# taz.de -- Telepathie als Geschäftsmodell: Die Gedanken der Anderen
       
       > Der Traum von der Gedankenübertragung ist so alt wie die Menschheit. Seit
       > 150 Jahren forscht der Mensch an Telepathie. Kommt mit KI der Durchbruch?
       
 (IMG) Bild: Gedankenlesen zu Zeiten des Schwarz-Weiß-Films – bald KI-Aufgabe
       
       Vom amerikanischen Bestsellerautor [1][Stephen King] stammt das Zitat:
       „Schreiben ist Gedankenübertragung.“ So könne man Gedanken und Gefühle von
       einem Geist zum anderen übertragen. Echte Telepathie ist das freilich
       nicht. Noch immer ist man auf das Medium angewiesen, das Buch oder E-Book,
       die Zeitschrift oder Internetseite, die Social-Media-Plattform. Doch
       möglicherweise dauert es nicht mehr lange, bis Geschichten telepathisch
       erzählt werden.
       
       So haben Forscher des Massachusetts Institute of Technology (MIT) kürzlich
       ein Gerät vorgestellt, mit dem Nutzer „still“ – das heißt, ohne zu sprechen
       – mit Computern kommunizieren können. Das „beinahe-telepathische“ Wearable,
       das in Kooperation mit dem Bostoner Start-up Alterego entwickelt wurde und
       wie eine Art Hörgerät am Kopf getragen wird, erkennt neuromuskuläre Signale
       im Gesicht, etwa kleine Lippen- und Kehlkopfbewegungen, die dann von einer
       Software in Worte konvertiert werden. So können Menschen, die an Multipler
       Sklerose (MS) oder Motoneuronerkrankungen leiden und Schwierigkeiten bei
       der Kommunikation haben, Gedanken artikulieren.
       
       Aber auch gesunde Menschen können die Technik nutzen, etwa für
       Smartphone-freie Googlesuchen oder KI-Anfragen. Man murmelt einfach etwas
       vor sich hin, schon präsentiert die KI das gewünschte Ergebnis. Kein
       Tippen, kein Klicken, kein Wischen. Nur mentale Hygiene.
       
       Der MIT-Informatiker Arnav Kapur, der schon seit einigen Jahren an der
       Technik forscht, spricht von einem „revolutionären Durchbruch“: Das Gadget
       gebe Nutzern die „Macht der Telepathie, aber nur für die Gedanken, die man
       auch teilen will“. Wer braucht noch Sprachsteuerung, wenn es
       Gedankensteuerung gibt? Alexa ist tot, es lebe die Telepathie! Die
       vollmundig verkündete „voice revolution“? Vorerst abgesagt.
       
       ## Tackernde Röhre
       
       Seit einigen Jahren tüfteln Wissenschaftler auch an
       Gehirn-Computer-Schnittstellen, die aber – im Gegensatz zu dem am MIT
       entwickelten Gerät – in der Regel auf Gehirnscans basieren. So haben
       Forscher der University of Texas 2023 einen Decoder entwickelt, der
       mithilfe von Magnetresonanztomografie (MRT) Gedanken ausliest. Während die
       Probanden in der tackernden Röhre lagen und Podcasts hörten, zeichnete das
       MRT Veränderungen im Blutfluss im Gehirn auf. Mithilfe des Sprachmodells
       GPT-1 – einer Basicversion von Chat-GPT – wurden die Hirnscans mit den
       Transkripten der Podcasts verglichen.
       
       Die KI lernte dabei, in den Hirnaktivitäten bestimmte Muster zu
       identifizieren und diese mit den Wortfolgen zu verknüpfen. In einem zweiten
       Schritt wurden denselben Versuchsteilnehmern andere Hörbuchpassagen
       ausgespielt und wieder Gehirnscans angefertigt. Nun bekam die KI lediglich
       die Scans vorgelegt und übersetzte diese in Sprache – mit erstaunlicher
       Genauigkeit: Die decodierten Texte der KI lasen sich wie eine Paraphrase
       der Originaltranskripte. Wird die Science-Fiction-Vision des
       „Gedankenlesens“ („mindreading“) mit KI Wirklichkeit?
       
       Der Traum von der Gedankenübertragung ist so alt wie die Menschheit.
       Seitdem der Wissenschaftler Frederic W. H. Myers den Begriff der Telepathie
       1882 prägte, widmen sich Forscher verschiedener Disziplinen dem Phänomen.
       In der Weimarer Republik versuchte die Polizei, im Rahmen der
       „Kriminaltelepathie“, durch die Hinzuziehung von Hellsehern Verbrechen
       aufzuklären. 1971, während der Apollo-14-Mission, führte der Astronaut
       Edgar Mitchell ein unautorisiertes Telepathie-Experiment durch: Er schickte
       vier Freunden auf der Erde den Inhalt von Zener-Karten.
       
       Die Karten zeigen Symbole wie ein Pluszeichen oder ein Quadrat und werden
       in der Parapsychologie verwendet, um übersinnliche Fähigkeiten zu testen.
       In Mitchells Versuchsreihe errieten zwei der vier Teilnehmer die
       nummerierten Karten teils korrekt, was aber mehr für den Faktor Zufall als
       die Zustellzuverlässigkeit von Gedankennachrichten spricht.
       
