# taz.de -- Urteil im Brokstedt-Prozess: Lebenslang für tödliche Attacke
       
       > Mit einem Messer ging Ibrahim A. in einem Regionalzug in
       > Schleswig-Holstein auf Fahrgäste los, zwei Menschen starben. Das Gericht
       > befindet auf Mord.
       
 (IMG) Bild: Ibrahim A. zu lebenslanger Haft verurteilt, hier wird er in Handschellen und Fußfesseln in den Gerichtssaal in Itzehoe geführt
       
       Itzehoe taz | Lebenslange Haft wegen Mordes und Mordversuchs mit besonderer
       Schwere der Schuld: Dieses Urteil fällte das Landgericht Itzehoe über
       Ibrahim A. und folgte damit dem Antrag von Staatsanwältin Janina Seyfert.
       
       Demnach hält es die Kammer um den Vorsitzenden Richter Johann Lohmann für
       bewiesen, [1][dass der heute 34 Jahre alte A. schuldfähig war], als er am
       25. Januar 2023 in einem Regionalzug von Kiel nach Hamburg wahllos auf
       Mitreisende einstach, zwei Menschen tötete und vier Menschen verletzte. A.
       habe töten wollen, auch wenn der Grund unklar bliebe, sagte Lohmann. „Eine
       Antwort auf das Warum können wir nicht geben.“ Allerdings wies er darauf
       hin, dass A[2][. sich in Billwerder mit dem Attentäter vom Berliner
       Breitscheidplatz verglichen hatte], also bereits seit längerem über einen
       Amoklauf nachgedacht haben könnte.
       
       „Es war eine außergewöhnliche Verhandlung um eine außergewöhnlich
       erschütternde Tat“, sagte Lohmann. [3][Seit Juni wird in einem Saal im
       Gewerbegebiet der Kreisstadt Itzehoe verhandelt], über 90 Zeug:innen
       hörte das Gericht. Dabei ging es darum, die Abläufe im Regionalzug zu
       rekonstruieren, aber auch, ein Bild von A.s psychischem Zustand zu
       erhalten: Die Frage, [4][ob er während der Tat unter Einfluss einer
       Wahnkrankheit stand], zog sich durch den gesamten Prozess.
       
       In ihren Plädoyers hatten die Anwält:innen der Nebenklage an die Opfer
       erinnert, eine 17-jährige Schülerin und ihren 19-jährigen Freund, der durch
       Messerstiche starb, als er sie vor A.s Angriff beschützen wollte. Einer
       Frau fügte A. 13 Stiche zu, davon acht ins Gesicht, den Rest auf Hände und
       Arme. Sie behielt entstellende Narben im Gesicht, zudem waren Sehnen an den
       Händen durchtrennt, ein Daumen musste teilamputiert werden. Die Frau beging
       Monate nach der Tat Suizid: „Sie verlor ihren Lebenswillen“, sagte Lohmann.
       
       ## Tat eröffnete eine bundesweite Debatte
       
       Die Tat erschütterte Schleswig-Holstein und eröffnete eine bundesweite
       Debatte über Sicherheit in der Bahn, den Umgang mit psychisch auffälligen
       Häftlingen und Versäumnisse von Ausländerbehörden. Denn der staatenlose A.
       [5][hatte vor der Tat in Untersuchungshaft in Hamburg-Billwerder gesessen],
       war aber in Kiel gemeldet. Weder wusste die Kieler Behörde von der Haft,
       noch erfuhr das [6][Bundesamt für Flüchtlinge und Migration (Bamf)] von der
       Strafakte des gebürtigen Palästinensers.
       
       Als Reaktion richtete Schleswig-Holstein eine Präventionsambulanz ein,
       Hamburg stellte einige Entlass-Manager:innen für Untersuchungshäftlinge
       ein. Zu wenig und ungeeignet, kritisiert die Opposition in beiden Ländern.
       Unter anderem weist der schleswig-holsteinische FDP-Landtagsabgeordnete
       Bernd Buchholz darauf hin, dass sich der Informationsaustausch zwischen den
       Behörden nicht verbessert habe.
       
       ## Ibrahim A. wollte „beliebige Menschen töten“
       
       Ibrahim A. war am Tattag nach Kiel gefahren, um seine Papiere in Ordnung zu
       bringen – das scheiterte daran, dass er keinen festen Wohnsitz hatte.
       Danach „reifte in ihm der Entschluss, beliebige Menschen zu töten“, sagte
       Lohmann. „Er fühlte sich seit Längerem ungerecht behandelt, nicht erst
       durch die erfolglosen Behördengänge, sondern bereits in Billwerder. Er trug
       sich seit einiger Zeit mit dem Gedanken, Menschen zu töten, um diese große
       Wut in ihm abzureagieren.“
       
       Während der erneuten, ausführlichen Beschreibung der Tat saß A. ruhig da,
       schaute auf die Tischplatte und lauschte dem neben ihm sitzenden
       Dolmetscher. Teilweise verbarg er den Kopf zwischen den Händen. Er hatte
       die Taten zu Beginn des Prozesses abgestritten, später aber zugegeben. Eine
       Begründung oder eine Entschuldigung an die Adresse der Verletzten und
       Hinterbliebenen gab er während des ganzen Prozesses nicht ab.
       
       Sein Anwalt Björn Seelbach hatte von Anfang an darauf hingewiesen, dass
       Ibrahim A. psychisch krank sei. Dafür sprechen die Berichte mehrerer
       Fachärzt:innen, die A. seit seiner Ankunft in Deutschland 2014 behandelt
       hatten. Auch in Billwerder war A. mehrfach auffällig geworden, unter
       anderem hörte er Stimmen, Klopfgeräusche und glaubte, er werde durch den
       Fernseher beobachtet.
       
       ## Schwere seelische Störung diagnostiziert
       
       Das spricht für psychotische Symptome, allerdings diagnostizierte niemand
       eine dauerhaft anhaltendende Psychose. Der Gutachter Arno Deister, der den
       Prozess begleitete, kam zu dem Schluss, dass A. an einer Posttraumatischen
       Belastungsstörung (PTBS) leidet. Als Gründe für diese Krankheit sieht
       Deister A.s Haft und mögliche Folter in Palästina sowie seine Flucht. Die
       PTBS stufte er zwar als schwere seelische Störung ein, hielt aber dennoch
       A. während der Tat für steuerungs- und schuldfähig. Dieser Haltung schloss
       sich das Gericht an.
       
       Der Zusatz „besondere Schwere der Schuld“ bedeutet, dass A. nicht vorzeitig
       entlassen werden kann. A.s Verteidiger könnte das Urteil noch anfechten.
       
       15 May 2024
       
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       Der Psychiater und Gutachter Arno Deister hält den Attentäter Ibrahim A.
       für schuldfähig. Dieser hatte 2023 in einem Zug auf Mitreisende
       eingestochen.
       
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       Mit Gewaltpräventionsambulanzen will Schleswig-Holstein schwere Straftaten
       im Vorfeld verhindern: eine Reaktion auf die Messerattacke von Brokstedt.