# taz.de -- Zum Tod von Charlotte Matthiesen: Schwarzer Humor für die Frauenbewegung
> Die Schauspielerin Charlotte Matthiesen kam aus der Westberliner
> Frauenbewegung und Alternativszene der 70er und 80er Jahre. Ein Nachruf.
(IMG) Bild: Charlotte Matthiesen (li.) im Film „Der subjektive Faktor“, den die Kneipe Pirata Patata in Kreuzberg bald zu ihrem Gedenken zeigt
Charlotte Matthiesen lehnt an der Wand, neben ihr ein überlebensgroßer
Lenin-Kopf auf einem Plakat, ihr gegenüber Angelika Rommel, die die
Hauptfigur Anni spielt. Die Szene aus „Der subjektive Faktor“ von 1981
spielt in einer 68er-Kommune, in der sich das Engagement für die
Weltrevolution und die Emanzipation des eigenen Lebens immer wieder
aneinander rieben. Die Konflikte der Frauen mit der männerdominierten
Bewegung führen schließlich zur [1][Gründung autonomer Frauengruppen].
Damit zeichnet der vielfach gelobte [2][Film von Helke Sanders] die
Entstehung der zweiten Frauenbewegung und der Alternativszene in Westberlin
nach. Die 1949 in Lübeck geborene Matthiesen war jedoch nicht nur in dem
Film zu sehen, sondern selbst in vielfältiger Weise in der Gegenkultur
engagiert. Zunächst in Lübeck, wo sie Ende der 1960er Jahre als
Schauspielerin am Theater arbeite, anschließend in Westberlin, wohin sie
Anfang der 1970er Jahre ging. Hier schloss sie sich der autonomen
Frauenbewegung an und arbeitete hauptberuflich in der Viva-Frauendruckerei.
Als sie Ende der 1970er Jahre wieder Theater spielen sollte, gründete sie
1979 mit Jutta Dieber, Erika Tuchtfeld und Heidi Zerning das Frauenkabarett
„Die Witwen“, das sich mit ihren langjährigen Erfahrungen in der
Frauenbewegung auseinandersetzen sollte. Orientiert an der feministischen
Satire-Autorin Christa Reinig, erarbeiteten sie Shows wie „Fahren Sie ab,
Madame“, in denen gespielt und gesungen wurde und nicht zuletzt Pointen mit
scharfzüngigem Humor gerissen wurden.
## Männer waren zu den Vorstellungen nicht zugelassen
Die „Witwen“ griffen Politiker, jedoch auch die Frauenbewegung selbst an.
Das kam hervorragend an: 1980 spielten sie bereits beim internationalen
Frauentheater-Festival in Köln, es folgten Einladungen von Frauengruppen in
die ganze Bundesrepublik. Die Veranstaltungen waren stets von Frauen
organisiert, Männer waren zu den Vorstellungen prinzipiell nicht
zugelassen. Es sollte Kabarett von Frauen für Frauen sein.
Ihre ersten Auftritte hatten die „Witwen“ jedoch, sogleich mit
durchschlagendem Erfolg, im Sommer 1980 im Schwarzen Café. Das war
gewissermaßen ein Heimspiel für Matthiesen, die das Schwarze Café im
Kollektiv mitaufgebaut hatte. Gegründet wurde das anarchistische Café – die
Farbe Schwarz hatte hier nicht nur eine ästhetische Bedeutung – 1978 im
Anschluss an den [3][legendären Tunix-Kongress]. Es sollte inmitten des
bürgerlichen Charlottenburg ein ganz anderer Ort sein, der rund um die Uhr
aufgesucht werden konnte und in dem sich alle willkommen fühlen sollten.
Es kam daher nicht von ungefähr, dass Matthiesen 1981 in „Der subjektive
Faktor“ mitspielte. In der Alternativszene sollte das Subjektive, das
eigene Leben und Empfinden, nicht mehr nur ein „Faktor“ in der Revolution
sein. Das galt zumal für die autonome Frauenbewegung, für Kindererziehung,
Frauenselbstbildung – oder Frauenkabarett. Darüber hinaus spielte
Matthiesen 1980, neben einigen weiteren Filmen, in Peter Zadeks gefeierter
Shakespeare-Inszenierung „Der Widerspenstigen Zähmung“ an der Freien
Volksbühne Berlin mit. Thema: die „Zähmung“ und Unterwerfung einer Frau
unter die herrschenden Geschlechternormen.
Die nächste Station ihres Lebens wurde das Café im Literaturhaus Berlin.
Als Mitte der 1980er Jahre der Berliner Senat das Literaturhaus in
Charlottenburg plante, wurde auch eine Pächterin für das Café in der
repräsentativen Gründerzeitvilla gesucht. Unter zahlreichen Bewerber_Innen
bekam Matthiesen, die schon lange ein Frauenkulturzentrum oder ein
Theatercafé aufbauen wollte, zu ihrer großen Freude den Zuschlag. Mit viel
Hingabe beteiligte sie sich an der Einrichtung eines hocheleganten modernen
Literaturcafés, das 1987 schließlich eröffnete wurde. Noch heute befinden
sich einige der von Matthiesen ausgewählten extravaganten Stühle im Café.
