# taz.de -- Roman „Bärenzähne“: Aus dem richtigen Holz
       
       > Im Montana von Callan Wink ist das moderne Amerika ganz weit weg.
       > Irgendwann sind es aber doch Banken statt Grizzlybären, die das Fürchten
       > lehren.
       
 (IMG) Bild: Nicht wenige Wildwest-Klischees haben in den heutigen Reservaten Montanas ihren Ursprung
       
       Eine Wildnis wie die Montanas kann man sich hierzulande eigentlich kaum
       vorstellen. Auf einer Fläche so groß wie Deutschland lebt zwischen Rockies
       und Prärie nur etwa eine Million Menschen – einsamer ist es nur in Alaska
       und im angrenzenden Wyoming und dort leben bekanntermaßen beinahe
       ausschließlich Bären.
       
       Die Gebirgszüge, die den Bundesstaat im Südwesten durchziehen, tragen
       klangvolle Namen wie Crazy Mountains, Sweet Grass Hills oder Beartooth
       Range. Es ist eine Wildnis, in der man gut verschwinden kann, wenn man
       will, in der das Amerika der Gegenwart nie vollständig Fuß fassen konnte,
       so scheint es.
       
       Nicht wenige Wildwest-Klischees haben in den heutigen Reservaten Montanas
       ihren Ursprung und befeuern Sehnsüchte vom modernen Leben ermüdeter
       Großstädter nach Autonomie, Abenteuer und Rugged Individualism. Und auch
       Callan Wink erzählt in seinem neuen Roman „Bärenzähne“ eine Story, die
       zunächst so manche arkadische Träumerei zu bedienen weiß.
       
       Die beiden ungleichen Brüder Thad und Hazen leben off the grid, abseits des
       zivilisatorischen Koordinatensystem, in einer windschiefen Holzhütte am
       nördlichen Ende des riesigen Yellowstone Nationalparks. Sie jagen Elche und
       Bären, gehen Fliegenfischen, Holzfällen und zetteln gelegentlich
       Schlägereien in örtlichen Dive-Bars an.
       
       Der Vater vererbt Schulden
       
       „Hast du schon mal drüber nachgedacht, dass die Welt untergehen könnte,
       während du hier draußen bist, und du kriegst überhaupt nichts davon mit?“,
       beschreibt Hazen diese Binnenexistenz, an der das wirkliche Amerika wie ein
       geteilter Fluss vorbeifließt. Doch mit dem Tod des überlebensgroßen Vaters
       findet das einfache Leben inmitten dieser Ansel-Adams-haften Idylle ein
       jähes Ende.
       
       Denn wie so üblich im „Land of the Free“ hinterlässt der Vater nicht nur
       eine emotionale Leere, sondern auch einen unüberschaubaren Schuldenstand,
       und schnell sind es Banken und Anwälte statt Grizzlybären, vor denen sich
       Hazen und Thad fürchten müssen. Um ihr Elternhaus nicht zu verlieren, sehen
       sich die Brüder gezwungen, im Nationalpark wildern zu gehen sowie Geweihe
       und Kultobjekte indigener Kulturen zu stehlen, die man teuer an Zugezogene
       verkaufen kann – wenn man sich nicht von Parkrangern erwischen lässt.
       
       Wink erzählt die Geschichte wie einen modernen Western: Es gibt einen
       großen Heist, berittene Widersacher, die ein oder andere Damsel in
       Distress. Es gibt neureiche Fremde, die an Öltycoons erinnern, einen
       zwielichtigen Wilderer und schöne Beschreibungen der überwältigenden
       Landschaft. Es gibt keine Handys, weder Hillary, Kamala noch MAGA, keine
       Demokraten und Republikaner, keinen 6. Januar, 7. Oktober, wohl aber den 4.
       Juli gibt es – aber auch nur, um etwas aus Jux in die Luft zu jagen.
       
       Pastoraler Eskapismus also? Nein, denn wie die Literatur von John Steinbeck
       oder [1][Cormac McCarthy] ist „Bärenzähne“ auch eine präzise Milieustudie
       und beschreibt das Schicksal der weißen Arbeiterklasse, die über den Rand
       der Gesellschaft ins Nichts gestürzt ist. Mit beinahe 90 Prozent weißer
       Bevölkerung ist kaum ein US-Bundesstaat ethnisch so homogen wie Montana.
       
       Das Ende der Montanindustrie hat große Teile der ländlichen Bevölkerung in
       wirtschaftliche Schwierigkeiten gestützt. Es sind die Menschen, die
       traditionell konservativ und meist gegen ihre eigenen wirtschaftlichen
       Interessen wählen, die für die politischen Eliten der Ost- und Westküste
       nach der Stimmabgabe unsichtbar werden und wie Thad nicht selten in die
       Opiatabhängigkeit getrieben werden.
       
       Atemlos erzählt
       
       Callan Winks Erzähltempo ist bisweilen rasant, manchmal scheint die
       Charakterzeichnung eher mit Thads schwerem Spalthammer als der feinen
       Klinge vorgenommen und manchmal fehlt den Antagonisten wie in einem Western
       von John Wayne nur noch der schwarze Hut zur korrekten moralischen
       Einordnung.
       
       Und obwohl kurz, hat die Geschichte doch Längen, ist trotz der knappen
       Sprache nicht immer ausreichend erzählökonomisch gestrafft und Wink rettet
       den Plot vielleicht das ein oder andere Mal zu oft mithilfe eines Deus Ex
       Machina (Grizzlies! Bisonschädel! Mütter!). Vielleicht hätte sich der Roman
       [2][kondensiert in eine Short Story] oder eben als längeres Erzählwerk
       weniger atemlos gelesen. Denn auch das Ende wirkt ein wenig wegerzählt, als
       hätte sich der Autor vor einem zu drastischen Schluss geniert.
       
       Eine gewisse Distanz zu den Protagonisten wird man nie richtig los und
       vielleicht hat das auch mit der Übersetzung des Texts zu tun. Thad und
       Hazen sprechen den selben Montana-Drawl wie Heath Ledger in „Brokeback
       Mountain“.
       
       Es ist Sprache, die von einer Wildnis geformt ist, die es hierzulande
       schlicht nicht gibt, die sich als atemlose Kürze und Hemdsärmeligkeit in
       die Sprache der Menschen einschreibt – die wie bei Thad und Hazen auch zur
       Sprachlosigkeit führen kann, denn die beiden kommunizieren oft mittels
       Gewalt. Erst später wird klar, dass Gewaltlinien auch die Biografien ihrer
       Eltern durchziehen, Traumata, die angedeutet werden, jedoch die Oberfläche
       der Geschichte nie recht durchstoßen.
       
       Kein Entkommen vor der Gegenwart
       
       „Bärenzähne“ ist auf eine Weise ein Abgesang auf eine Lebensweise, die zwar
       längst von ökonomischen Realitäten eingeholt wurde, jedoch immer noch über
       große Wirkmacht im politischen und kulturellen Diskurs der Vereinigten
       Staaten verfügt: der Glaube daran, dass man es auf eigene Faust schaffen
       kann – solange man aus dem richtigen Holz geschnitzt ist. „Don’t tread on
       me“ heißt das dann, oder „Sic semper tyrannis“.
       
       Callan Winks Geschichte zeigt, dass die moderne Tyrannei auch den letzten
       Fleck der Erde noch heimsuchen kann und es vor den totalen Zwängen der
       Gegenwart kein Entkommen gibt.
       
       15 Oct 2025
       
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