# taz.de -- Ägypten nach der Präsidentenwahl: Verfassungscoup des Militärs
       
       > Der Ausgang der Präsidentenwahl bleibt umstritten. Die Generäle kann der
       > künftige Staatschef nicht antasten. Sie behalten volle Legislativgewalt
       > und wollen auf Immunität pochen.
       
 (IMG) Bild: Anhängerinnen der Muslimischen Bruderschaft auf dem Tahrirplatz.
       
       KAIRO taz | Das Militär wird Ende des Monats in einer großen Zeremonie die
       Macht an den ägyptischen Präsidenten übergeben. Das kündete Generalmajor
       Mohammed al-Assar, ein Mitglied des Obersten Militärrates, am Montagmittag
       in einer Pressekonferenz an.
       
       Zu viel Macht ist allerdings nicht mehr übrig: In einem Coup hatte die
       Militärführung in der Nacht zuvor, kurz nach Schließung der Wahllokale, die
       neue Übergangsverfassung veröffentlicht. Danach bleibt das Militär die
       mächtigste Institution im Lande – auch der neue Präsident kann es nicht
       antasten.
       
       Die Offiziere werden auch bestimmen, wer in der verfassunggebenden
       Versammlung sitzt. Sie behalten sich das Recht vor, gegen alle
       Entscheidungen der verfassungsgebenden Versammlung ein Veto einzulegen. Per
       Gesetz, heißt es dort weiter, werden auch die Rechte des Militärs und seine
       Pflichten bestimmt, etwa bei Verhaftungen. Gesetzlich müsse auch festgelegt
       werden, wann das Militär Immunität besitzt, heißt es in dem Dokument.
       
       Der Oberste Militärrat besitzt praktischerweise seit vergangener Woche –
       nach der Auflösung des Parlaments – selbst die volle Legislativmacht. Er
       kann damit diese Gesetze selber schreiben. Ebenfalls letzte Woche hatte
       sich das Militär das Recht gesichert, Zivilisten zu verhaften.
       
       ## Präsident kann Veto einlegen
       
       Immerhin verkündete Generalmajor Mohammed al-Assar in der Pressekonferenz
       noch, dass der Präsident gegen die Gesetzesvorhaben des Militärs ein Veto
       einlegen könne. Damit sei das Kräfteverhältnis ausgeglichen. Der Präsident
       könne die Regierung und den Premier bestimmen und wieder absetzen. „Wir
       sind kein Staat im Staate“, die Kritik sei übertrieben, erklärte er. „Wir
       haben mit der Verkündung der Übergangsverfassung gewartet, bis die
       Wahllokale geschlossen sind, um die Wähler nicht zu beeinflussen“,
       verteidigte er sich.
       
       Unterdessen waren die Ägypter noch damit beschäftigt, herauszubekommen, wer
       nun eigentlich ihr nächster Präsident sein wird – der Muslimbruder Mursi
       oder der letzte Premierminister der Regierung Mubarak, Ahmed Schafik.
       
       Dessen Wahlkampfleitung erklärte „ohne jeden Zweifel“ Schafik mit 51
       Prozent der Stimmen zum Sieger. Dem waren allerdings die Wahlkampfleiter
       des Muslimbruders Mursi zuvorgekommen, die schon um 6 Uhr morgens ihrem
       Kandidaten 52 Prozent der Stimmen zusagten.
       
       Nun ist sechs Uhr morgens normalerweise keine Feierzeit in Ägypten. Aber am
       Montag machten einige hundert von ihnen eine Ausnahme. Die Sonne stand noch
       tief über dem Nil, da trafen sie sich die Anhänger Mursis bereits zu einer
       Siegesfeier.
       
       Offizielle Ergebnisse lagen zu diesem Zeitpunkt nicht vor, aber aus anderen
       unterschiedlichsten Quellen war zu vernehmen, dass Mursi nach Auszählung
       des Großteils der Wahlbezirke 52 Prozent der Stimmen gewonnen habe. Die
       oberste Wahlkommission warnte allerdings davor, die nicht offiziellen
       Ergebnisse ernst zu nehmen.
       
       ## „Mursi hat den Kursi“
       
       Da wirkte das morgendliche Treffen auf dem Tahrirplatz fast wie ein
       Präventivschlag, um zu verhindern, dass die andere Seite, der Mubarak-Mann
       Ahmed Schafik, mit unlauteren Mitteln doch noch den Sieg für sich
       beanspruchen könnte. Begeistert riefen die Demonstranten: „Mursi hat den
       Kursi“, wie „Stuhl“ auf Arabisch heißt. Mit Mursi-Plakaten und ägyptischen
       Fahnen kletterten die Jugendlichen auf die Dächer der öffentlichen
       Staatbusse, um an einer Triumphfahrt quer über den Tahrir teilzunehmen.
       
       „Ich bin sehr glücklich, dass Mursi das Rennen gemacht hat. Die Revolution
       hat uns ein Ergebnis gebracht. Stellen wir uns vor, Schafik wäre es
       geworden? Dann hätte das alte System uns von Neuem unter die Fuchtel
       genommen“, erklärte die feiernde Nihad Abdallah, die eine
       Elektrogeräte-Firma leitet.
       
       „Mursi ist der erste frei gewählte zivile Präsident Ägyptens nach 62 Jahren
       Militärdiktatur“, freut sich die Hausfrau Intisar Naggar und fügt ein –
       angesichts des Wahlsiegs des Islamisten etwas süffisantes – „Wir sind jetzt
       demokratisch wie der Westen“ hinzu.
       
       „Mursi, als Chef der Exekutive, hätte allerdings ein echtes Problem“, sagt
       der ägyptische Politologe Baschir Abdel Fattah im Gespräch mit dieser
       Zeitung. „Wenn er nicht mit dem Militär kooperiert, werden ihm die
       staatlichen Institutionen und allen voran das Innenministerium und die
       Polizei die Gefolgschaft verweigern“. Er müsse aber gleichzeitig möglichst
       schnell für Sicherheit, Ordnung und Arbeitsplätze sorgen, sonst werde er
       sicher sehr schnell den Ärger der Ägypter auf sich ziehen, die dann gegen
       ihn auf die Straßen gehen werden.
       
       Abdel Fattah fasst die Zwickmühle, in der ein neuer ägyptischer Präsident
       namens Mursi stecken würde, zusammen. „Der Schlüssel zum Staatsapparat
       liegt beim Militär und dort muss ihn sich Mursi zu den Bedingungen der
       Generäle abholen“.
       
       18 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Karim Gawhary
 (DIR) Karim El-Gawhary
       
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