# taz.de -- Atomares Wettrüsten: Gefährliche Symmetrie
       
       > Putins Antwort auf die von Trump angekündigten neuen Atomtests überrascht
       > wenig. Auch Russland will die nukleare Aufrüstung wieder aufnehmen.
       
 (IMG) Bild: Das nukleare Spiel mit dem Feuer riskiert maßloses Chaos
       
       Anfang November versammelte der russische Präsident Wladimir Putin seine
       obersten Verteidigungschefs im Kreml und erteilte eine klare Anweisung:
       Russland werde sich darauf vorbereiten, Atomwaffentests erstmals seit mehr
       als drei Jahrzehnten wieder aufzunehmen, sollten die Vereinigten Staaten
       ihre [1][jüngsten Signale] in die Tat umsetzen. Die Anordnung kam nur
       Stunden, nachdem US-Präsident Donald Trump dem Pentagon befohlen hatte, das
       amerikanische [2][Atomtestprogramm] wieder aufzunehmen, das seit 1992
       ruhte.
       
       Putins Maßnahme zielt auf den abgelegenen arktischen Archipel [3][Nowaja
       Semlja] ab, einst Schauplatz sowjetischer Explosionen. Es handelt sich um
       eine kalkulierte Antwort, die nicht als Aggression, sondern als Symmetrie
       dargestellt wird. „Falls irgendein Staat mit Atomtests beginnt“, warnte
       Putin, „wird Russland entsprechend reagieren.“ Dieser verbale
       Schlagabtausch ist kein Einzelfall. Er markiert das Zerfasern der letzten
       Fäden, die ein neues nukleares Wettrüsten zurückhielten.
       
       Im Zentrum steht der [4][New-Start-Vertrag] (Strategic Arms Reduction
       Treaty), das bilaterale Abkommen, das seit 2010 die Zahl der eingesetzten
       strategischen Sprengköpfe und Trägersysteme zwischen Washington und Moskau
       begrenzt. Unter US-Präsident Barack Obama ausgehandelt, wurde er Anfang
       2021 von Präsident Joe Biden kurz vor seinem ursprünglichen Ablauf um fünf
       Jahre verlängert. Diese Verlängerung erkaufte Zeit bis Februar 2026, eine
       fragile Pause in einer Ära schwindenden Vertrauens.
       
       Doch Russland setzte 2023 inmitten des Ukrainekriegs seine Teilnahme aus,
       stoppte Inspektionen und Datenaustausch, hielt sich allerdings weiter an
       die zahlenmäßigen Grenzen. Mit Trumps Rückkehr ins Weiße Haus und Putin
       unter wachsendem Druck im In- und Ausland, hängt das Überleben des Vertrags
       an einem seidenen Faden.
       
       ## Der Krieg beendete jegliche Kooperation
       
       Während [5][Trumps erster Amtszeit] fixierte sich die US-Außenpolitik auf
       Handelsungleichgewichte mit China. Zölle auf Stahl, Aluminium und
       Konsumgüter beherrschten die Schlagzeilen und diplomatischen Kapazitäten –
       eine Strategie, die globale Lieferketten umgestalten sollte, aber tiefere
       strategische Bedrohungen in den Hintergrund drängte.
       
       Russland modernisierte damals wie heute sein Arsenal unbehelligt: Einsatz
       hypersonischer Raketen, Ausbau der U-Boot-Flotte und Wiederbelebung
       apokalyptischer Projekte wie der nuklear angetriebenen
       [6][Burewestnik]-Marschflugkörper. New-Start-Inspektionen liefen
       vertragsgemäß weiter, doch substanzielle Gespräche über ein
       Nachfolgeabkommen stockten. Trumps Team sah den Pakt als Konzession aus der
       Obama-Zeit, einseitig zugunsten Russlands, da er taktische Atomwaffen oder
       neue Technologien nicht ansprach.
       
       Kritiker in der Regierung plädierten für einen Ausstieg, da die
       Begrenzungen US-Innovation behinderten, während Moskau betrog. Diese
       handelszentrierte Linse erwies sich als kostspielig. Bis 2018 hatten
       US-Geheimdienste vor Russlands verdecktem Atomwaffenbau gewarnt, doch die
       Reaktion blieb Stückwerk: Es gab Sanktionen gegen Oligarchen,
       Cybergegenmaßnahmen, aber keinen erneuerten Rüstungskontrolldialog. Die
       Chance für Biden, den Tisch neu zu decken, kam zu spät.
       
