# taz.de -- AfD-Erfolge bei der EU-Wahl: Es braucht rhetorische Abrüstung
       
       > Die AfD ist bei der Europawahl stärkste Kraft im Osten, aber auch im
       > Westen stark. Eine Katastrophe mit Ansage, die Konsequenzen haben muss.
       
 (IMG) Bild: In Ostdeutschland komplett gescheitert: Die Grünen
       
       Die politische Landkarte der Bundesrepublik nach der Europawahl hat [1][im
       wesentlichen zwei Farben]. Sie ist schwarz im Westen mit ein paar grünen
       und roten Einsprengseln in größeren Städten. Im Osten ist sie blau – oder
       besser gesagt: tiefbraun – mit einen paar schwarzen Einsprengseln.
       Bundesweit ist die AfD zweitstärkste Kraft, im Osten ist die AfD
       flächendeckend stärkste Kraft geworden. Das ist zwar erschreckend – zumal
       sie dort längst offen rechtsextrem auftritt und zum Großteil selbst vom
       Verfassungsschutz so eingestuft ist – aber war leider auch erwartbar.
       
       Die AfD profitiert von [2][jahrzehntelanger Aufbauarbeit extrem rechter
       Akteure] seit den [3][Baseballschlägerjahren], in Teilen auch von
       westdeutschen Neonazis, die im Osten die Felder bestellt haben, bis die AfD
       blühende Landschaften vorfand. Geholfen hat dabei, dass die demokratischen
       Parteien Rechtsextremismus jahrzehntelang verharmlost haben.
       
       Kaputt gesparte Infrastruktur und finanziell schlecht ausgestattete
       Kommunen verstärken rassistisch zuspitzte gesellschaftliche
       Verteilungskonflikte durch ein politisches Spardiktat. Kurzfristige
       Faktoren wie die dysfunktionale Bundesregierung treffen auf externe gute
       Mobilisierungsbedingungen wie die Coronakrise, die für breiteren
       Resonanzraum für Verschwörungsideologie gesorgt hat. Hinzu kommen
       Energiekrise und Inflation infolge von Russlands Angriffskrieg gegen die
       Ukraine, die einen spürbaren Reallohnverlust bei [4][steigenden
       Mietpreisen] bedeutet.
       
       Mit Blick auf die AfD-Wählerschaft zeigt sich einmal mehr, dass diese sich
       kurzfristig kaum demobilisieren lässt: Obwohl die extrem rechte Partei
       historisch gesehen einen der schlechtesten Wahlkämpfe überhaupt hingelegt
       hat mit [5][Spionage- und Schmiergeldaffären], [6][gerichtlicher
       Bestätigung der Einstufung als rechtsextremen Verdachtsfall] durch den
       Verfassungsschutz sowie breiten [7][Demos gegen Vertreibungspläne], hat die
       AfD gegenüber 2019, aber auch der Bundestagswahl 2021 deutlich
       hinzugewonnen – wenn auch etwas weniger deutlich als noch zu Jahresbeginn
       befürchtet.
       
       ## Immer noch keine Protestwahl
       
       Einem Teil der AfD-Stammwählerschaft ist der Rechtsextremismus in der
       Partei egal, in anderen Teilen wählt sie die AfD genau deswegen. [8][82
       Prozent der AfD-Wähler] sagen, dass es ihnen egal sei, dass die Partei „in
       Teilen als rechtsextrem gilt, solange sie die richtigen Themen anspricht“.
       Es ist eben keine Protestwahl, sondern eine inhaltliche Entscheidung, 70
       Prozent wählen sie wegen ihrer „politischen Forderungen“ – nur 28 Prozent
       als „Denkzettel für andere Parteien“.
       
       Durch rechte Politik und Kulturkampfrhetorik lassen sich AfD-Wähler*innen
       nicht zurückholen, wie die Analysen zur Wählerwanderung darlegen. Die AfD
       hat am meisten von jenen Parteien gewonnen, die rechte Narrative übernommen
       haben: Union, SPD und FDP. Die Diskursverschiebung nach rechts führt nur
       zur Erweiterung des Sagbaren und damit zur Normalisierung rechter
       Positionen sowie Wahlerfolgen der AfD.
       
