# taz.de -- Kommentar zum Rentenstreit: Leben und Sterben (lassen)
       
       > Mehr als nur „Jung gegen Alt“: Um einen künftigen Generationenkrieg zu
       > verhindern, braucht es eine ganz neue Renten- und Altenpolitik, meint
       > Kolumnist Udo Knapp.
       
 (IMG) Bild: Hendrik Streeck (links) befeuert mit seinen Aussagen einen Generationengesundheitskonflikt. Jens Spahn (rechts) muss in der Fraktion seinen eigenen Generationenkonflikt lösen
       
       [1][taz FUTURZWEI] | Die Jungen Abgeordneten der [2][CDU-Fraktion] im
       Bundestag wollen dem Rentenpaket der Bundesregierung nicht zustimmen. Es
       soll eine Stabilisierung der Renten bei 48 Prozent der durchschnittlichen
       Einkommen im Jahr der Verrentung und eine Neujustierung des Rentensystems
       insgesamt auf den Weg bringen.
       
       Die CDU-Jungen verlangen eine kontinuierliche Absenkung der Renten und
       aller anderen sozialen und gesundheitlichen Dienstleitungen entsprechend
       der Zunahme der Renten-Bezieher, damit die Renten- und Sozialbeiträge zu
       Lasten der Jungen und der Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt nicht weiter
       steigen.
       
       Wird die Ansage des CDU-Abgeordneten und Virologen [3][Hendrik Streeck]
       mitgedacht - Alte (bei ihm ist es eine fiktive 100-jährige) sollen keine
       teuren, lebenserhaltenden [4][Medikamente] und [5][Therapien] mehr erhalten
       - liegt der Schluss nahe: Die jungen CDUler - alle um die 30 Jahre alt –
       wollen einen Krieg der Generationen gegen ihre Großeltern und Eltern, die
       [6][Babyboomer] und die auf sie folgende Generation X eröffnen.
       
       Die Babyboomer umfassen die Jahrgänge 1950 bis 1964 (oder 1955 bis 1969, je
       nach Definition. 2031 beginnt für ihren geburtenstärksten Jahrgang 1964 die
       Rentenzeit und werden insgesamt etwa 16,5 Millionen Boomer das
       Renteneintrittsalter erreicht haben.
       
       ## Die Boomer als „Generation Woodstock“
       
       Im Jahr 2040 werden sie dann, nach einer Prognose des Institutes der
       Deutschen Wirtschaft, auf etwa 15 Millionen Personen geschrumpft sein. Die
       ersten Jahrgänge der Babyboomer werden dann bereits über 85 Jahre alt sein.
       Ab 2032 geht die Generation X mit den Jahrgängen 1965 bis 1980 (etwa 16
       Millionen) in Rente.
       
       Die durchschnittliche Lebenserwartung für Männer liegt heute bei 78,9
       Jahren, die der Frauen bei 83,5 Jahren. Sie steigt bei immer besserer
       Gesundheitsversorgung von Jahr zu Jahr weiter an.
       
       Hundertjährige werden schon bald keine Ausnahme mehr sein. Es wird bis in
       die 2060er Jahre dauern, bis sich die etwa 30 Millionen Alte beider
       Generationen aus ihrem Leben verabschiedet haben. Boomer und X gehören zu
       den langlebigsten Generationen, die es je gegeben hat.
       
       Sie werden 30 bis 40 Jahre in Rente verbringen, bei zwar zunehmenden
       körperlichen Problemen, aber in der Regel klar im Kopf und voll
       gesellschaftsfähig. Sie bilden bei Wahlen eine entscheidende Großgruppe,
       die in ihren jungen Jahren gelernt hat, ihre Interessen durchzusetzen.
       
       Das ist kein Zufall. Die Boomer waren die erste Generation, die die Welt
       bis zu ihrer Verrentung nicht durch Kriege, sondern mit Ihrer Kreativität,
       ihrer Lebenslust, ihrem Lebensstil und ihren Erfolgen geprägt hat.
       
       Die Boomer könnten auch als [7][Woodstock]-Generation bezeichnet werden,
       kulturell und gesellschaftlich geprägt durch das legendäre Musikfestival im
       August 1969 und die [8][Freiheitsbewegung der 68er]. Viele davon haben ihre
       Jugend, später auch ihr Erwachsenenleben, als kollektives, wildes,
       selbstbewusst gestaltetes Generationserlebnis gelebt.
       
