# taz.de -- Historiker über die Nöte der Bundeswehr: „Putin lacht sich über uns kaputt“
       
       > Drohnen, Elektronik, Personal: Wie würden Sie hunderte Milliarden in die
       > Bundeswehr investieren, Herr Neitzel? Der Militärhistoriker im Interview
       > über das „Versagen der Politfunktionäre“.
       
 (IMG) Bild: Ein Bild der Zukunft, sagt Sönke Neitzel im Interview. Die Bundeswehr muss für den Fall eines möglichen Drohnenkrieges noch aufholen
       
       [1][taz FUTURZWEI] | Herr Neitzel, Sie haben der Bundeswehr wiederholt
       Versagen attestiert. Die Soldaten könnten im Kriegsfall nur eins tun und
       das sei „mit Anstand sterben“. Gilt das auch noch nach allen Anstrengungen,
       die Bundeswehr zu ertüchtigen?
       
       Sönke Neitzel: Das war eine provokante Aussage. Aber sie würde sich
       bewahrheiten, müsste die [2][Bundeswehr] jetzt gegen [3][Russland] in den
       Krieg ziehen. Wir haben natürlich Soldaten, die kämpfen können. Aber es
       hängt eben sehr davon ab, in welchem Szenario. Ein Grenzscharmützel von 200
       grünen Männchen könnte die Bundeswehr locker bestehen. In einem modernen
       Krieg gegen Zehntausende Gegner aber würde sie sehr hohe Verluste erleiden.
       Es fehlen [4][Drohnen] und Flugabwehrsysteme, es mangelt an elektronischer
       Kampfführung und Führungsfähigkeiten. Die Russen haben derweil in den
       letzten Jahren gerade im Drohnenkrieg massiv dazugelernt.
       
       taz FUTURZWEI: Die Bundeswehr hat die Planung und Beschaffung von Drohnen
       doch auch vorangebracht, sind wir für den Ernstfall jetzt nicht besser
       aufgestellt?
       
       Neitzel: Das Heer hat erste Lieferungen von sogenannter Loitering
       Ammunition bekommen. Das sind Drohnen, die Ziele bekämpfen können. Sie sind
       eine Lehre aus dem [5][Krieg in der Ukraine]. Aber die Zahl ist noch zu
       gering. Die Soldaten müssen ja auch alle damit trainieren. Auch der letzte
       Mann muss außerhalb des Übungsplatzes mit diesen neuen Waffen umgehen
       können, und zwar in der Realität, wenn es knallt. Das sehe ich noch nicht.
       Die Folgen im Kriegsfall wären, dass sehr viele Särge zurückkämen. Das
       müssen wir natürlich vermeiden. Und die Bundeswehr versucht es auch. Aber
       die [6][SPD] hat noch vor ein paar Jahren die Einführung bewaffneter
       Drohnen politisch verhindert. Und diese Jahre fehlen uns jetzt in der
       Ausbildung von Soldaten.
       
       taz FUTURZWEI: In der Kommunikation aus dem Verteidigungsministerium heraus
       will man den Eindruck erwecken, dass seit der sogenannten Zeitenwende vor
       drei Jahren unfassbar viel passiert ist. Stimmt das?
       
       Neitzel: Wäre ich Verteidigungsminister, würde ich das auch sagen. Und ja:
       Es gibt jetzt bewaffnete Drohnen. Fünf große Heron-Drohnen wurden aus
       [7][Israel] geleast. Man hat kleinere Drohnen ins Heer eingeführt und denkt
       über Seedrohnen für die Marine nach. Es gab 100 Milliarden Euro, jetzt
       kommt noch mehr Geld.
       
       taz FUTURZWEI: Heißt?
       
       Neitzel: Ja, die Bundeswehr lebt 2025 in einer anderen Welt als am 22.
       Februar 2022. Aber wenn man es daran misst, was nötig wäre, um die
       Bundeswehr kriegstüchtig zu machen, wie Verteidigungsminister
       [8][Pistorius] so gerne sagt, dann ist es zu wenig. Das liegt ein Stück
       weit daran, dass die Bundeswehr eine Friedensarmee ist, die nie kämpfen
       musste. Und wir haben dadurch bürokratische Hindernisse, die verhindern,
       dass wir die Bundeswehr für einen Krieg fit machen, den Gott verhindern
       möge.
       
       taz FUTURZWEI: Warum geht das in Deutschland nicht voran?
       