       [9][Die Mitte-Studien] belegen seit Jahren, dass es dieses autoritäre
       Potenzial sowohl im Westen als auch im Osten gibt – erst die Normalisierung
       aus der sogenannten Mitte macht die Positionen auch wählbar.
       
       Während die Europawahl politisch häufig als Stimmungstest wahrgenommen
       wird, sieht es [10][bei den Kommunalwahlen noch düsterer aus]: Die AfD ist
       im Osten flächendeckend als stärkste Kraft auf der Graswurzelebene der
       Politik vertreten. Sie hat so viele Mandate gewonnen, dass sie mancherorts
       kaum mit der Besetzung hinterherkommt. In den Kreistagen und Stadträten
       kann sie nun Mehrheiten bilden, sich weiter normalisieren und politische
       Prozesse sabotieren – mit der langfristigen Folge, dass wirksamer
       Widerstand gegen rechte Hegemonie noch schwieriger wird und das politische
       Klima weiter verroht.
       
       ## Lehren für die Landtagswahlen
       
       Man muss davon ausgehen, dass sich dieses Szenario bei den
       [11][Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg] unter
       möglicherweise landesspezifischen Vorzeichen wiederholt, wenn sich nichts
       an den Voraussetzungen ändert.
       
       Die demokratischen Parteien sollten sich darauf einstellen und daraus die
       richtigen Konsequenzen ziehen: Zum einen ist es die rhetorische Abrüstung.
       Es braucht politischen Anstand und wahrnehmbare demokratische Alternativen
       statt populistische Kulturkampfrhetorik. Schluss mit
       Diskurs-AfD-Bullshitbingo, Feinderklärungen im demokratischen Lager,
       rassistischer Zuspitzung und stetigem Kreisen um Migration mit negativem
       Framing, das den Blick auf die Realität verstellt und tatsächliche Krisen
       wie die Klimakrise verdrängt.
       
       Zudem gilt es, wie schon vielfach gefordert, die Zivilgesellschaft
       insbesondere dort zu stärken, wo sie unter Druck steht und massiv
       angegriffen wird. Anstatt über Migration als Problem könnten wir ja mal
       über die (gesamt)deutsche [12][Demokratiekrise im Jahr 2024 reden]. Dabei
       ist es nicht hilfreich, das deutsche Rechtsextremismusproblem nur auf den
       Osten zu beschränken, denn zuletzt feierte die AfD auch in Bayern und
       Hessen Erfolge – die Aushöhlung der Demokratie geht auch dort voran.
       
       Bei alledem braucht es eine klare Abgrenzung gegenüber der AfD, vor allem
       von der CDU. Höcke hat bereits angedeutet, dass er mit einer Sperrminorität
       im Landtag die Besetzung von Verfassungsrichtern blockieren und die
       Pressefreiheit angreifen will – hier geht es um Systemfragen. Um die AfD
       von der Macht fernzuhalten, braucht es neue Bündnisse – im Zweifel und zur
       Not auch in Dreierkonstellationen mit der Wagenknecht-Partei.
       
       10 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://x.com/Martin_Debes/status/1800050694462058733
 (DIR) [2] /Forscher-ueber-AfD-bei-Kommunalwahlen/!6013008
 (DIR) [3] /Baseballschlaegerjahre-in-Wernigerode/!5941578
 (DIR) [4] /Mietenkrise-in-Berlin/!6010566
 (DIR) [5] /Durchsuchung-bei-Ex-Mitarbeiter-von-Krah/!6013906
 (DIR) [6] /Urteil-des-OVG-Muenster/!6007495
 (DIR) [7] /Leipziger-Demo-gegen-rechts/!6013090
 (DIR) [8] /AfD-bei-der-Europawahl/!6015452
 (DIR) [9] /Mitte-Studie-der-Ebert-Stiftung/!5961642
 (DIR) [10] /Kommunalwahlen-in-Ostdeutschland/!6016549
 (DIR) [11] /Wahlen-in-Ostdeutschland-2024/!t5993946
 (DIR) [12] https://www.blaetter.de/ausgabe/2024/maerz/ostdeutschland-was-nach-den-demos-kommen-muss
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gareth Joswig
       
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