# taz.de -- Verfassungsänderung geplant: Kiel stellt mal wieder die Gretchenfrage
       
       > Schleswig-Holsteins Landtag plant Verfassungsänderungen, die das Land
       > moderner machen sollen. Ein Bündnis fordert, einen Gottesbezug
       > aufzunehmen.
       
 (IMG) Bild: Der Landtag plant ein Geschenk für die Kirchen: Lübecker Dom mit Schleife, hier allerdings zum 850jährigen Jubiläum
       
       Kiel taz | Klimaschutz, mehr Rechte für Kinder und pflegende Angehörige,
       Schutz vor Rassismus sowie Schutz der jüdischen Kultur und der Kulturen der
       nationalen Minderheiten – ein breites Parteienbündnis im Kieler Parlament
       [1][will die Landesverfassung verändern].
       
       Doch vor der heutigen ersten Beratung des Gesetzentwurfs tauchte ein alter
       Bekannter wieder auf: Gott. Ein Bündnis von Kirchen und
       Religionsgemeinschaften will den [2][Glauben an ein höheres Wesen] in die
       Präambel schreiben. Die CDU signalisiert Zustimmung.
       
       „Gemeinsam machen wir Schleswig-Holstein moderner, sicherer,
       klimafreundlicher und zuversichtlicher“, sagte Ministerpräsident Daniel
       Günther (CDU) am Mittwoch. In seiner Regierungserklärung ging es um den
       Umgang mit dem Sondervermögen des Bundes.
       
       Aber auch die geplanten Verfassungsänderungen sollen das Land „moderner,
       sicherer, klimafreundlicher“ machen. An einem Dutzend Stellen wollen die
       Regierungsparteien CDU und Grüne gemeinsam mit FDP und SSW die aktuelle
       Fassung der Verfassung ändern. Festgeschrieben wird der Schutz der
       Artenvielfalt, den Schleswig-Holstein als erstes Bundesland als Staatsziel
       verankern will, sowie ein Diskriminierungsverbot von Angehörigen sexueller
       Minderheiten.
       
       ## Als Orientierungshilfe gedacht
       
       Es sind Themen, die von Rechtsaußen-Parteien wie der AfD kritisch gesehen
       oder in Zweifel gezogen werden. Zurzeit gehört die AfD – [3][über deren
       Verfassungsmäßigkeit und eine mögliche gerichtliche Überprüfung] derselben
       das Parlament am Mittwoch diskutierte – dem Kieler Landtag nicht an. Aber
       die Kommunalwahl-Ergebnisse der vergangenen Monate zeigen auch in
       Schleswig-Holstein wachsende Zustimmung.
       
       Ohne auf einzelne Parteien einzugehen, begründet der Gesetzesentwurf die
       geplante Verfassungsänderung damit, dass die Präambel eine „moralische und
       politische Orientierungshilfe“ darstellen soll. Dazu zählt das
       Parteienbündnis die „Verpflichtung des Staates zum nachhaltigen Handeln“,
       den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen sowie den Kampf gegen
       „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“, die „fast immer eine
       antidemokratische Stoßrichtung hat und einer Weltanschauung entspringt, die
       eng Verschwörungsmythen verbunden ist“.
       
       CDU und Grüne verfügen über eine ausreichend breite Mehrheit im Landtag,
       hatten diesen Gesetzesentwurf aber mit der Opposition abgestimmt. Die FDP
       will als eigenen Punkt noch eine verbindliche Investitionsquote einfügen,
       trägt aber die übrigen Änderungen gemeinsam mit dem SSW mit.
       
       Einzig die SPD ist nicht Teil des Bündnisses. Die größte Oppositionspartei
       hatte zwar lange mitverhandelt, stieg aber am Ende aus. Sie kritisiert
       unter anderem, dass der Verfassungsentwurf von einer digitalen
       Erreichbarkeit der Gerichte spricht – die SPD will Gerichtsstandorte und
       Verhandlungen in der analogen Welt erhalten.
       
