# taz.de -- Digitalpakt 2.0 vor dem Aus: Die Schulen hoffen auf Özdemir
       
       > Mit dem Ampel-Aus steht der Digitalpakt 2.0 infrage und damit eine
       > bessere IT-Ausstattung an Schulen. Eine neue Studie zeigt: Der Bedarf ist
       > groß.
       
 (IMG) Bild: Plötzlich auch Bildungsminister: Ob sich Cem Özdemir (Grüne) noch in die Umsetzung des Digitalpakts reinkniet, ist fraglich
       
       Bettina Stark-Watzinger ist, wie derzeit viele zurückgetretene oder
       verbliebene Ampel-Minister:innen, im Wahlkampfmodus. „Der Mittelstand
       ächzt, Arbeitsplätze gehen verloren und internationale Konzerne halten ihre
       Investitionen zurück. Jetzt braucht es eine echte #Wirtschaftswende“,
       schrieb die ehemalige Bundesbildungsministerin Anfang der Woche beim
       Kurznachrichtendienst X.
       
       Noch am Tag ihrer Entlassung aus dem Kabinett vergangenen Donnerstag
       bescheinigte sie ihrer Partei „staatspolitische Verantwortung“ – ungeachtet
       der Tatsache, dass die noch ausstehenden Regierungsvorhaben sowie der
       Haushalt für das kommende Jahr ohne die FDP-Stimmen im Bundestag zum
       Scheitern verurteilt sind.
       
       Das gilt vor allem für zwei zentrale Bildungsversprechen der Ampel: erstens
       die in der Wissenschaft [1][sehnlich erwartete Reform für bessere
       Arbeitsbedingungen] an Hochschulen, die seit Oktober im parlamentarischen
       Verfahren hängt und nun endgültig vom Tisch sein dürfte. Daran wird auch
       der Bildungsausschuss im Bundestag nichts ändern können, der sich am
       Mittwoch noch mit der geplanten Gesetzesnovelle befasst. Und zweitens: die
       Einigung mit den Ländern über einen Digitalpakt 2.0.
       
       ## Özdemir sendet positive Signale
       
       Ob und inwieweit Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne), der das
       Bildungsministerin bis zu den Neuwahlen kommissarisch übernimmt, sich hier
       noch reinkniet, ist fraglich. Am Dienstag kündigte Özdemir zwar an, dass er
       die Fortführung des Digitalpakts für „richtig“ halte. Er werde sich dafür
       starkmachen, die Verhandlungen mit den Ländern über den Digitalpakt 2.0
       „zeitnah erfolgreich“ abzuschließen. Das aber hat auch Stark-Watzinger
       versprochen. Eine Bund-Länder-Einigung, die schon [2][mit Ende des ersten
       Digitalpakts im Mai] hätte stehen sollen, kam bislang dennoch nicht
       zustande.
       
       Was die Aufgabe für Özdemir nicht leichter macht: Seine Vorgängerin hatte
       das Ministerium rigoros auf Parteilinie gebürstet. Nach Recherchen des
       Spiegel hat Stark-Watzinger während ihrer Amtszeit mindestens 22 Posten in
       der Führungsebene mit FDP-Gefolgsleuten besetzt – und dafür erfahrene
       Mitarbeiter:innen in den vorzeitigen Ruhestand geschickt. Ein Teil ist
       jetzt mit Stark-Watzinger gegangen, wie die beiden parlamentarischen
       Staatssekretäre Jens Brandenburg und Mario Brandenburg. Ob Özdemir die
       Posten neu besetzt oder ob seine Staatssekretäre aus dem
       Landwirtschaftsministerium die Aufgabe mit übernehmen, ist noch unklar.
       