## Ein schwerer Schicksalsschlag
Sie muss eine unglaubliche Energie gehabt haben. 1987 übernahm sie parallel
zum Café eine Hauptrolle in der klamaukigen Kinderserie „Hals über Kopf“.
Durch die mehrere Jahre am Samstagnachmittag im ZDF laufende Serie wurde
sie nun auch einem breiten Publikum bekannt. Als „Frau Wurzel“, stets mit
markantem Turban, konnte Matthiesen erneut ihrer Lust an der Pointe
Ausdruck verleihen: In der in Westberlin spielenden Serie mussten die
Erwachsenen unter allen möglichen lustigen Verwirrungen verschwundene
Kinder wiederfinden.
Ende der 1980er Jahre wurde Matthiesen jedoch durch einen schweren
Schicksalsschlag aus ihren vielfältigen kreativen Engagements gerissen. Sie
erlitt eine Erkrankung, die ihr das Kurzzeitgedächtnis kostete, und von der
sie sich nicht mehr erholte. Letztlich musste sich vollständig aus dem
Berufsleben zurückziehen.
Dennoch ließ ihr Aktivitätsdrang nicht nach. Seit 1986 wohnte sie in dem
[4][markanten Baller-Haus an der Admiralbrücke] in Kreuzberg, einem durch
seine idyllische Lage am Landwehrkanal sehr beliebten Freizeittreff. Dort
war sie nun ständig präsent, tauschte sich mit Anwohner_Innen und
Passant_Innen aus und gewann so eine große Bekanntheit im Kiez. Wer
vorbeikam, dem brachte sie eine witzige, auch gern angriffslustige
Bemerkung entgegen: „Hast du Marmelade auf den Füßen?“ – gemünzt auf den
roten Nagellack einer Frau.
„Der, der immer sitzt!“ – zu einem Mann, der am Straßenfenster am
Schreibtisch arbeitet. „Die da, so da, du’n da, was tust du’n da.“ „Warst
du schon wieder an meinem Kaffee?“ Immer wieder legte sie einen so
spontanen wie pointierten Witz an den Tag, in dem ihre große Zeit als
Kabarettistin durchschimmerte. Zuweilen interpretierte sie auch die im
Sommer überfüllte Admiralbrücke als Theaterbühne, öffnete ihre Balkontür
und trug der Menge mit lauter Stimme ein Gedicht oder ein Lied vor. Auch im
hohen Alter sang sie noch wunderschön.
Charlotte Matthiesen ist am Freitag, 28. November 2025, verarmt in ihrer
Wohnung verstorben. Zu ihrem Gedenken richtete eine Nachbarin vor dem Haus
einen Trauerstein ein und schmückte ihn mit Grünzeug, Kerzen und Grußkarten
an Charlotte. Seither bleiben immer wieder Anwohner_Innen dort stehen,
fragen nach ihr, verleihen ihrer Trauer Ausdruck, erzählen einen ihrer
witzigen Kalauer. Nach und nach wird deutlich, welchen Eindruck Matthiesen
hinterlassen hat. Die Schauspielerin und Aktivistin der Frauenbewegung wird
im Kiez fehlen.
16 Dec 2025
## LINKS
(DIR) [1] /Feminismus-nach-1968/!5408762
(DIR) [2] /Der-subjektive-Faktor/!5376505/
(DIR) [3] /40-Jahre-Tunix-Kongress-in-West-Berlin/!5477248
(DIR) [4] /Der-Architekt-Hinrich-Baller/!6104830
## AUTOREN
(DIR) Emanuel Kapfinger
## TAGS
(DIR) 68er
(DIR) Frauenbewegung
(DIR) Berlin-Kreuzberg
(DIR) Schauspielerin
(DIR) Tunix-Kongress
(DIR) Architektur
(DIR) Tunix-Kongress
(DIR) Gender
## ARTIKEL ZUM THEMA
(DIR) Der Architekt Hinrich Baller: Als würden sie tanzen
Mit Pastelltönen und eigenwilligen Formen mischte Hinrich Baller Berlin ab
Ende der 1960er Jahre auf. Zur Erinnerung an den im Juli verstorbenen
Architekten.
(DIR) 40 Jahre Tunix-Kongress in West-Berlin: Komm mit, sprach der Esel
Spontis, Freaks, Theoriestars – der Tunix-Kongress war das
Erweckungserlebnis der Alternativen in der Bundesrepublik.
(DIR) Feminismus nach 1968: Dann eben ohne Schwänze
Warum sich die autonome Frauenbewegung von der Studentenbewegung
abspaltete. Und was wir daraus lernen können.