# taz.de -- Die Wahrheit: O, du spitzes Spitzenteil, du!
       
       > Die Wahrheit-Sommerserie „Wahre Originale“ (5): Das Geodreieck und ich.
       > Bekenntnisse einer Matheversagerin.
       
       Es gibt Menschen oder Dinge, die sind einzigartig. Wahre Originale oder
       Unikate. Die herausragen aus dem flachen Tal des grauen Alltags. Und
       dennoch nicht sofort in ihrer außergewöhnlichen Schönheit oder
       überraschenden Wirksamkeit erkannt werden. Aber dafür gibt es ja die
       Wahrheit. Die einige Exemplare dieser irisierenden Ausnahmeerscheinungen
       ins strahlende Licht der Wahrnehmung rückt. 
       
       Wann kam das Teil in mein Leben? Wann kam dieses durchsichtige Wunder aus
       Kunststoff in medias res meiner, zumindest was die niedere wie höhere
       Mathematik angeht, gescheiterten Schulkarriere? Es muss wohl gen Ende der
       damals Volksschule genannten Zeit gewesen sein.
       
       Definieren wir kurz das Sommerserienaufsatzthema hier, spicken wir, ja
       schreiben wir es dreist ab beim guten alten Wikipedia-Eintrag. Denn gibt
       man den Begriff „Geodreieck“ in das in die Jahre gekommene, weltweit so
       empfang- wie sendbare Internet ein, erscheint nicht, wie aktuell üblich,
       ein klugscheißerischer, unangenehm sich anbiedernder KI-Erklärungsvorschlag
       zum Gesuchten, sondern es steht da schlicht und technokratisch folgende
       Definition: „Das Geodreieck (eigentlich Geometrie-Dreieck) ist eine
       Kombination aus Lineal und Winkelmesser in Form eines rechtwinkligen,
       gleichschenkligen Dreiecks. Heute ist es vor allem ein Hilfsmittel für den
       Zeichen- und Mathematikunterricht, das dort speziell im Teilbereich
       Geometrie zum Messen und Zeichnen von Winkeln genutzt wird und das Zeichnen
       paralleler Geraden und einfacher Konstruktionen erleichtert.“
       
       Dieser Eintrag sagt bereits alles, und auch wieder noch gar nichts, über
       dieses spitze Spitzenteil, das im äußeren eingezeichneten Winkelrund …, ja,
       ich weiß, total falsche unmathematische Bezeichnung, bitte weghören, nicht
       weiterlesen, Herr Mathelehrer Widera vom KHG in Gräfelfing, Klasse 9a,
       damals, 1983. Obwohl, Herr Widera, mit Ihnen war es: spitze! Eine
       mathematische Null, wie ich sie war, durfte bei Ihnen mit von mir und
       anderen Klassennullen selbst gebackenem Käsekuchen die Note ausgleichen. So
       kamen wir allesamt aus dem Null- aka Schulnote-Fünf- oder -Sechs-Bereich in
       die lausige, aber versetzungssichere Zensurzahl Vier. Und lecker schmeckte
       es auch noch in Mathe.
       
       Wo waren wir stehen geblieben? Wolff alias Wölffchen ist mal wieder
       abgeschweift, wie früher auch im KHG und weiter in ihrem weiteren Leben.
       Richtig: das Geodreieck! Korrekt sagt man übrigens „äußere Winkelskala“,
       siehe oben. Meine liebste, einst langjährige Banknachbarin Susanne führte
       eins mit in der Schule samt aufgedrucktem orangefarbenem Halbkreis –
       jawoll, das ist der Kreis, der die innere Winkelskala markiert. Das war und
       ist etwas Besonderes, denn auch heute noch, so haben Recherchen unter
       modernen Schulkindern und Halbstarken ergeben, ist jener Halbkreis
       allermeist in lichtem Sonnengelb gehalten.
       
       ## Wo ist noch mal die Hypotenuse?
       
       Dass das Geodreieck ein „Hilfsmittel“ ist, stimmt zu über 100 Prozent – und
       mit sämtlichen Nachkommastellen! Aber eben auch nicht mehr als das. Denn
       wer ein Hilfsmittel benutzt, muss auch wissen, wie er oder sie es anwenden
       soll, weil: Sonst nutzt es halt nichts. Ist so, weiß ich aus dem so
       geliebten wie gehassten Matheunterricht. Wo also ist und war noch mal die
       Hypotenuse? Ja, da ist sie ja, die Schlingelin, auch längste Seite eines
       rechtwinkligen Dreiecks genannt und wohnhaft gegenüber dem allmächtigen und
       rechten Winkel! Und da, good old Kathete, von griechisch káthetos: das
       Herabgelassene, das Senkbeil, nein, Senkblei. Kathete, du jeweils kürzere
       Seite des rechtwinkligen Dreiecks, Kathete, mon amour!
       
       Wir jedoch sind hier am baldigen Ende angelangt; die 45 Minuten
       Matheschulstunde sind fast um und schon vorbei. Nur so viel noch: Die Story
       aus der euklidischen Geometrie mit dem Dreieck und dem Zeichnen paralleler
       Geraden, die kriege ich hier nicht mehr zusammen. Aber ja, es gibt auch
       windschiefe Geraden, Herr Widera.
       
       Und übrigens – ein Geodreieck mit Griff auf der Oberseite hatte ich nie.
       Viele verschmiss ich in meiner Schulzeit, einmal besaß ich allerdings ein
       Geodreieck mit Tuschenoppen. Dies Dreieck, wenn ich das heute noch hätte!
       
       10 Sep 2025
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Harriet Wolff
       
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