# taz.de -- Die Wahrheit: Winzige Wasserbären mit acht Beinen
       
       > Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (228): Mikroorganismen
       > vom Feinsten, hier lesenswerte Bärtierchen genannt.
       
 (IMG) Bild: Achtung, Achtung! Einziehbare Klauen an jedem Ende seiner acht Beine, so ist es, das Bärtierchen
       
       Bisher sind 1.300 Arten von ihnen bekannt. Im Amsterdamer „Micropia Museum“
       steht gleich im Eingang ein Bärtierchen, groß wie ein Braunbär und auch so
       braun. Die 2014 eröffnete Einrichtung ist das einzige den Mikroorganismen
       gewidmete Museum – mit 25 Mitarbeitern in weißen Kitteln, die sich mit den
       Tierpflegern im Zoo nebenan vergleichen. Ihre Tiere kann man allerdings nur
       unter dem Mikroskop sehen.
       
       Das Museum befindet sich nicht zufällig in Amsterdam. Dort lebte der
       Glasschleifer Antoni van Leeuwenhoek (1632 –1723), der nicht nur das
       Mikroskop erfand, sondern auch derart fasziniert war von dem, was ihm
       dieses zu sehen ermöglichte: „Animalcules“ (kleine Tierchen), unteranderem
       Bakterien und menschliche Spermatozoen. Er machte eine Reihe von
       Entdeckungen damit. Ihm ist der erste Saal im Museum gewidmet.
       
       Die Bärtierchen nennt man auch Wasserbären. Sie sind weniger als einen
       Millimeter groß und haben acht Beine mit einziehbaren Klauen am Ende, die
       sich bei einigen Arten zu Haftscheiben umwandelten. Andere Arten können
       ihre Stummelbeine teleskopartig ineinanderschieben, ebenso ihren
       „Mundkegel“.
       
       Zum Fressen pressen sie diesen laut Wikipedia gegen die betroffene
       Pflanzenzelle oder die Haut ihrer Beute. Durch Vorschieben der
       nadelscharfen Stilette werden sie dann angestochen und der Zell- oder
       Körperinhalt ausgesaugt. Am Liebsten fressen sie Algen, einige Arten aber
       auch andere Mikroorganismen, unteranderem andere Bärtierchenarten. Auf
       „baertierchen.de“ heißt es von einer Art, die parasitär auf den
       Mundtentakeln von Seegurken lebt.
       
       Es gibt Bärtierchen in vielen Farben, ihr Blut ist farblos. Etliche
       Bärtierchen verfügen über punktförmige, rot oder schwarz gefärbte Augen.
       Sie leben überall auf der Welt, auch in der Antarktis, auf Gletschern, im
       Süßwasser, im Meer und an Land. Dort am Häufigsten im Moos, wo etwa 200
       Individuen auf einen Quadratzentimeter vorkommen können. „Oft finden sich
       unterschiedliche Arten in den verschiedenen Zonen des Mooses,“ heißt es auf
       Wikipedia.
       
       ## Todesnaher Zustand
       
       Bei Trockenheit fallen Bärtierchen in einen todesnahen Zustand („Tönnchen“
       genannt), in dem sich keine Stoffwechselaktivität mehr nachweisen lässt.
       Wenn es nass wird, wachen sie wieder auf. „Besonders in Süßwasser lebende
       Arten, aber auch solche, die Moose oder Laubstreu besiedeln“, sind
       Wikipedia zufolge „in der Lage, als Zysten bezeichnete Resistenzstadien zu
       bilden. Dazu ziehen sich die Tiere auf 20 bis 50 Prozent ihrer ehemaligen
       Körpergröße zusammen, reduzieren ihren Stoffwechsel und bauen teilweise
       auch ihre inneren Organe ab. Dieser Vorgang wird von bis zu drei
       unvollständigen, unmittelbar aufeinanderfolgenden Häutungen begleitet, an
       deren Ende das Tier von einer mehrwandigen Umhüllung aus nicht-zelligen
       Hautschichten umgeben ist.“
       
       Auf diese Weise können die Tiere über ein Jahr überleben. Sobald sich die
       Umweltbedingungen geändert haben, befreien sie sich innerhalb von sechs bis
       48 Stunden wieder aus ihrer Umhüllung. Die Zysten sind jedoch weniger
       widerstandsfähig als die Tönnchen.
       