       Zuletzt geändert wurde die Verfassung im Jahr 2014, damals regierte die SPD
       mit den Grünen und dem SSW. Lange gestritten wurde damals über die Frage,
       ob ein Bezug auf Glauben und Religion in die Präambel aufgenommen werden
       sollte. Sogar eine Volksinitiative gründete sich. Mehrere
       Formulierungsvorschläge lagen auf dem Tisch. Doch bei der entscheidenden
       Sitzung 2016 [4][unterlag Gott im Parlament knapp mit einer Stimme].
       
       Nun ist die Forderung nach einem Gottesbezug zurück. Beide christlichen
       Kirchen, die liberalen wie orthodoxen jüdischen Gemeinden sowie drei
       muslimische Vereinigungen möchten eine „Werteformel“ in die Verfassung
       aufnehmen.
       
       Diese solle keineswegs Atheist:innen ausgrenzen, sondern „religiöse und
       nicht religiöse Menschen zusammenbringen“, heißt es in einer Stellungnahme
       des Bündnisses. „Denn: Ein Gottesbezug ist kein Glaubensbekenntnis, sondern
       im Sinne einer Demutsformel Ausdruck dafür, dass der Mensch fehlbar und
       nicht das Maß aller Dinge ist.“
       
       Einzig die CDU findet diese Erklärung plausibel: „Ein Gottesbezug dient dem
       gesellschaftlichen Zusammenhalt“, sagt Anette Röttger, kirchenpolitische
       Sprecherin der Landtagsfraktion. „Werte und Grundhaltungen, das
       gesellschaftliche Miteinander, Wertschätzung und der Respekt leiten sich
       daraus ab.“ Der Bezug auf ein höheres Wesen diene der
       „Selbstvergewisserung“ und sei „eine wertvolle Demutsformel, denn es liegt
       nicht alles allein in unserer Hand“.
       
       Andere Fraktionen teilen diese Haltung nicht. Wobei Einigkeit darüber
       herrscht, dass eine erneute Abstimmung ohne Fraktionszwang erfolgen sollte.
       Doch Martin Habersaat (SPD), damals Mit-Autor eines Kompromissvorschlags,
       hält es nicht für sinnvoll, überhaupt wieder über den Gottesbezug zu
       sprechen.
       
       „Das Thema ist keines, das bei jeder Verfassungsänderung auf die
       Tagesordnung kommen sollte“, sagte er dem SHZ-Verlag. „Ich glaube, das
       hätten die Kirchen genauso gesehen, wenn der Kompromissvorschlag eine
       Mehrheit gefunden hätte.“
       
       15 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl20/drucks/03600/drucksache-20-03684.pdf
 (DIR) [2] /So-wahr-mir-Gott-helfe/!5018287
 (DIR) [3] /Debatte-um-Verbotsantrag-gegen-die-AfD/!6097384
 (DIR) [4] /Landesverfassung-von-Schleswig-Holstein/!5327450
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Esther Geisslinger
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Religion
 (DIR) Gott
 (DIR) Verfassung
 (DIR) Schleswig-Holstein
 (DIR) Daniel Günther
 (DIR) Social-Auswahl
 (DIR) Reden wir darüber
 (DIR) Kiel
 (DIR) Kirche
 (DIR) Schleswig-Holstein
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Kampagne gegen Kieler OB-Kandidadaten: Graue Wölfe an den Haaren herbeigezogen
       
       Medien werfen Kiels grünem OB-Kandidaten Nähe zu türkisch-nationalistischen
       Kreisen vor. „Ehrverletzend“ findet der die Angriffe.
       
 (DIR) 75 Jahre Grundgesetz: Verfassungsauftrag nicht erfüllt
       
       Von Beginn an sah die deutsche Verfassung vor, jahrhundertealte
       Entschädigungszahlungen an die Kirchen zu stoppen. Die Umsetzung scheitert
       bis heute.
       
 (DIR) Landesverfassung von Schleswig-Holstein: Gott muss draußen bleiben
       
       An nur einer Stimme ist der Herr gescheitert. Einen Gottesbezug wird es in
       der Verfassung Schleswig-Holsteins nicht geben.