# taz.de -- Die Wahrheit: Vollgestopfte Rotzzüge
> Es ist Vorweihnachtszeit und wie immer geht der Schnupfen um unter den
> Menschen.
(IMG) Bild: Ha, ha … gleich kommt die dröhnende Erlösung
Es wird bekanntlich Weihnachten oder postkolonial gelesen: Winterfest, und
die meisten Leute haben einen Schnupfen. Respektive eine Ansteckung mit
einem minderen Coronavirus mit mildem Verlauf. Schnupfen bedeutet konkret,
literweise Schleim zu produzieren wie sonst nur ein mittelmäßiger
Fernsehmoderator, einen Kopf wie nach drei Nächten Alkohol in nur einer
Nacht zu haben und Beine und Gliedmaßen, die sich wie eine Mischung aus
Gummi und Baumharz anfühlen. Wer kennt das nicht?
Es ist Saison, sagt man da draußen; in der Zeitung stand etwas von einer
neuen Welle, und alle haben ihre Bretter gewachst, um drauf surfen zu
können; kurz gesagt: Es geht rum, und was rumgeht, bleibt nicht am Rum
hängen, sondern kommt herum.
Aber was für eine Macht die Schnupfenden haben! Vielleicht nicht mehr so
eine große wie einst, als ein noch viel größerer Coronavirus die Welt dazu
brachte, sich in ihre Einzelteile zu verbarrikadieren, als wenn wirklich
jeden Tag Weihnachten oder Winterfest gewesen wäre. Und doch: Mache eine
Eisenbahn mit Schnupfenden voll und sie wird nach einem kollektiven ha-ha …
– genau: von der Brücke fallen!
Doch trotz erhöhter Temperatur und so weit laufender Nase, dass sie längst
in Wladiwostok angekommen sein müsste, dreht sich die Welt immer weiter.
Reiche Menschen sichern ihre Pfründe, indem sie ihren Arbeitsfetisch immer
weiter nach unten durchsetzen, während sie selbst in ihren Privatjets zu
ihren Inseln düsen, um dem immateriellen Erbe Epsteins die Ehre zu geben;
die Rüstungsindustrie freut sich einen Ast, weil alle wieder Angst vor den
Russen haben wie damals 1945 und Folgejahre.
Weihnachtsmann und Christkind, die höchst eigentlich Weihnachtsmensch und
Christ*innenkind heißen müssten – warum auch nicht mal Weihnachtsfrau
oder Weihnachtstransperson? –, teilen sich die Welt in Aldi Nord und Aldi
Süd ein; und am Ende kicken 22 Fußpaare nach einem Ball und die Bayern
werden wieder Meister. Und am Tag danach liegen überall Hüte verstreut und
die Trümmer von Dachdeckern.
Der typische Dialog, der draußen auf den oder die Schnupfende wartet, geht
dann ungefähr so: „Du siehst richtig scheiße aus.“ – „Ja, danke, ich bin
erkältet.“ – „Das auch noch.“
## Kevin, der Pate
Also besser ist, sich telefonisch den Gelben auf die Gesundheitskarte laden
zu lassen und einfach mal daheim zu bleiben, als wenn schon Weihnachten
wäre. Oder es ist praktischerweise schon Weihnachten.
Man verpasst überhaupt nichts, wenn man einfach zu Hause sitzt, inhaliert
und schnupft. Es fahren vollgestopfte Züge, in denen man nicht sitzt, es
werden Meetings abgehalten, in denen man nicht schläft, es wird
Geschlechtsverkehr ausgeübt, bei dem man nicht zum Höhepunkt kommt. Dinge
werden verladen, die einem nicht aufs Jesuskreuz gehen, und Brettspiele
gespielt, die man nicht verliert.
Stattdessen kommt „Der Pate“ I bis III im Fernsehen, und weil es so schön
ist, noch der vierte, bislang unter Verschluss gehaltene Teil mit Leo
DiCaprio und Sylvester Stallone im Anschluss. In den ausgestreckten
Werbepausen kann man zur Konkurrenz schalten und sich „Kevin allein zu
Haus“, „Kevin allein in New York“, „Wieder allein zu Haus“, „Kevin – Allein
gegen alle“, „Allein zu Haus: Der Weihnachts-Coup“, „Nicht schon wieder
allein zu Haus“ und, jetzt neu, „Kevin – Allein in der Police Academy VII
und VIII“ anschauen. Nächstes Jahr dann: „Kevin – Allein mit dem Alien“.
Dabei bechert man schön Glühwein, weil es warm macht, und Grog, weil er
Viren killt, wie wir noch von Corona wissen. Man schlürft reichlich
Hühnersuppe aus der Dose und haut sich trotz allgemeinem und berechtigtem
Kaufverbot die verbilligten Reste der Milka-Schokolade rein. Billiger wird
sie nämlich nicht.
Im Grunde ist so eine Männergrippe oder Frauenerkältung wie ein harter
Entzug – die älteren Generationen erinnern sich: drei bis fünf Tage
Ausnahmezustand in Schlafanzug und mit Kleenex immer in Reichweite, und
irgendwann kommt auch der Geschmackssinn wieder. Wenn man ganz viel Glück
hat, ist dann schon Neujahr und die sonst so kursierenden Krankheiten
wurden beim Rumküssen Schlag zwölf anderen Leuten übertragen. Krank? Iwo!
19 Dec 2025
## AUTOREN
(DIR) René Hamann
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