# taz.de -- taz talk zum Mauerfall: Zwei Männer, eine große Frage
       
       > Der Politiker Bodo Ramelow und der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk
       > diskutieren in der taz-Kantine, was Ostdeutschland besonders macht.
       
 (IMG) Bild: Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk (l.) und der Politiker Bodo Ramelow mit der taz-Moderatorin Anne Fromm in der taz-Kantine
       
       Was bleibt nach 35 Jahren noch von der Mauer? Das fragte taz-Moderatorin
       Anne Fromm am Montagabend in der ausgebuchten taz-Kantine.
       
       Auf der Bühne des taz-talks waren zwei Männer zu Gast, die
       unterschiedlicher kaum sein könnten: Der in Ostberlin aufgewachsene
       DDR-Historiker [1][Ilko-Sascha Kowalczuk] ist Antikommunist aus Erfahrung
       und Überzeugung. Die Linkspartei kritisiert er gern und häufig. Sein
       Gesprächspartner [2][Bodo Ramelow] kam 1990 aus Westdeutschland nach
       Thüringen, als Gewerkschaftssekretär. Später wurde er der erste
       Linken-Ministerpräsident dort und regierte zehn Jahre lang das Bundesland.
       Aktuell sitzt Ramelow für die Linkspartei im Bundestag.
       
       Im August haben Ramelow und Kowalczuk zusammen ein Buch geschrieben,
       seitdem sind sie auf Tour. „Die neue Mauer“ heißt der Gesprächsband,
       Untertitel: „Ein Gespräch über den Osten“ (erschienen bei C.H. Beck).
       
       Und auch wenn das Buch kein reines Ostdeutschland-Erklärbuch ist, geht es
       an diesem Abend in der taz-Kantine doch viel um den Osten und das Erbe der
       DDR. Kowlaczuk und Ramelow sind sich einig, dass Ostdeutschland mit dem
       Erstarken der Rechtsextremen und Autoritären keineswegs die Ausnahme ist.
       „Der Osten ist nicht das Besondere, sondern [3][das besonders Frühe]“, sagt
       Bodo Ramelow, und Kowalczuk prognostiziert, dass ostdeutsche Entwicklungen
       zeitversetzt auch im Westen eintreten werden.
       
       „Die AfD ist kein ausschließlich ostdeutsches Phänomen“, sagt Kowalczuk und
       verweist auf [4][westdeutsche Wahlkreise], in denen die Partei auf 30
       Prozent komme.
       
       ## Ostdeutschland sei das besonders „Frühe“
       
       Was in Ostdeutschland durchaus besonders sei, sagt Bodo Ramelow, sei das
       Gefühl, besonders zu sein. „Dabei ist die Transformationserfahrung dort
       keineswegs einmalig: Der gesamte ehemalige Ostblock hat sie gemacht – und
       Ostdeutschland steht von all diesen Ländern heute am besten da.“
       
       Wenn Ramelow über Thüringen spricht, dann klingt immernoch der stolze
       Ministerpräsident durch. Er schwärmt von der starken Wirtschaftsleistung in
       Thüringen, von hochpolierten Dörfern und ehrgeizigen Gemeindeprojekten.
       
       Nur übersetzen sich diese Errungenschaften nicht in die ostdeutsche
       Gefühlslage, beobachtet Kowalczuk. Er nehme dort einen „tiefsitzenden Hass
       auf den Liberalismus und die westliche Lebensweise“ wahr. Das sei ein
       Ergebnis von 150 Jahren autoritärer Regierungsformen, denn mit einer kurzen
       Ausnahme während der Weimarer Republik habe es im Osten bis zur Wende keine
       Demokratie gegeben. Mit Autoritarismus, Hass, Rassismus und Antisemitismus
       sei in Ostdeutschland nie gebrochen worden.
       
       Wie lässt sich dieses Abdriften ins Antidemokratische nun bremsen? Ramelow
       plädiert für eine stärkere [5][Zivilgesellschaft], für ein „sich Einmischen
       auch bei schwierigen Fragen“ und für mehr Partizipation. „Parteien haben
       immer weniger Rückbindung an die Bevölkerung“, stellt er fest. Das
       verhindere eine demokratische Kultur und stärke neues – und altes! –
       Obrigkeitsdenken. Manch eine aktuelle Debatte in der Politik könne doch
       wirklich niemand mehr ernst nehmen, beispielsweise beim Wehrdienst. „Lasst
       uns doch drüber diskutieren“, sagt Ramelow. Sein Vorschlag: Ein
       Bürger*innenrat.
       
       ## Der Dissenz am Ende
       
       Am Ende der Veranstaltung kommt es zum Dissenz zwischen den beiden Männern.
       Aus dem Publikum kommt die Frage, wie Ramelow und Kowalczuk die jünste
       Aussage der Linken-Chefin Heidi Reichinnek bewerten. In einem Interview mit
       dem Stern hatte sie gesagt, die DDR sei [6][kein Sozialismus gewesen].
       
       Kowalczuk überlegt etwas, dann sagt er: „Wenn das kein richtiger
       Kommunismus war, dann will ich nicht wissen, was der richtige Kommunismus
       ist. Im falschen gab es 100 Millionen Tote, wie viel schafft ihr mit dem
       richtigen?“
       
       Bodo Ramelow widerspricht nicht grundsätzlich, aber hakt ein, dass er
       großer Verfechter der Berliner Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“
       sei. „Ich finde es völlig deplatziert, dass wir zugelassen haben, dass
       Wohnungen zur Handelsware geworden sind“, sagt er, und wenn das dann
       Sozialismus heiße, dann stehe er dazu.
       
       „Der Verkauf der Wohnungen passierte an mehreren Stellen mit Hilfe der
       PDS/Linkspartei“, entgegnete Kowalczuk darauf. „Ja, das war ein Fehler“,
       gibt Ramelow zu – aber einer in Folge des „neoliberalen Umbaus des
       Staates“.
       
       Die Diskussion über den Sozialismus-Begriff bleibt der einzig große Dissenz
       zwischen den beiden auf der Bühne. Einig sind sie sich vor allem in einem:
       Das Land dürfe nicht den „Schreihälsen“ überlassen werden, den
       Obrigkeitshörigen, den Faktenverdrehern, den Faschisten und den
       Putin-Propagandisten.
       
       26 Nov 2025
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [6] https://www.stern.de/politik/heidi-reichinnek---das-in-der-ddr-war-kein-sozialismus--36021028.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Pia Wieners
       
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