       Klar ist jedenfalls: Aktuell ist das Bildungsministerium nur bedingt
       handlungsfähig. Ein Indiz dafür lieferte vergangene Woche Staatssekretär
       Roland Philippi, ein FDP-Vertrauter aus Stark-Watzingers Heimat Hessen. So
       blieb Philippi am Tag nach dem Ampel-Aus der Bund-Länder-Verhandlungsgruppe
       zum Digitalpakt 2.0 fern, das Ministerium begründet das gegenüber der taz
       mit „kurzfristig anberaumte[n] Termine[n]“.
       
       ## Einfacher ohne die FDP?
       
       Bemerkenswert ist in dieser Situation die Reaktion der Länder. Sie geben
       teils unverhohlen zu, dass sie nun, da Stark-Watzinger weg ist, bessere
       Chancen für den Digitalpakt 2.0 sehen. So spricht etwa die Präsidentin der
       Kultusministerkonferenz, Christine Streichert-Clivot (SPD), auf Anfrage von
       einem „Chancenfenster, mit der veränderten Bundesregierung zu einem guten
       Ergebnis zu kommen“.
       
       Bisher scheiterte eine Einigung vor allem an zwei Punkten: Stark-Watzinger
       beharrte auf einer 50-prozentigen Kofinanzierung durch die Länder und
       forderte mehr Verbindlichkeit in der Lehrkräftefortbildung. Die Länder
       lehnen dies ab. Auch weil der Bund für den ersten Digitalpakt noch 90
       Prozent der Mittel bereitstellte, insgesamt 6,5 Milliarden Euro für fünf
       Jahre. Stark-Watzinger hingegen hatte 2,5 Milliarden Euro für den Zeitraum
       2025 bis 2030 in Aussicht gestellt – und das nur, wenn die Länder noch mal
       so viel dazugeben.
       
       Wie ein Kompromiss aussehen könnte, ist unklar. Eine Möglichkeit wäre, dass
       sich die Länder ihre Investitionen in digitalen Unterricht anrechnen lassen
       können. Auf einen ähnlichen Kompromiss haben sich Bund und Länder bereits
       beim „[3][Startchancen-Programm]“, das die Chancengleichheit für
       benachteiligte Schüler:innen steigern soll, eingelassen. Ob Özdemir dazu
       oder zu anderen Zugeständnissen bereit ist, hat er noch nicht erklärt.
       
       Doch selbst wenn sich Bund und Länder noch vor den Neuwahlen einigen und
       eine entsprechende Verwaltungsvereinbarung unterzeichnen, wird wohl erst
       einmal kein neues Geld fließen. Dafür nämlich muss der Bundestag erst die
       entsprechenden Haushaltsmittel freigeben – und das wird wohl erst nach den
       Neuwahlen möglich sein. Gut möglich also, dass der Digitalpakt 2.0 komplett
       neu aufgerollt wird.
       
       ## Kommunen können nicht planen
       
       In einem [4][gemeinsamen Appell an Bund und Länder] forderten Vertreter von
       Kommunen, Schüler:innen, Eltern und Lehrkräften sowie der Branchenverband
       der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche bitkom am Montag
       deshalb ein „breites politisches Bündnis über die Parteigrenzen hinweg“.
       Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, André
       Berghegger, betonte, dass die Schulträger ohne den Digitalpakt 2.0 keine
       digitalen Endgeräte erneuern oder IT-Support bezahlen könnten.
       
       Was das für Folgen hat, kann Andreas Breiter von der Universität Bremen
       beschreiben. Der Professor für Informations- und Wissensmanagement in der
       Bildung berät zusammen mit seinem Team bundesweit Kommunen bei der Frage,
       wie Schulträger mit welchem Aufwand die IT-Infrastruktur an Schulen
       aufbauen und warten können. Er beobachtet seit Jahren, wie unterschiedlich
       die Kommunen ausgestattet sind.
       