       ## Heraus aus der Esoterik-Ecke?
       
       Trotz zahlreicher Studien ist Telepathie nie aus der Esoterik-Ecke
       herausgekommen. Doch die Faszination an paranormalen Phänomenen, die sich
       auch in der Popkultur, etwa in TV-Formaten wie „The next Uri Geller“ oder
       dem erfolgreichen Podcast „Telepathy Tapes“ widerspiegelt, ist ungebrochen
       – und lenkt das öffentliche Interesse auf die Forschung.
       
       Auch Elon Musk tüftelt mit seinem Start-up Neuralink an
       Hirn-Computer-Schnittstellen: 2024 wurde dem querschnittsgelähmten
       Patienten Noland Arbaugh ein Chip implantiert, der Gedanken in
       Computersignale überträgt. Mit dem Chip konnte der junge Mann ein Tablet
       bedienen, Nachrichten verschicken und sogar Videospiele spielen. Es ist
       kein Zufall, dass Musk die Begriffe „Telepathy“, „Telekinesis“ und
       „Blindsight“ beim US-Patentamt markenrechtlich schützen wollte, [2][was die
       Behörde jedoch ablehnte]. Der milliardenschwere Unternehmer will nach
       eigenen Angaben in der nächsten Dekade Millionen Chips in die Köpfe der
       Menschen einpflanzen. Ein Plan, der so gruselig und dystopisch klingt, dass
       man annehmen muss, dass es hier nicht nur um die Sprechfähigkeit und
       Partizipation von Gelähmten geht, sondern auch um den transhumanistischen
       Fiebertraum des „human enhancement“: Der verchippte, upgegradete Mensch
       kann mehr Inhalte in sein Gehirn „uploaden“ und noch mehr konsumieren.
       
       Big Tech versucht schon länger, die Köpfe der Menschen zu „hacken“.
       Manipulative Designs, die in Online-Portalen Knappheiten und Eile
       simulieren, lassen willfährige Menschen auf allerlei Knöpfe drücken, obwohl
       sie dies vielleicht gar nicht wollen. Facebook weiß, was uns gefällt, und
       Spotify kennt anhand gestreamter Songs die emotionalen Gemütszustände
       seiner Nutzer. Allein: Die Informationsübertragung ist über Tastaturen,
       Displays und letztlich Sprache vermittelt – und damit langsam. Facebook hat
       daher schon vor einigen Jahren mit der Entwicklung eines Hirnimplantats
       begonnen, mit dessen Hilfe Menschen fünfmal schneller als mit dem
       Smartphone „tippen“ können – bis zu 100 Wörter pro Minute. „Jede Sekunde
       produziert unser Gehirn so viele Daten wie vier HD-Filme“, sagte
       Facebook-Gründer Mark Zuckerberg. „Das Problem ist, dass die beste Methode,
       die wir haben, um Informationen in die Welt zu übertragen – die Sprache –
       nur etwa so viele Daten übermitteln kann wie ein Modem aus den 1980er
       Jahren.“
       
       Für die radikalen Materialisten im Silicon Valley ist Sprache ein
       veraltetes technisches System. Sprachmodelle wie [3][Chat-GPT] sind daher
       nur eine Zwischenlösung für direktere Formen der Kommunikation wie etwa
       Telepathie oder „Braintyping“. Geht es nach den Tech-Vordenkern, werden wir
       in Zukunft nicht nur Texte, Bilder und Videos teilen, sondern auch – in
       einer Art „Internet of Brain“ – Gedanken und Gefühle. Die Privatsphäre wäre
       damit faktisch abgeschafft.
       
       Doch diese Vision – oder besser gesagt: Dystopie – verschalteter Menschen-
       und Elektronengehirne ist noch meilenweit von der Realität entfernt. Das
       „Braintyping“-Projekt von Facebook, in das der Meta-Konzern rund zwei
       Milliarden Dollar investiert hat, wird das Labor wohl nie verlassen. Der
       Grund: Die Fehlerrate liegt bei 32 Prozent – der Decoder interpretiert im
       Schnitt jeden dritten Buchstaben falsch. Die Gedanken sind für die KI noch
       nicht voll lesbar. Vielleicht ist dies am Ende eine beruhigende Nachricht.
       
       24 Nov 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /The-Running-Man-mit-Glen-Powell-Eine-gelungene-Neuverfilmung/!6123954
 (DIR) [2] https://www.wired.com/story/uspto-denies-neuralinks-applications-for-telepathy-telekinesis-marks/
 (DIR) [3] /!vn6116982/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Adrian Lobe
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Künstliche Intelligenz
 (DIR) Gedankensteuerung
 (DIR) Gehirn
 (DIR) Social-Auswahl
 (DIR) Schwerpunkt Künstliche Intelligenz
 (DIR) Bayern
 (DIR) Weimarer Republik
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Mozilla-Chef Mark Surman: „Wir brauchen eine Rebellenallianz gegen Big Tech“
       
       Geht Künstliche Intelligenz unabhängig von Großkonzernen? Ja, sagt Mark
       Surman, Chef der Mozilla Foundation, vor dem Digitalgipfel am Dienstag in
       Berlin.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Der mit dem Pferd funkt
       
       Im bayerischen Allgäu führt ein windiger Tiertherapeut telepathische
       Gespräche mit Nutzvieh und Journalisten.
       
 (DIR) Okkultismus in der Weimarer Republik: Die merkwürdige Else
       
       Ihr Ruf als berühmte „Kriminaltelepathin“ reichte bis nach Berlin: Vor 150
       Jahren wurde Else Günther-Geffers geboren, die als Medium arbeitete.