# taz.de -- Ausstellung über Weihnachtsfeierkultur: „Das erste Weihnachten ohne Pappi“
> Private Weihnachtsfotos aus den Jahren 1896 bis 1996 geben einen Einblick
> in bremische Wohnzimmer. Hans-Jürgen Jung über wegbrechende Konventionen.
(IMG) Bild: Zeitgeschmack, Weltgeschichte, Rollenbilder: Ausstellung zeigt weihnachtliche Wohnzimmer in Bremen, hier eine Aufnahme von 1920
taz: Herr Jung, warum hat die Ausstellung mit 150 Weihnachtsfotos aus den
Alben von Bremer*innen den Titel: „Früher war mehr Lametta“?
Hans-Jürgen Jung: Opa Hoppenstedt sagt diesen Satz in dem berühmten
Weihnachts-Sketch von [1][Loriot]. Durch diesen Titel wollten wir eine
ironische Distanz erzeugen.
taz: Und stimmt diese Aussage denn auch?
Jung: Ja, bei den älteren Fotos fällt auf, dass das Lametta nicht nur den
Baum überdeckt, sondern auch die anderen weihnachtlichen Symbole aufgesogen
hat.
taz: Zum Beispiel die Weihnachtskrippe als ein christliches Symbol, das in
den 150 Fotos der Ausstellung nur einmal auftaucht?
Jung: Weihnachten hat sich ja kulturell eher als ein Familienfest
herausgebildet. Und da geht es mehr um den [2][Tannenbaum] als einen grünen
Lebensbaum und um die Lichtmetaphorik.
taz: Wie haben sich denn die deutschen Weihnachtsbilder in den vergangenen
100 Jahren verändert?
Jung: Die älteren Fotos waren noch gestellt, weil sie auf großen
Plattenkameras von einem professionellen Fotografen aufgenommen wurden. Da
wurde dann oft die ganze Familie gezeigt.
taz: Und ab wann wurden Weihnachtsfotos dann familiäre Schnappschüsse ohne
repräsentativen Anspruch?
Jung: Der Umschwung passierte in den 1930er-Jahren, als die kleineren
[3][Mittelformatkameras] zur familiären Grundausstattung gehörten. Da
sollte dann für die Familie dokumentiert werden, wie schön die Feier war.
taz: Was ist denn zum Beispiel auf den Fotos aus dem Zweiten Weltkrieg zu
sehen?
Jung: Da merkt man, dass die nicht vorhandene Fülle und die Wehmut
kaschiert wurden. Stattdessen machte man aus wenig möglichst viel. Das
waren ja auch Fotos, die man den Soldaten an die Front geschickt hat. Da
steht dann höchstens mal auf der Rückseite von einem Bild: „Das erste
Weihnachten ohne Pappi“.
taz: Es fällt ja auch auf, dass die Geschenke unter den Weihnachtsbäumen
sich verändert haben.
Jung: Ja, in den 1950er-Jahren wurden eher praktische Dinge und
Kleidungsstücke verschenkt.
taz: Auf einem Foto präsentiert ein Kind sogar stolz einen Regenschirm.
Jung: Genau, aber jede Generation entwickelt neue Rituale, und bei den
Bildern aus den 1970er-Jahren wird dann zum Beispiel die neue Carrera-Bahn
gezeigt.
taz: Man kann man also auf diesen Bildern erkennen, wie sich die
Gesellschaft verändert hat?
Jung: Genau. Man sieht zum Beispiel, wie nach 1968 die Konventionen
weggebrochen sind. Ab den 1970ern werden die Fotos lockerer und
lebensfroher. Und das nicht nur, weil sie in Farbe sind. Da hat dann jemand
auch mal ein Schnapsglas in der Hand.
taz: Mir ist auch aufgefallen, dass in den jüngeren Fotos der Fokus immer
mehr von den geschmückten Bäumen zu den Kindern gewandert ist.
Jung: In den Bildern wird ja auch die Fragmentierung der Familien
dokumentiert. Früher fuhren die erwachsenen Kinder noch zum Heiligen Abend
zu den Eltern. Aber spätestens in den 1980ern gab es einen Umbruch. Von da
an wird meistens in der Kernfamilie gefeiert. Und dabei entstanden viele
Bilder, in denen die Kinder zentral im Bild sind. Und die Eltern sind nur
noch zu sehen, wenn die Kinder zu klein sind, um alleine zu sitzen oder zu
stehen.
taz: Solche Weihnachtsfotos sind ja auch nicht dazu gedacht, mal in einer
Ausstellung gezeigt zu werden.
Jung: Nein, das sind intime Momente und die Fotos sind immer auch Teile der
persönlichen Familiengeschichten. In der Ausstellung gibt es zum Beispiel
auch zwei Fotos von mir selber als kleinem Kind. Und wenn ich die jetzt
sehe, erinnere ich mich daran, wie die Strumpfhose aus Wolle, die ich da
getragen hatte, gekratzt hat.
16 Dec 2025
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