       „Die ungleiche Entwicklung, die vom Reichtum der Kommune abhängt, ist
       dramatisch“, sagt Breiter der taz. Aus seiner Sicht wird sich daran nichts
       ändern, wenn Bund und Länder nicht mehr Geld in die Hand nehmen als bisher.
       „Wir gehen davon aus, dass die Schulträger 500 Euro pro Schüler im Jahr
       brauchen, um eine gute digitale Infrastruktur aufzubauen und zu erhalten –
       also etwa das Fünffache von dem, was jetzt für den Digitalpakt 2.0 im Raum
       steht“.
       
       Wie dringend der Handlungsbedarf ist, zeigt auch die am Dienstag
       vorgestellte internationale Schulleistungsstudie ICILS (International
       Computer and Information Literacy Study). Demnach hat ein Großteil der
       deutschen Schulen trotz aller Anstrengungen in den vergangenen Jahren bei
       der IT-Ausstattung und dem Einsatz von digitalen Medien im Unterricht
       weiter teils erheblichen Nachholbedarf. Es gebe zwar im Vergleich zur
       letzten Studie vor fünf Jahren deutliche Fortschritte, sagte die Leiterin
       des nationalen ICILS-Forschungszentrums, Birgit Eickelmann, im Gespräch mit
       der taz. Manche Zahlen seien jedoch „alarmierend“.
       
       ## Auf ein Gerät kommen vier Schüler:innen
       
       So gab jede:r dritte Achtklässler:in an, über kein WLAN an der Schule
       zu verfügen. Auf ein digitales Endgerät kommen im Schnitt vier
       Schüler:innen. Und zwei Drittel der Schulen gaben zum Zeitpunkt der
       Befragung vor gut einem Jahr an, dass ihre IT-Ausstattung ohne den
       Digitalpakt 2.0 nicht sichergestellt sei. Eickelmann vermutet, dass die
       Quote mittlerweile noch deutlich höher liegen dürfte.
       
       Ein zentrales Problem sieht die Professorin für Schulpädagogik an der
       Universität Paderborn in dem „digital divide“ – also der Tatsache, dass
       Schüler:innen von nichtgymnasialen Schulformen bei den getesteten
       digitalen Kompetenzen deutlich schlechter abschneiden als Gymnasiast:innen.
       „Wir sehen, dass rund die Hälfte der Achtklässler:innen an diesen
       Schulformen, die wir ja für Digital Natives halten, im Grunde nur klicken
       und wischen können.“ Eine Erklärung dafür sieht Eickelmann auch in der
       [5][strukturellen Benachteiligung von nichtgymnasialen Schulen]. Dort sei
       die Personaldecke häufig dünner und fachfremder Unterricht üblicher als an
       Gymnasien.
       
       Den Handlungsbedarf sehen auch die früheren Ampel-Koalitionäre. Allerdings
       ziehen sie unterschiedliche Schlüsse aus den ICILS-Ergebnissen: Die
       bildungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Ria Schröder, sieht die
       Länder in der Pflicht, sich zu verpflichtenden Lehrerfortbildungen zu
       bekennen. Fachpolitikerinnen der Grünen machen Stark-Watzinger für die
       Versäumnisse verantwortlich. Die wiederum nimmt ihren Nachfolger in die
       Pflicht: „Der #Digitalpakt 2.0 muss zum 1. Januar an den Start gehen.“ Die
       Schüler:innen verdienten eine verlässliche Perspektive für eine digitale
       Bildung, die ihnen alle Möglichkeiten eröffnet.
       
       Der Wahlkampf geht weiter.
       
       13 Nov 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Prekaere-Verhaeltnisse-in-der-Wissenschaft/!5997410
 (DIR) [2] /Digitalpakt-ausgelaufen/!6022632
 (DIR) [3] /Programm-fuer-Brennpunktschulen/!5985968
 (DIR) [4] https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Haengepartie-Digitalpakt-2-0
 (DIR) [5] /Chancengerechtigkeit-in-Deutschland/!6007444
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Pauli
       
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