       Neitzel: In der Ukraine findet unter dem Druck des Krieges sehr viel
       Innovation statt. Sie ersetzen mit Drohnen ihre Artillerie. Es gibt eine
       enge Verbindung vom Verteidigungsministerium zur Start-up-Szene. Der
       stellvertretende Verteidigungsminister sagte, dass sie gemeinsam überlegt
       haben, wie sie technische Innovationen, Verwaltung und Innovationszyklen
       zusammen kriegen. Wir dagegen müssen hier im Frieden signifikant
       vorankommen. Und das in einem Stadium, in dem die Koalitionen sich ein
       Stück weit blockiert haben.
       
       taz FUTURZWEI: In der Öffentlichkeit sieht man nur die Mobilisierung von
       ungeheuren Geldmengen. Nach jetziger Planung soll der Wehretat 2029 schon
       153 Milliarden Euro betragen – gegenüber heute mehr als eine Verdoppelung.
       Was und wem nützt das viele Geld?
       
       Neitzel: Das Geld braucht es für Drohnen, technische Innovationen,
       elektronische Kampfführung und die Entwicklung von Software, die von den
       USA unabhängig ist. Mit dem Geld können wir Fortschritte erzielen, aber wir
       werden wohl auch eine unendliche Verschwendung erleben. Eine marode Firma
       würde man auch erst einmal sanieren und die Strukturen überprüfen, bevor
       man investiert. Die Bundeswehr hat mehr als 50 Prozent des Personals nicht
       in der unmittelbaren Auftragserfüllung eingesetzt. Also nicht in Brigaden,
       Flottillen oder Geschwadern. Man weiß nicht, wohin mit den Berufssoldaten,
       die nicht mehr verwendet werden können, und dann schiebt man sie halt in
       die Stäbe und Ämter. Etwa 30.000 Unteroffiziere und Offiziere müssten
       eigentlich frühpensioniert werden.
       
       taz FUTURZWEI: Aber die Deutschen sollen doch mehr arbeiten und nicht
       weniger.
       
       Neitzel: Genau. Das sieht nicht gut aus, wenn ein Stabsfeldwebel früher in
       den Ruhestand geht. Aber ich sehe keinen anderen Weg, sonst verlieren wir
       die Innovation in den Streitkräften. Auch der Bundesrechnungshof hat das
       Ende Mai kritisiert. Es war eine Glattrasur für das
       Verteidigungsministerium. Das ist aber einfach verpufft.
       
       taz FUTURZWEI: [9][Der Soziologe Armin Nassehi erklärt in diesem Heft] den
       Grund, warum es auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen nicht läuft.
       Weil der Lösungsmodus überall darin besteht, noch mehr Geld reinzustecken,
       statt Strukturen zu ändern.
       
       Neitzel: Ohne Geld wird es nicht gehen, aber wir müssen ganz hart an die
       Personalstrukturen ran. Eine Verwaltung kriegt man nicht mit PowerPoints
       oder Schönreden effizienter. Personalreduzierung zwingt eine Organisation
       zu neuen Verfahren. Etwa dazu, Entscheidungen stärker nach unten zu
       delegieren. Die Preußische Armee war weniger technisiert, aber das
       Grundprinzip waren gebildete Offiziere, die Entscheidungen trafen und denen
       vertraut wurde. Die Bundeswehr hat 6.800 Stellen in der Personalverwaltung.
       Das ist gigantisch. In der Verwaltung der Wehrmacht gab es dafür 277
       Stellen. Die Personalbetreuung im Frieden ist sicherlich aufwendiger, aber
       zwei Drittel müssten eigentlich gekürzt werden. Aber dann käme der
       Beamtenbund und alle möglichen Klagen.
       
       taz FUTURZWEI: Das wird demnach nichts oder ist es trotzdem machbar?
       
