# taz.de -- Amazon-Lager in Erfurt: Der tote Mitarbeiter
       
       > Mitte November bricht in einem Amazon-Lager in Erfurt ein Mitarbeiter
       > zusammen und stirbt. Verdi gibt dem Konzern eine Mitschuld, der wiegelt
       > ab.
       
 (IMG) Bild: Black Monday: Was genau geschah am 17.11. in diesem Amazon-Lager bei Erfurt?
       
       Bei Amazon in Erfurt steht nun ein schwarzer Bilderrahmen. Darin der Name
       und das Foto von dem Mann, der hier vor zwei Wochen sein Leben verloren
       hat. „In stiller Trauer nehmen wir Abschied von unserem Angestellten“,
       steht dort auf Englisch. Sein plötzlicher und „komplett unerwarteter“ Tod
       hinterlasse große Traurigkeit. Der Mann sei freundlich gewesen und
       hilfsbereit. Seiner Familie und allen, die ihm nahe standen, spreche man
       aufrichtiges Beileid aus.
       
       Unterschrieben ist die Trauerkarte mit: „Management, Betriebsrat und die
       Angestellten der Amazon Erfurt GmbH“.
       
       Der Mann war 59 Jahre alt, ein Deutsch-Algerier und Mitarbeiter im
       Amazon-Lager in einem Vorort von Erfurt. Sein Name ist der Redaktion
       bekannt. Am Morgen des 17.11. brach er während seiner Frühschicht auf der
       Toilette zusammen und starb an einem Herzinfarkt.
       
       Seitdem steht die Frage im Raum, welche Verantwortung Amazon trägt für den
       Tod dieses Mannes, mitten im „[1][Black Friday]“- und Weihnachtsgeschäft,
       dem stressigsten des ganzen Jahres.
       
       ## Die Tätigkeit „Picking“ ist besonders hart
       
       Seit rund 30 Jahren lebte der Mann in Deutschland. Er war lange
       selbstständig, betrieb mit seiner Frau einen Pizza-Lieferdienst mit 35
       Angestellten und ein Café. Die Lokalzeitung beschrieb ihn einmal als
       hochmotivierten Unternehmer, für seine Arbeit mit dem Pizzabetrieb wurde er
       ausgezeichnet. Doch das ist lange her. Seit wann er im Logistikzentrum bei
       Amazon arbeitete, ist nicht bekannt.
       
       Am Morgen des 17.11. erschien der Mann zu seiner Frühschicht, sie beginnt
       in der Regel um 6 Uhr. Er soll für das sogenannte „Picken“ zuständig
       gewesen sein, hat also Waren aus dem Lager für Bestellungen
       zusammengesucht. Unter den Mitarbeitern gilt dies als besonders
       anstrengende Aufgabe.
       
       Im Laufe seiner Schicht meldete er seinem Vorgesetzten, dass er sich unwohl
       fühle. So geht es aus Berichten von Mitarbeitern hervor, Amazon bestätigt
       das gegenüber der taz. Was danach passierte, darüber gehen die Erzählungen
       auseinander. Offiziell heißt es, mit dem Mitarbeiter sei vereinbart worden,
       dass er in die Pause gehe und danach entscheide, ob er nach Hause gehe. So
       sei man davon ausgegangen, dass er das Betriebsgelände verlassen habe und
       nach Hause gegangen sei.
       
       Viele Mitarbeiter:innen halten diese Version nicht für glaubhaft.
       Mitarbeiter:innen würden engmaschig kontrolliert im Logistikzentrum,
       heißt es. Wer gehe, müsse offiziell auschecken. Es falle also auf, wenn ein
       Kollege länger nicht an seinem Arbeitsplatz sei.
       
       ## Stundenlang auf der Toilette
       
       Offenbar lag der Mann nach seinem Zusammenbruch für rund zwei Stunden auf
       der Toilette, bevor er gefunden wurde. Amazon bestreitet das nicht, ein
       Sprecher stellt aber gegenüber der taz klar: „Wir möchten betonen, dass es
       sich bei dem tragischen Vorfall nicht um einen Arbeitsunfall handelte.“
       
       Matthias Adorf von der Gewerkschaft verdi kennt die Bedingungen bei Amazon
       in Erfurt. Er führt regelmäßig Gespräche mit Mitarbeitern. Kurz vor dem Tod
       des Mannes hatte Adorf mit Kollegen vom Deutschen Gewerkschaftsbund vor den
       Werkstoren von Amazon eine gemeinsame Aufklärungsaktion gestartet.
       