       Auf einer Plattform der Wiederherstellung von Allianzen und
       Multilateralismus gewählt, priorisierte er die New-Start-Verlängerung als
       niedrig hängende Frucht. Eine pragmatische Maßnahme, die überprüfbare
       Obergrenzen für Sprengköpfe sicherte, die US-amerikanischen Boden erreichen
       könnten – für weitere fünf Jahre. Doch die [7][Ukraine-Invasion im Februar
       2022] zerstörte jede Kooperationsillusion.
       
       ## Die USA testen, also testet Russland auch
       
       Putin berief sich auf den Krieg, um die Vertragsaussetzung zu
       rechtfertigen, und behauptete, [8][die Nato-Erweiterung] stelle eine
       existenzielle Bedrohung dar. Bidens Regierung, fokussiert auf die
       Bewaffnung Kyjiws und die Sammlung Europas, konnte Moskau nicht zurück an
       den Tisch locken. Informelle Deeskalationskanäle – Hinterzimmergespräche
       zur Risikoreduktion – verblassten mit steigenden Schlachtfeldverlusten.
       
       Mit Trumps zweiter Amtszeit werden die Echos lauter. Sein Auftrag vom 29.
       Oktober zur [9][Wiederaufnahme von Tests] war direkt: Amerika müsse „auf
       Augenhöhe“ mit Russland und China konkurrieren. Er folgte einem
       [10][Minuteman-III-]Interkontinentalraketenstart, einem Routinemanöver, das
       als Signal der Entschlossenheit umfunktioniert wurde. Putin, stets
       Spiegelbild, hat nun Vorbereitungen für reziproke Tests freigegeben, sein
       Verteidigungsminister [11][Andrei Beloussow] argumentiert, Russlands
       nukleare Abschreckung erfordere Bereitschaft gegen jede Provokation.
       
       Russische Experten erklären in Staatsmedien, Moskau halte in jedem
       erneuerten Rennen einen entscheidenden Vorteil – mit überlegenen
       Produktionslinien und geringeren Haushaltszwängen. Der umfassende
       Atomteststopp-Vertrag, von beiden Nationen unterzeichnet, aber nie voll
       ratifiziert, wirkt nun wie ein Relikt. Kein Land außer Nordkorea hat seit
       1998 eine nukleare Vorrichtung gezündet – eine Norm, die Proliferation
       eindämmte und globale Sicherheit förderte. Diese Zurückhaltung bröckelt.
       
       Das nukleare Spiel mit dem Feuer riskiert maßloses Chaos. Washington und
       Moskau sollten ein dringendes „Großes Abkommen“-Gipfeltreffen einberufen,
       co-gehostet von einem neutralen Partner wie der Schweiz. Das Ziel ist
       einfach: einfrieren aktueller nuklearer Einsätze im Tausch gegen ein
       Testmoratorium und eine einjährige Brückenverlängerung der
       New-Start-Grenzen.
       
       ## Zurückhaltung statt Reflex
       
       Ein solcher Deal würde die Schutzmechanismen wieder aufbauen, die bislang
       Katastrophen verhinderten. Putin, von Sanktionen und stockenden
       Fortschritten in die Enge getrieben, signalisierte Gesprächsbereitschaft
       bei Reziprozität. Die Alternative – eine Kaskade von Tests und ungebremste
       Eskalation – ist im Interesse von niemandem.
       
       Das Atomzeitalter begann mit einem Blitz über Hiroshima, einer in die
       Geschichte eingravierten Warnung. Achtzig Jahre später stehen wir an einem
       weiteren Wendepunkt. Washington und Moskau müssen Zurückhaltung statt
       Reflex wählen. Die Welt kann sich kein weiteres Echo leisten.
       
       12 Dec 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /USA-drohen-mit-Atomtests/!6126149
 (DIR) [2] https://www.youtube.com/watch?v=1bXdruCgafM
 (DIR) [3] /Atomschrott-im-Nordmeer/!6010263
 (DIR) [4] /Begrenzung-von-Atomwaffen/!5747791
 (DIR) [5] https://de.statista.com/themen/4829/handelskrieg/
 (DIR) [6] https://www.welt.de/politik/ausland/plus68b6fa7f46b61b4dcb0b70e4/russland-fliegendes-tschernobyl-putins-neuer-marschflugkoerper-mit-atomreaktor-kurz-vor-debuet.html
 (DIR) [7] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150
 (DIR) [8] /Putins-Reaktion-auf-die-Nato-Erweiterung/!5861307
 (DIR) [9] https://www.bbc.com/news/articles/c4gzq2p0yk4o
 (DIR) [10] https://www.atomwaffena-z.info/glossar/begriff/minuteman-iii-lgm-30
 (DIR) [11] /Putins-neuer-Kriegsmanager/!6009861
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Imran Khalid
       
       ## TAGS
       
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