# taz.de -- Dominanz des ägyptischen Militärs: Ägypter machen auf Türken
       
       > In Ägypten scheint das Militär das „Modell Türkei“ zu wählen: Dort
       > machten das Militär die gewählten zivilen Politiker zu Befehlsempfängern
       > des Generalstabs.
       
 (IMG) Bild: Hussein Tantawi oder Hosni Mubarak? Das Graffiti zeigt den Feldmarschall, der derzeit in Ägypten alle Fäden in der Hand hat.
       
       ISTANBUL taz | Als der Arabische Frühling noch Demokraten in aller Welt
       begeisterte, machte vielerorts die Parole vom „Modell Türkei“ die Runde.
       Gemeint war der Übergang einer vom Militär dominierten Gesellschaft in eine
       zivile Demokratie, mithilfe einer moderaten islamischen Partei. Diese
       akzeptiert die Trennung von Staat und Religion, ersetzt das bürgerliche
       Recht nicht durch die Scharia und respektiert demokratische Regeln auch
       dann, wenn eine andere Partei die Mehrheit erzielt.
       
       Jetzt scheint in Ägypten tatsächlich ein „Modell Türkei“ zum Tragen zu
       kommen – allerdings eine Variante aus der Vergangenheit: Als das Militär in
       den 80er Jahren in der Türkei putschte, geschah das auch, um ein
       oberflächlich demokratisches System nicht völlig zu beseitigen, sondern aus
       dem Hintergrund zu dirigieren.
       
       Die Türkei erhielt eine neue Verfassung, in der sich das Militär
       weitgehende Mitbestimmungs- und Vetorechte garantieren ließ. Sie machte die
       gewählten zivilen Politiker in letzter Instanz zu Befehlsempfängern des
       Generalstabs. Wurde eine „Rote Linie“ überschritten, wie 1997, als der
       damalige islamistische Regierungschef Necmettin Erbakan die Türkei aus der
       Nato herausführen wollte, schritt das Militär ein. Erbakan wurde gestürzt,
       seine Partei verboten.
       
       ## Radikale Modernisierung
       
       Überwunden werde konnte diese „heimliche Militärherrschaft“ nur dadurch,
       dass sich die islamische Bewegung radikal modernisierte. Die AKP des
       Politikers Recep Tayyip Erdogan trat als „CDU“ der Türkei an, nicht
       islamistisch, sondern konservativ-demokratisch, mit vielen
       Parteimitgliedern und Wählern, die zwar gläubig waren, aber eben gläubige
       Privatleute.
       
       So gelang es dem heutigen Ministerpräsidenten Erdogan, eine breite Basis
       gegen das Militär zu formieren. Unter dem Banner „Demokratie und Freiheit“
       trat er dem Militär offensiv entgegen. Wenn ihm gedroht wurde, setzte er
       Neuwahlen an und bekam mehr Stimmen als zuvor. Die Generäle mussten Schritt
       für Schritt zurückweichen. Allerdings auch weil die Weltlage nach dem Ende
       des Kalten Krieges einen offenen Putsch in einem Nato-Staat unmöglich
       machte.
       
       Die Islamisten unter Erdogan hatten sich modernisiert. Inzwischen zeigt
       sich jedoch, dass die AKP nach dem Sieg über das Offiziersregime nicht mehr
       ganz so demokratisch ist, wie sie immer behauptet hat. Auf Erdogan ist eine
       Machtfülle konzentriert, wie sie kein türkischer Regierungschef vor ihm
       hatte. Kritik am „neuen Sultan“ wird nicht mehr geduldet, die Gefängnisse
       sind voll von Kurden, Kemalisten und Journalisten, die es wagen, ihn zu
       kritisieren. Den Beweis dafür, dass die AKP demokratisch bleibt, wenn sie
       keine Angst vor dem Militär mehr haben muss, blieb Erdogan schuldig.
       
       Jetzt verkündete der Premier, er wolle in der Türkei „eine neue religiöse
       Generation“ heranziehen. Verlierer sind die säkularen Demokraten, die ihn
       im Kampf gegen das Militär unterstützt haben.
       
       19 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Gottschlich
       
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