       Auch Adorf geht nicht so weit zu sagen, dass der Tod des Mannes ein
       Arbeitsunfall gewesen sei. „Aber der Mann hätte womöglich gerettet werden
       können, wenn ihm schneller geholfen worden wäre.“
       
       Adorf meint damit nicht nur die Zeit, in der der Mann leblos auf der
       Toilette lag. Er meint auch eine neue Entwicklung bei Amazon in Erfurt:
       Erst vor Kurzem sei dort der Betriebssanitäter abgeschafft worden, sagt
       Adorf. „Ein Betriebssanitäter hätte die Warnzeichen erkennen und einen
       Notarzt rufen können.“
       
       ## Größtes Logistikzentrum in Europa
       
       Ein Sprecher von [2][Amazon] sagt gegenüber der taz, verdi versuche, ein
       falsches Bild des tragischen Geschehens zu zeichnen. Er bestreitet nicht,
       dass der Sanitäter gestrichen wurde, sagt aber, man habe in Erfurt das
       Ersthelfer-Programm erheblich ausgebaut. Knapp 300 Kolleg:innen seien
       entsprechend geschult worden, damit seien sämtliche Vorgaben um ein
       Vielfaches übererfüllt.
       
       Das Logistikzentrum von Amazon in Erfurt-Stotternheim ist das größte und
       modernste in Europa. Eine Anlage, so groß wie neun Fußballfelder und
       hochautomatisiert. 1.200 Transportroboter sind hier im Einsatz und 2.000
       Menschen. Amazon betreibt einen eigenen Shuttle-Service, der die
       Mitarbeiter von Montag bis Freitag einsammelt und zu dem Logistikzentrum
       fährt.
       
       Für das Werk wurde ein eigenes Logo entworfen – ein Erfurter Rad mit einer
       lächelnden Puffbohne darin – dazu der Standortname: ERF1. Bei der
       feierlichen Eröffnung im Mai 2024 bekamen alle Mitarbeitenden einen
       Rucksack mit Logo geschenkt, dazu eine Trinkflasche und ein T-Shirt.
       
       Die Arbeitsbedingungen allerdings beschreibt Matthias Adorf von verdi als
       hart. „Die Mitarbeiter stehen extrem unter Druck: Sie müssen enge Vorgaben
       erfüllen, arbeiten gegen die Uhr und können sich kaum erlauben, krank zu
       werden.“
       
       ## Großteil der Beschäftigten hat Migrationsgeschichte
       
       Nach Adorfs Schätzung haben rund drei Viertel der Mitarbeitenden einen
       Migrationshintergrund. Die meisten dieser Beschäftigten kommen aus den
       sogenannten Drittstaaten, das heißt, aus Ländern außerhalb der Europäischen
       Union, aus Syrien, Irak oder Afghanistan. „Bei vielen ist der
       Aufenthaltsstatus an ihren Job geknüpft. Sie können also nicht riskieren,
       ihn zu verlieren. Das weiß Amazon und nutzt es aus.“
       
       Gerade im November und Dezember ist der Druck bei Amazon wegen der
       Feiertage und der „Black Week“ besonders hoch. Mitarbeiter berichten,
       Urlaub sei in dieser Zeit so gut wie verboten, viele Mitarbeitende werden
       überhaupt nur mit Zweimonatsverträgen für diese Zeit angestellt.
       
       Gleichzeitig gilt Amazon gerade unter migrantischen Arbeitern in Erfurt als
       beliebter Arbeitgeber, weil dort Englisch gesprochen wird, anders als in
       vielen anderen Thüringer Betrieben. Die Teams sind international. Außerdem
       liegt die Bezahlung mit knapp 16 Euro Brutto pro Stunde über der von
       anderen Versandhändlern in der Region.
       
       Nach dem Tod des Mitarbeiters hat Amazon die laufende Schicht unterbrochen
       und alle Angestellten bei vollem Lohn nach Hause geschickt. Damit reagierte
       das Unternehmen anders als vor drei Jahren in Leipzig: Als dort ein
       Mitarbeiter während seiner Schicht zusammenbrach und starb, lief der
       Betrieb einfach weiter.
       
       Einen Tag nach dem Tod des Mannes postet ein Verein von in Deutschland
       lebenden Algeriern sein Bild auf Facebook, dazu die Nachricht von seinem
       Tod. Zahlreiche Algerier hinterlassen unter der Nachricht
       Beileidsbekundungen.
       
       Wenige Tage später leitet die Staatsanwaltschaft Erfurt ein
       Todesermittlungsverfahren ein, es dauert bis heute an. Linke und SPD
       fordern im Thüringer Landtag Aufklärung von den Behörden.
       
       Der Leichnam des Mannes ist inzwischen in seine Heimat Algerien überführt
       und dort bestattet worden. Die Überführung hat der algerische Staat
       bezahlt. Ob Amazon sich an den Kosten für die Bestattung beteiligt hat,
       ließ das Unternehmen auf taz-Anfrage offen.
       
       Haben Sie mehr Informationen zu diesem Fall? Dann kontaktieren Sie uns
       unter: [3][taz.de/investigativ]
       
       4 Dec 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Wie-echt-sind-die-Rabatte-am-Black-Friday/!6128498
 (DIR) [2] /Amazon-darf-Beschaeftigte-dauerueberwachen/!5911174
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       ## AUTOREN
       
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