevardblatt
       gegen den geplanten Beitrag mobil gemacht hatte, votierte die Mehrheit der
       neun ARD-Intendanten gegen dessen Ausstrahlung.
       
       ## Ein Streik
       
       So kam es, dass „Tagesschau“-Sprecher Jo Brauner direkt im Anschluss an die
       Nachrichten – „Panorama“ lief damals um 20.15 Uhr! – eine Erklärung der
       Macher*innen des Magazins vortrug. Diese betrachteten die durch den
       Eingriff von oben „veränderte,Panorama'-Sendung nicht mehr als eine, die
       sie präsentieren und moderieren wollen“. Dazu muss man wissen, dass es
       damals Usus war, dass die Autor*innen ihre eigenen Beiträge
       anmoderierten.
       
       Dass sich Intendant*innen der ARD Druck von außen beugen, ist heute
       noch vorstellbar. Aber nicht, dass der Protest gegen das Einknicken direkt
       im Programm zur Sprache kommt.
       
       4 Jun 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /CDU-und-Werteunion/!5771781
 (DIR) [2] /Nach-Ueberfall-auf-Kameraden/!5567383
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) René Martens
       
       ## TAGS
       
 (DIR) NDR
 (DIR) Investigativer Journalismus
 (DIR) CDU
 (DIR) CDU-Parteivorsitzende
 (DIR) SOKO Tierschutz
 (DIR) NDR
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) CDU und Werteunion: Unvereinbarkeitsbeschluss, jetzt
       
       Wenn die CDU sich glaubhaft nach rechts abgrenzen will, muss sie mit der
       Werteunion brechen. Das geht – wenn Laschet es will.
       
 (DIR) Tierschutzskandale in Niedersachsen: Eine Schweinerei
       
       Ein Landwirt im niedersächsischen Ohne lässt Tiere qualvoll verrecken.
       Tierschützer filmen ihn. Wieder ein Einzelfall. Oder doch System?
       
 (DIR) Fragwürdige Reform beim NDR: Mit Hashtag in die Zukunft
       
       Der Norddeutsche Rundfunk baut die Hierarchieebenen um.
       Mitarbeiter*innen fürchten, dass der Journalismus darunter leidet.