# taz.de -- Gedenken in Serbien: Schweigen für die Toten, Wut auf die Verantwortlichen
       
       > In Novi Sad gedenken Zehntausende des Einsturzes eines Bahnhofsvordachs
       > vor genau einem Jahr. Die Mutter eines Opfers kündigt einen Hungerstreik
       > an.
       
 (IMG) Bild: Gedenken an die 16 Toten, die vor einem Jahr beim Einsturz eines Bahnhofsvordachs ums Leben kamen
       
       Zehntausende Menschen erinnerten am Samstag an den tödlichen Einsturz des
       Bahnhofsvordachs von Novi Sad. Um 11.52 Uhr schwieg die riesige
       Menschenmenge vor dem Bahnhof für genau 16 Minuten – eine Minute für jedes
       der 16 Opfer.
       
       Wie still eine solche Menschenmenge sein kann, wenn sie gemeinsam schweigt.
       Ein Chor stimmte danach ein Trauerlied an, die Anwesenden legten unzählige
       Blumen vor dem Bahnhof nieder.
       
       Da die Studierenden, die die Gedenkfeier organisiert haben, im Vorfeld
       darum gebeten hatten, keine Flaggen mitzubringen, ähnelte der Protest mehr
       einer riesigen Trauerfeier als einer politischen Demonstration.
       
       Erst später, als Reden gehalten und Gedichte rezitiert wurden, wurde es
       politischer: Die Studentin Nađa von der philosophischen Fakultät in Novi
       Sad beklagte Verantwortungslosigkeit der Regierung. Nicht die Schwerkraft,
       sondern [1][die Korruption der Machthaber habe die Menschen getötet]: „16
       Opfer, null Verantwortung und dieselbe Botschaft – ihre Hände sind blutig.“
       
       Die pensionierte Anklägerin Jasmina Paunović appellierte an die Menschen,
       im Land zu bleiben, weil „die Sonne nirgends anders so wärmt“ – bei 25 Grad
       und Sonne im November wirkte das tatsächlich wie ein gutes Argument. Dass
       Serbien zu einem Land werden soll, in dem junge Menschen auch außerhalb der
       korrupten Strukturen der Regierungspartei SNS eine Perspektive haben, ist
       eines der Leitmotive des [2][seit einem Jahr andauernden Protests].
       
       Emotional wurde es, als Dijana Hrka, die Mutter des beim Einsturz getöteten
       Stefan Hrka, ans Mikrofon trat. Sie müsse endlich erfahren, wer ihren Sohn
       und die anderen 15 Menschen getötet habe, sagte sie und kündigte gleich
       darauf an, dafür in den Hungerstreik zu treten – direkt vor dem Rathaus in
       Belgrad. Dort, [3][wo ein Zeltlager von Anhängern des serbischen
       Präsidenten Aleksandr Vučić steht]. Dijana Hrka bekräftigte auch die
       zentrale Forderung des Protests: Vučić müsse endlich Neuwahlen ausrufen.
       
       ## Ausgefallene Züge, keine Berichterstattung
       
       Dass so viele Menschen nach Novi Sad gekommen sind, ist nicht
       selbstverständlich. Am Dienstag vor der Demonstration wurde kurzfristig
       bekannt gegeben, dass große Bauarbeiten auf fast allen Zufahrtsstraßen
       stattfinden sollen. Am Tag vor dem Protest war der Zugverkehr nach Novi Sad
       eingestellt worden – angeblich wieder wegen einer Bombendrohung.
       
       Mit derselben Begründung wurde bereits vor [4][der großen Demonstration in
       Belgrad am 15. März 2025 der Zugverkehr gestoppt]. Das System Vučić klappt
       buchstäblich die Bürgersteige hoch, um zu verhindern, dass Menschen gegen
       es protestieren können. Der Massenbewegung tut das bisher keinen Abbruch.
       
       ## Dann eben zu Fuß
       
       Aus dem rund 80 Kilometer entfernten Belgrad machten sich wie auch aus
       anderen Städten Tausende zu Fuß auf den Weg. Viele übernachteten in der
       Kleinstadt Inđija, auf Styropormatten mitten in der Innenstadt. Als sie in
       der Nacht vor der Demonstration in Novi Sad ankamen, wurden sie von einer
       Menschenmenge mit Bengalos und Feuerwerk empfangen.
       
       In den regierungsnahen Fernsehsendern – andere empfangen die meisten
       Menschen in Serbien nicht – war von alldem nichts zu sehen. Während der
       Großdemonstration zeigte der öffentlich-rechtliche Sender RTS 1 alte
       jugoslawische Filme.
       
       1 Nov 2025
       
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