       Bärtierchen vermehren sich sexuell, die Weibchen können aber auch ohne
       Befruchtung Eier entwickeln und es gibt Zwitter unter ihnen. Ihre
       Populationen verbreiten sich vor allem durch Wind, Wasser oder Tiere. „Zur
       aktiven Fortbewegung benötigen alle Arten einen dünnen umgebenden
       Wasserfilm. Sie nutzen dann die Beine der ersten drei Rumpfsegmente, die im
       Gegensatz zu den verwandten Stummelfüßern nicht nur paarweise, sondern auch
       einzeln bewegt werden können, um etwa über Sandkörner zu krabbeln oder in
       Mooskissen herumzuklettern.“
       
       Jungtierchen reagieren auf Lichteinstrahlung mit schnelleren Bewegungen und
       spontanen Richtungsänderungen. Die Wikipediaautoren vermuten: „Da
       Lichteinstrahlung oft mit Wärmestrahlung und nachfolgender
       Wasserverdunstung verbunden ist, hängt dieses Verhalten vielleicht mit der
       für Jungtiere bedrohlicheren Austrocknungsgefahr zusammen.“
       
       Der Psychoanalytiker Sandor Ferenczi meinte, dass wir uns vielleicht ins
       mütterliche Fruchtwasser zurückwünschen, aber eine noch viel ältere
       Austrocknungs-Katastrophe befürchten, weswegen nicht das Meer die Mutter
       symbolisiert, sondern umgekehrt die Mutter das Meer.
       
       Die Zahl der Gewebezellen der Bärtierchen ist genetisch festgelegt. Ihr
       Größenwachstum kann daher, folgt man Wikipedia, „nicht durch eine
       Vermehrung der Zellenanzahl, sondern nur durch ein Wachstum der
       individuellen Zellen selbst stattfinden. Wird (durch experimentellen
       Eingriff) nach der ersten Zellteilung eine der beiden Tochterzellen
       abgetötet, entwickelt sich dennoch ein anatomisch vollständiges und
       lebensfähiges Tier, das dann nur halb so viele Zellen enthält wie normal.“
       Einige Körperteile, wie Hinterdarmauskleidung, Beinklauen und Mundwerkzeuge
       („Stilette“) werden „regelmäßig gehäutet“. Die Stilette können vorgestreckt
       oder eingezogen werden.
       
       Bärtierchen haben keine Atmungsorgane, der Gasaustausch findet durch
       Diffusion über die Haut statt, die dazu nass sein muss. Im Mitteldarm
       findet sich eine reiche Bakterienflora, also eine Natur in der Natur.
       Unverdauliche Reste und Schadstoffe werden von der oberen Hautschicht in
       das darüberliegende Außenskelett eingebaut „und bei der nächsten Häutung
       zusammen mit dieser abgestoßen.“
       
       2020 schrieb Die Welt: „Extreme Kälte, radioaktive Strahlung,
       Sauerstoffmangel und sogar das Vakuum des Weltalls – all das kann
       Bärtierchen nichts anhaben. Doch Forscher entdeckten eine Schwäche bei den
       Winzlingen, die ihnen sogar das Leben kosten kann“: Zwar halten sie
       kurzzeitig eine Temperatur von 151 Grad Celsius aus, aber nicht auf Dauer.
       So stellte eine Studie fest, dass die Bärtierchen der Art Acutuncus
       antarcticus durch den Klimawandel sogar vom Aussterben bedroht werden
       könnten.
       
       ## Ramazzottius kretschmanni
       
       Der Berliner Tagesspiegel berichtete 2025, dass eine im Nationalpark
       Schwarzwald auf Flechten entdeckte Bärtierchenart nach dem
       Ministerpräsidenten des Bundeslandes benamt wurde. Sie heißt jetzt
       Ramazzottius kretschmanni.
       
       Auf „baertierchen.de“ heißt es, dass vom Quedlinburger Pastor Ephraim Goeze
       1773 „die erste publizierte Abbildung stammt“. Der Schriftsteller Jan Wilm
       schreibt in seinem Buch „Bärtierchen“ (2025), dass der Danziger Pastor
       Conrad Eichhorn die Wasserbären taufte. „Das Bärtierchen beobachtete er
       durch sein ‚Vergrösserungs-Glaß‘ und fertigte eine der ersten
       Illustrationen eines kleinen Wasserbären an.“ Seine Forschung publizierte
       er 1775 in dem Buch „Beyträge zur Naturgeschichte der kleinsten
       Wasserthiere, die mit blossem Auge nicht können gesehen werden und die sich
       in den Gewässern in und um Danzig befinden.“ Aber nicht nur dort.
       
       27 Oct 2025
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Helmut Höge
       
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