# taz.de -- Gutachten zu Brokstedt-Attentäter: Psychisch krank aber schuldfähig
       
       > Der Psychiater und Gutachter Arno Deister hält den Attentäter Ibrahim A.
       > für schuldfähig. Dieser hatte 2023 in einem Zug auf Mitreisende
       > eingestochen.
       
 (IMG) Bild: Nun gibt es ein psyiatrisches Gutachten: Ibrahim A. beim Weg in den Gerichtssaal in Itzehoe am 15. April 2024
       
       Itzehoe taz | In welchem Zustand befand sich Ibrahim A. am 25. Januar 2023?
       Ihm wird zur Last gelegt, an diesem Tag mit einem Messer in einem
       Regionalzug bei Brokstedt [1][auf Mitreisende eingestochen] zu haben. Zwei
       Jugendliche starben, weitere Personen wurden schwer verletzt, eine Frau
       starb später infolge der Tat. War es Mord, wie die Staatsanwaltschaft ihm
       vorwirft, oder war der 34-Jährige, der aus Palästina stammt, [2][psychisch
       krank] und nicht schuldfähig?
       
       Der Psychiater und Gutachter Arno Deister vermutet eine posttraumatische
       Belastungsstörung (PTBS) des Angeklagten. Trotzdem sei A. in seiner
       Einsichts- und Steuerungsfähigkeit nicht eingeschränkt gewesen, sagt der
       Gutachter. Eine Unterbringung in der Psychiatrie und spätere
       Sicherungsverwahrung könne dennoch sinnvoll sein. Denn in einer normalen
       Haft könne A. eine Gefahr darstellen, und für die Zukunft seien weitere
       Taten nicht auszuschließen.
       
       Ibrahim A. schaute meist zu Boden während der Aussage des Gutachters,
       einmal bat er um eine Pause: „Kopfschmerzen.“ Deister hatte ihn im
       Verhandlungssaal beobachtet und einige Gespräche mit ihm geführt. Bei den
       Treffen wurde A., der seit 2014 als Staatenloser in Deutschland lebt, stets
       unruhig, wenn er über sein Leben in Gaza sprechen sollte, und brach die
       Gespräche ab.
       
       Entsprechend ausführlich ging Deister auf A.s mutmaßliche Erfahrungen in
       Gaza ein. Nicht alles ist klar, aber es gibt Aussagen über Haft und
       Verbrennungen durch die Hamas. Eine Ärztin, die A. kurz nach seiner Ankunft
       in Deutschland untersucht hatte, sprach von möglicher Folter, auch sie
       vermutete eine posttraumatische Belastungsstörung.
       
       Anfang 2022 kam A. wegen einer anderen Gewalttat in Hamburg-Billwerder in
       Untersuchungshaft, die fast ein Jahr dauerte. In dieser Phase seien weitere
       Symptome hinzugetreten, darunter Halluzinationen und verschobene
       Wahrnehmungen: „Die redeten mit mir aus der Heizung, auch aus der Lampe,
       die haben mich über den Fernseher gesehen“, hatte A. dem Gutachter gesagt.
       Die Ärzte, die ihn in jener Phase behandelten, berichteten von
       psychotischen Symptomen – die aber nach Deisters Ansicht nicht Ausdruck
       einer tatsächlichen Psychose gewesen seien, sondern Teil der PTBS. Die Zeit
       im Gefängnis habe eine Retraumatisierung bewirkt.
       
       Kurz ging der Gutachter darauf ein, ob Drogen eine Rolle gespielt haben.
       Hasch konsumierte A. bereits als Jugendlicher, in Deutschland kamen Heroin
       und Kokain hinzu – in welchen Mengen, sei unklar. Im Gefängnis [3][bekam er
       die Ersatzdroge Methadon]. Deister ließ durchblicken, dass er das etwas
       problematisch fand, da es keinen Beleg für eine Abhängigkeit gab. Möglich
       seien Entzugssymptome, als A. aus der U-Haft entlassen wurde, sie seien
       aber wohl nicht stark gewesen.
       
       Im Januar 2023 ordnete ein Gericht A.s Entlassung an, weil die Dauer einer
       möglichen Strafe erreicht war. Auf die Freiheit gab es keine Vorbereitung,
       obwohl A. obdachlos war. Die Kieler Ausländerbehörde, bei der der
       Staatenlose gemeldet war, wusste weder von der Haft noch von der
       Entlassung. Die Zusammenarbeit der Behörden zu verbessern, versprachen
       beide Landesregierungen nach der Tat. Passiert ist wenig, immerhin schuf
       Hamburg ein Entlass-Management für Untersuchungshäftlinge und
       Schleswig-Holstein richtete [4][eine Präventions-Ambulanz] ein.
       
       Damals war A. nach Kiel gefahren, um seine Papiere in Ordnung zu bringen.
       Auf der Rückfahrt geschah die Tat. Dass A. die Situation nicht real
       erlebte, hielt Deister für unwahrscheinlich. Zwar hätten einige Zeugen den
       Mann als teils emotionslos und unbeteiligt geschildert, andere ihn aber als
       zielgerichtet erlebt.
       
       Damit bestätigt der Gutachter die Staatsanwältin Janina Seyfert. Sie
       beschuldigt A. des Mordes und versuchten Mords. Grund für den Angriff auf
       die Unbeteiligten im Zug könnte demnach gewesen sein, dass er in Kiel seine
       Angelegenheiten nicht klären konnte. Zu Deister hatte A.gesagt, er sei von
       seinem späteren Opfer, einem deutschen Schüler, auf Arabisch beleidigt
       worden, dagegen habe er sich wehren müssen.
       
       26 Apr 2024
       
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 (DIR) Esther Geißlinger
       
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