       Neitzel: Der ehemalige Verteidigungsminister Manfred Wörner hat in den
       80ern gegen Proteste im Bundestag 1.100 Offiziere frühpensioniert. Es ist
       also möglich. [10][Putin] lacht sich doch über uns kaputt. Er und der
       russische Geheimdienst wissen ganz genau, wie ineffizient wir sind. Die
       Russen haben in den letzten zwölf Monaten rein quantitativ eine gesamte
       Bundeswehr neu hingestellt. Die sind sicherlich nicht so gut ausgebildet
       wie unsere Soldaten, aber Quantität ist auch eine Qualität. Wir schaffen es
       nicht einmal, von 180.000 Soldatinnen und Soldaten auf 203.000
       aufzuwachsen. Ich kenne viele, die Reserveoffiziere oder
       Reserveunteroffiziere werden wollen.
       
       taz FUTURZWEI: Und?
       
       Neitzel: Die Verwaltung tut alles, um die abzuschrecken. Das ist Kabarett.
       
       taz FUTURZWEI: Jetzt lässt sich in einer defätistischen Logik leider
       erwarten, dass mit dem ganzen Geld doch einfach mehr Personal für die
       Verwaltung eingestellt wird.
       
       Neitzel: Klar, immerhin hat das Verteidigungsministerium jetzt auch noch
       einen dritten Staatssekretär. In den 2000er-Jahren war der Richtwert 1.500
       Dienstposten für das Verteidigungsministerium. Wir haben heute 3.000.
       Zuletzt hatte Thomas de Maizière vor etwa 15 Jahren das mal reduziert. Das
       ist alles keine Rocket Science. Der politische Wille fehlt. Und das halte
       ich einfach für fatal, weil keiner mehr weiß, was die Zukunft bringt.
       
       taz FUTURZWEI: Vielleicht wäre es eine Lösung, dem Russen, wenn er kommt,
       Formulare entgegenzuhalten.
       
       Neitzel: Das wäre in der Tat abschreckend.
       
       taz FUTURZWEI: Unter welchen Bedingungen schaffen es liberale Demokratien,
       sich zu reformieren?
       
       Neitzel: Da müssen wir als Historiker sagen: meistens in sehr großen
       Krisen. Da war der New Deal vom US-amerikanischen Präsidenten Roosevelt in
       der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre. [11][Margaret Thatcher] hat in
       der großen ökonomischen Krise Großbritanniens mit ihrer neoliberalen
       Doktrin viel verändert. Im Militär war das meistens nach großen Niederlagen
       möglich; dann fangen Armeen an zu lernen.
       
       taz FUTURZWEI: Angeblich sind wir eine Wissensgesellschaft, aber ich
       bezweifle das stark. Man denke nur an Klimaforschung, die mittlerweile
       vollständig ignoriert wird. Nur in der Pandemie hatte die Wissenschaft mal
       kurz Konjunktur.
       
       Neitzel: Ja, ich war bei mancher Runde im Verteidigungsministerium in der
       Zeit von [12][Annegret Kramp-Karrenbauer] und [13][Christine Lambrecht]
       dabei. Damals ging es um [14][China], [15][Russland], Cyberfragen und
       [16][Terrorismus]. Wir haben intensiv diskutiert, aber unsere Warnungen
       hatten keine Konsequenzen. Wir sind da als Wissenschaftler kläglich daran
       gescheitert, unser Wissen zu transferieren. Ich saß neulich mit dem
       Innenminister eines Bundeslandes auf einem Podium. Es ging um Cyber- und
       Drohnenabwehr, und er dachte ernsthaft noch im Konjunktiv. Mir warf er vor,
       mich aufzuspielen. Er sagte, wenn er so reden würde wie Herr Neitzel, wäre
       er Professor und nicht Minister. Er war überzeugt, die Bevölkerung sei noch
       nicht so weit. Das ist eine grobe Unterschätzung. Doch die Bevölkerung ist
       nicht das Problem, es sind die Politfunktionäre.
       
       🐾 Lesen Sie weiter: Die neue Ausgabe unseres Magazins taz FUTURZWEI N°34
       mit dem Titelthema „Zahlen des Grauens“ [17][gibt es jetzt im taz Shop].
       
       29 Sep 2025
       
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