# taz.de -- Zugunglück von Burgrain: Fünf Tote, 72 Verletzte und eine schwere Frage
       
       > Der Prozess zum Zugunglück von Burgrain hat begonnen. Hätten die zwei
       > Angeklagten den Unfall vermeiden können?
       
 (IMG) Bild: Ein auseinandergeschnittener Waggonteil wird nach dem tödlichen Zugunglück von Burgrain vom Laster gehoben
       
       Den Rettungskräften bot sich ein Bild des Grauens, als sie am 3. Juni 2022
       zur Unglücksstelle in Burgrain kamen. In dem zur Gemeinde
       Garmisch-Partenkirchen gehörenden Dorf war gegen 12.15 Uhr ein
       Doppelstockzug bei etwa 90 Stundenkilometern entgleist. Die Waggons
       rutschten die Böschung hinab, lagen zum Teil auf der Seite. [1][Von den
       rund 120 Menschen im Zug starben fünf], 72 wurden verletzt, zwölf davon
       schwer.
       
       Eindrücklich wird das Ausmaß des Unglücks, als Staatsanwältin Sarah Bayer
       am Dienstagmorgen die Anklageschrift verliest. Rund zehn Minuten lang zählt
       sie die 77 Opfer einzeln auf, mit ihren jeweiligen Verletzungen:
       Halswirbelsäulenfraktur, Schädel-Hirn-Trauma mit Subduralhämatom,
       Beckenfraktur beidseits et cetera.
       
       Nun soll das Unglück gerichtlich aufgearbeitet werden. War es ein
       unvermeidbarer Unfall? Oder gab es eindeutige Verantwortliche? Darum wird
       es in den nächsten Monaten in dem unscheinbaren Gerichtssaal B 166 im
       Münchner Justizgebäude gehen. Laut Staatsanwaltschaft tragen die
       Angeklagten Andreas M. und Manfred Sch. einen großen Teil der Schuld.
       Fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung wirft sie den beiden
       vor.
       
       ## „Okay, ich geb’ das weiter“
       
       Rein technisch scheint der Hergang unstrittig: In einer Linkskurve am
       Unfallort waren zwei Betonschwellen so stark beschädigt – im Bahnjargon:
       Fehlerstufe 1 –, dass sie die Schienen nicht mehr halten konnten. Die
       äußere Schiene kippte, der Zug entgleiste.
       
       Andreas M. war am Vorabend des Unglücks als Fahrdienstleiter für den
       Gleisabschnitt zuständig, als ihn der Funkspruch eines Lokführers
       erreichte. „Du pass auf“, meldete der ihm. „Zwischen Farchant und Garmisch,
       Kilometer 97,7 bis 97,6, da ist einmal irgendwo so ein Schlenkerer drin,
       also da hupft der Zug richtig, also irgendwie müsste da mal einer schauen,
       ob da vielleicht ein Gleislagefehler ist oder nicht gscheit gestopft ist.“
       
       Fahrdienstleiter M. ließ seinen Kollegen wissen: „Okay, ich geb’ das
       weiter.“ Doch dies geschah nicht. M. kann sich selbst nicht erklären,
       warum. Durch mangelnde Sorgfalt, so die Staatsanwaltschaft, habe er die
       Entgleisung des Zuges ausgelöst. Hätte M. die Meldung weitergegeben, ist
       sie sich sicher, wäre der Zug nicht über die schadhafte Gleisanlage
       gefahren.
       
       Der Mitangeklagte Sch. war als Bezirksleiter Fahrbahn für die Sicherheit
       der Gleise verantwortlich. Auch ihm legt die Staatsanwaltschaft mangelnde
       Sorgfalt zur Last. Entsprechend der Richtlinien hätte er einen zügigen
       Austausch der Schwellen und gegebenenfalls eine sogenannte
       Langsamfahrstelle oder gar eine Streckensperrung veranlassen müssen.
       
       ## Angeklagte zeigen sich schuldbewusst
       
       Die beiden Angeklagten geben sich vor Gericht sehr schuldbewusst. Andreas
       M., 66 Jahre, siebenfacher Großvater, gläubiger Christ, schluchzt: „Es tut
       mir so fürchterlich leid.“ Und Manfred Sch., 58, sagt: „Ich werfe mir vor,
       dass ich nicht erkannt habe, dass die beiden gebrochenen Schwellen
       Fehlerstufe 1 aufgewiesen haben.“
       
       M.s Verteidiger Maximilian Heim will genau zwischen den Vorwürfen, die sich
       die Angeklagten machen, und der strafrechtlichen Schuld unterscheiden. Für
       diese sei eine tatsächliche Kausalität festzustellen: Hätte es etwas
       geändert, wenn sein Mandant die Meldung weitergegeben hätte? 28 Lokführer
       hätten die spätere Unfallstelle nach der Meldung noch passiert, keiner habe
       etwas gemeldet. Auch die [2][Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung
       (BEU)] schrieb in ihrem Bericht zu dem Unglück, dass die nicht erfolgte
       Weitergabe nicht unmittelbar relevant für den Unfall gewesen sei. „Es fehlt
       an der Kausalität“, sagt Heim.
       
       Jan Andrejtschitsch, Verteidiger von Manfred Sch., betont, ihm gehe es
       nicht darum, [3][strukturelle Probleme bei der Bahn als Ursache für das
       Unglück] auszumachen. Und dennoch steht bei dem Prozess auch die Frage im
       Raum, ob sich ein solches Unglück allein am Fehlverhalten einzelner
       Mitarbeiter festmachen lässt. So stand in besagtem BEU-Report, dass ein
       unzulängliches Instandhaltungsmanagement und Defizite in den
       Kommunikationsstandards das Unglück mitbedingt hätten.
       
       28 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Zugunglueck-in-Garmisch-Partenkirchen/!5858991
 (DIR) [2] https://www.eisenbahn-unfalluntersuchung.de/BEU/DE/home_node.html
 (DIR) [3] /Deutsche-Bahn/!6110291
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dominik Baur
       
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