       Wer glaubt, die Boomer würden sich dem Bild von den tattrigen Alten
       anschmiegen, die zunehmend verblödend, langsam aus ihrem Leben wegdämmern,
       täuscht sich gewaltig.
       
       ## Wie die Gesundheit zu Verwerfungen in der Politik führt
       
       Boomer und X werden auch im Alter ihre Generationsmacht in ihrem
       kollektiven Interesse gebrauchen. Sie werden Politik und Gesellschaft
       zwingen, sich mit der Gesundheitsfürsorge für die Alten, mit Gerontologie
       zu beschäftigen.
       
       Für die nächsten 40 bis 50 Jahre werden das Leben und das Sterben dieser 30
       Millionen Deutscher Boomer und Generation Xler, deren Versorgung und
       Absicherung ein zentrales Politikfeld in der Republik sein. Keine Partei,
       die politische Mehrheiten gewinnen will und niemand in der Öffentlichkeit
       kann das ignorieren.
       
       Es ist nichts daran zu ändern, dass diese immer älter werdenden Alten
       ökonomisch zu einer Altlast werden, dass ihr langes Leben auch eine
       Kapitalvernichtung auf Kosten der jetzt Jungen bedeutet. Genauso wenig wie
       an der Notwendigkeit, den Jungen höhere Sozialabgaben abzuverlangen und
       steigende Zuschüsse aus den öffentlichen Haushalten bereitzustellen.
       
       Es sei denn, die Politik würde die Lebensbedingungen der Alten so
       verschlechtern, dass sie schneller sterben oder sich freiwillig den
       Zumutungen einer Euthanasie öffnen, weil sie sich wegen der Vorhaltungen
       der Jungen schuldig fühlen, so alt geworden zu sein.
       
       [9][Bundeskanzler Friedrich Merz] (CDU) hat bei seinem Auftritt bei den
       [10][Jungen Unionisten] zu Recht auf diese Zusammenhänge hingewiesen, er
       hat betont, dass die CDU in einem Wettstreit um die radikalste
       Rentenkürzung nur verlieren kann.
       
       Die von Jungen Unionisten vorgetragene Aufkündigung von Respekt und Liebe
       für ihre Eltern und alle Alten entsetzt. Sie zerreißt willkürlich den
       humanen, moralischen und sozialen Kitt unserer Gesellschaft.
       
       ## Für eine solidarische Rente
       
       Auch die Alten müssen allerdings bei der solidarischen Ausgestaltung ihrer
       späten Jahre einen größeren Beitrag zu ihrer Absicherung leisten. Alten-,
       Renten- und Pflegepolitik müssen dafür integrierte, gesetzliche Regelungen
       schaffen. So könnten, nur mal als Beispiel, die Regelungen zum Ausscheiden
       aus dem Arbeitsleben - heute bei 67 Jahren - so neugestaltet werden, dass
       alle Alten, die das gesetzlich festgelegte Rentenalter erreicht haben, ohne
       Einschränkungen selbst bestimmen können, ob, wie lange, wo und wie sie
       weiterarbeiten wollen.
       
       Die geplante [11][Aktivrente] kann als Einstieg in ein selbstbestimmtes
       Arbeiten im Rentenalter gesehen werden. Eine Einheitsrente für alle, sagen
       wir von 1.800 Euro, könnte materielle Sicherheit schaffen. Eine
       Rundum-Pflegevollversicherung, am besten öffentlich organisiert, könnte
       Zuversicht und Aufgehoben-Sein garantieren. Für die Jungen könnte man als
       zweite Säule ihrer Renten-Anwartschaften eine pflichtige, private
       Rentenversicherung beim Staat oder auf dem Versicherungs-Markt einführen.
       
       Eine solche Altenpolitik würde, schrieb [12][Frank Schirrmacher], jenseits
       von Druck und Schuldgefühlen, „Entscheidungsräume der freien,
       selbstbestimmten Wahl dort öffnen, wo sie dem Menschen in atemberaubender
       Weise geraubt wird, in seinem Alter.“
       
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       25 Nov 2025
       
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