# taz.de -- Arbeitsschutz und Stil: Ein Modeaccessoire aus der Fabrik
       
       > Sir William Crookes erfand versehentlich die Sonnenbrille. Deshalb steckt
       > hinter jeder eine Geschichte von Glas, Hitze und Industrie.
       
 (IMG) Bild: Sir William Crookes wollte die Arbeit in Fabriken sicherer machen und hat dabei die Sonnenbrille erfunden
       
       Als Sir William Crookes 1913 eine neuartige Schutzbrille vorstellte, war
       die Begeisterung groß. Vor allem Männer in der Industrie sollten von den
       „Crookes lenses“, die gleichzeitig Hitze und ultraviolette Strahlung
       blockierten, profitieren. Was der 1919 verstorbene Crookes aber nicht mehr
       erlebte, war die breite gesellschaftliche Anwendung in der Gesellschaft.
       Insbesondere auf den Gesichtern moderner Frauen.
       
       Gegen Anfang des 20. Jahrhunderts beobachteten britische Ärzte, dass in den
       Fabriken des Landes immer mehr Arbeiter an schweren Augenkrankheiten
       litten. Besonders [1][unter den Glasbläsern] war der Graue Star so weit
       verbreitet, dass viele ihren Beruf vorzeitig aufgeben mussten. In einem
       ähnlichen Zeitraum stieg auch die Zahl der Arbeitsunfälle an.
       
       Warum gerade Glasarbeiter so oft betroffen waren, konnte man damals nur
       vermuten. Zunächst ging man davon aus, dass die extreme Hitze der Glasöfen
       die Augenlinse mehr oder weniger verkochen lasse. Um dem nachzugehen,
       beauftragte die britische Regierung 1908 ein Komitee aus Chemikern,
       Physiologen und Augenärzten, eine Brille zu entwickeln, die die Augen vor
       Wärmestrahlung abschirmt. Treibende Kraft des Komitees wurde der damals
       schon über 80-jährige Chemiker und Physiker Sir William Crookes.
       
       Er hatte sich zu diesem Zeitpunkt längst international einen Namen gemacht.
       Mit 18 Jahren entdeckte er bei einem seiner Versuche ein Element, das
       später als Thallium bekannt wurde. Zudem forschte er an Kathodenstrahlen
       und entwickelte 1875 das „Crookes-Radiometer“, eine Glaskugel mit
       integrierter Mühle, die anschaulich macht, wie Licht in Bewegungsenergie
       umgewandelt wird. Und auch mit Glas kannte sich Crookes gut aus, weil das
       Glasblasen im 19. Jahrhundert noch Teil der chemischen Ausbildung war.
       
       Über fünf Jahre testeten er und sein Assistent James Gardiner mehr als 300
       Glasproben, die sie mit unterschiedlichen Metalloxiden einfärbten. Durch
       neu gewonnene Erkenntnisse französischer und deutscher Forscher verstanden
       Crookes und Gardiner mit der Zeit: Nicht allein die Hitze, sondern vor
       allem auch die ultraviolette Strahlung sorgt für die weit verbreiteten
       Schäden an der Linse. Sie wollten also eine Brille entwickeln, die sowohl
       Hitze als auch UV-Licht blockiert, und das, ohne dass die Umgebung farblich
       stark verfälscht wird.
       
       Im November 1913 wurde schließlich „Crookes Glass 249“ der Öffentlichkeit
       präsentiert: ein fast farbneutrales Glas, das bis zu 90 Prozent der
       Wärmestrahlung und nahezu 100 Prozent der UV-Strahlung abhalten konnte.
       
       Die erste Testperson war Crookes’ Ehefrau, die die Erfindung ihres Mannes
       mehrere Stunden lang in der Sonne getragen haben soll, „with great
       comfort“, wie ihr Mann den anderen Männern erzählte.
       
       Lady Crookes war damit vielleicht die erste Frau der Welt, die eine
       Sonnenbrille trug. Dass die Erfindung ihres Mannes nie richtig in den
       Werkhallen ankam, lag auch daran, dass sich die Industrie in den
       1920er-Jahren selbst zu verändern begann: Wo einst Menschen den glühenden
       Glasballon drehten, formten nun Maschinen die Flaschen.
       
       Veränderung gab es zu dieser Zeit auch auf der Straße: [2][Frauen verließen
       den häuslichen Raum], fuhren Auto, gingen ins Kino. Kurze Bobs ersetzten
       lange Frisuren.
       
       Und die Sonnenbrille passte perfekt zum Look.
       
       13 Nov 2025
       
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