# taz.de -- Kerzenlicht und Besinnlichkeit: Das Lied von Kerze und Feuer
       
       > Unser Autor hielt Kerzen nur für überflüssige Dekoration, dann ist ihm
       > ein Licht aufgegangen. Seitdem schaut er „Game of Thrones“ im flackernden
       > Schein.
       
 (IMG) Bild: Kerzenlicht kann schön sein
       
       Vor einigen Jahren reiste ich im Winter mit zwei Freunden durch Südeuropa,
       um auf verschiedenen Höfen zu arbeiten. Den Großteil des Dezembers
       verbrachten wir auf einer Finca im andalusischen Hinterland. Sie war
       abgelegen, wir hatten keinen Strom. Eine Solaranlage erlaubte es zumindest
       für eine kurze Zeit am Tag, die Deckenlampen zu benutzen, etwa beim Kochen.
       Unser Wasser holten wir zu Fuß aus einem 20 Minuten entfernten Trinkbrunnen
       im Dorf.
       
       An den dunklen Winterabenden saßen wir umringt von Kerzen in einem diffusen
       Dämmerlicht am Holzofen [1][und schauten „Game of Thrones“]. Tablet und
       Laptop gaben wir abwechselnd unserem Host mit, der im Dorf wohnte und sie
       am nächsten Tag vollgeladen zurückbrachte.
       
       Es war ein ursprünglicher, romantischer Ort. Mir kommt es sehr passend vor,
       dass sich hier mein Blick auf Kerzen verändert hat. Während ich sie zuvor
       schlicht für überflüssige Dekoration hielt, entdeckte ich in der Einsamkeit
       der Finca, dass ihr Licht der gleichförmigen Totalität elektronischer
       Leuchtmittel eine aufrichtige Lebendigkeit entgegenstellt. Kerzen sind
       [2][ein Spiel mit dem Feuer]. Ein flimmernder Mittelfinger gegen einen
       Zeitgeist des Kontrollzwangs. Manche von ihnen erschaffen beim Abbrennen
       mit bildhauerischer Präzision fragile Skulpturen. Ich verlor mich im
       Schmelzen und Tropfen des Wachses. Es war beinahe [3][eine Art Meditation].
       
       Irgendwann fanden wir in einem der Räume der Finca Wachsreste, die wir in
       ausgewaschenen Gläsern und Blechdosen nach Farben sortiert einschmolzen und
       in andere Gläser gossen, bunte Schichten übereinander. So schauten wir
       „Game of Thrones“ bald im flackernden Schein unserer Kreationen.
       
       ## Besondere Kerzen muss man jagen
       
       Die Zeit in Andalusien endete, doch die Wertschätzung für schöne Kerzen
       blieb. Als Anfang dieses Jahres meine Großmutter ihr übervolles Haus in der
       Lausitz verlassen musste, half ich beim Ausräumen. Einige ihrer Besitztümer
       landeten schließlich bei mir, so auch zwei bis oben hin volle Kisten mit
       Kerzen, zusammengesammelt aus dem ganzen Haus und den Scheunen. Viele
       stammten noch aus der DDR, originalverpackt, Retrodesigns, mit
       aufgedruckten Preisen: EVP 1,70 M.
       
       Die meisten von ihnen schmelze ich noch immer ein, wie damals in
       Andalusien, und gieße sie nach Farben sortiert in neue Formen. Nicht mehr
       in Gläser, darin brennen sie nicht so schön, sondern in Bierdosen oder auch
       in Joghurtbecher und Klopapierrollen. Wenn das Wachs abgekühlt ist, lassen
       sie sich abziehen. Das Ergebnis ist jedes Mal eine kleine Überraschung.
       
       Die schönsten Exemplare meiner Oma hingegen bleiben, wie sie sind, kommen
       nach und nach auf meine Emailletellerchen und Kerzenständer. Ihre
       Vielseitigkeit begeistert mich. Die kann man nicht erleben, wenn man Kerzen
       nur im Supermarkt kauft. Nach besonderen Kerzen muss man jagen.
       
       Immer wieder finde ich [4][auf Flohmärkten] einzigartige Kunstwerke aus
       Wachs. Sie werden billig verjubelt, so, als hätten sie keinen Wert. Dabei
       erzählen sie eine Geschichte. Manche sind vom klebrigen Staub vieler Jahre
       bedeckt, weil sie still in irgendeinem Wohnzimmer vor sich hin warteten.
       
       Es ist eine Schande, Kerzen nicht anzuzünden. Auch die schönsten von ihnen
       müssen irgendwann zu einem Tümpel aus rußpartikeldurchzogenem Wachs werden.
       Denn das Wertvolle an ihnen ist ihre Vergänglichkeit. Sie erinnern daran,
       dass gerade das Schöne endlich ist. Eine Ode an das Leben. Wie zur
       Bestätigung [5][emittieren sie Feinstaub], können Lungenprobleme befördern.
       Letztlich sind Kerzen wie Kippen. Nur besser.
       
       7 Dec 2025
       
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