# taz.de -- Besseres Bauen: Stockt auf, nehmt Holz, baut um!
       
       > Der Bau-Turbo der Bundesregierung ist weder sozial gerecht noch
       > klimaschonend, sagen Verbände und Architekten. Wie dann günstigen
       > Wohnraum schaffen?
       
 (IMG) Bild: Ist die Fläche schon versiegelt, kann sie auch sinnvoll genutzt werden: das Stelzenhaus über dem Parkplatz am Dantebad in München
       
       Berlin taz | Statt das nächste Gebäude auf die grüne Wiese zu setzen, baut
       sie um: Die Architektin Annabelle von Reutern belebt leerstehende Büros,
       Fachwerkgebäude, Kaufhäuser wieder. Damit steht die 37-Jährige für jene,
       die eine neue Baukultur vordenken. Vor gut einem Jahr hat sie mit zwei
       befreundeten Kolleginnen in Berlin das Unternehmen Tomas – Transformation
       of Material and Space gegründet.
       
       Derzeit schafft sie in einer alten Honigkuchenfabrik im niedersächsischen
       Braunschweig zwölf Wohnungen. Das Gebäude stand bis auf ein Geschäft im
       Erdgeschoss und eine Wohnung leer. Durch Abriss und Beton seien viele
       Städte öde geworden, nicht wirklich lebenswert, sagt von Reutern.
       
       Schon 1965 hatte der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich in „Die
       Unwirtlichkeit unserer Städte“ die Gesichts- und Herzlosigkeit der
       Ballungsräume beklagt. Heute steigen zudem die Mieten, wird Wohnen immer
       teurer. Laut einer Studie des in Hannover ansässigen Pestel-Instituts
       fehlen in Deutschland derzeit rund 550.000 Wohnungen, vor allem
       Sozialwohnungen und anderer bezahlbarer Wohnraum.
       
       Die [1][Bundesregierung hat darum einen „Bau-Turbo“] vorgeschlagen. Eine
       Novelle des Baugesetzbuches, die den Bau neuer Wohnungen beschleunigen
       soll. Gemeinden sollen dazu bis Ende 2030 Genehmigungsverfahren straffen
       und auf Bebauungspläne verzichten dürfen. Anfang September berät darüber
       der Bauausschuss des Bundestags. Ein Bündnis aus Umwelt- und
       Sozialverbänden, Architektinnen und Architekten forderte nun am Mittwoch
       gemeinsam „Nachbesserungen oder andernfalls den Stopp des Vorhabens“. Der
       Welt sei „mit Bauen, Bauen, Bauen ohne Sinn“ nicht geholfen, sagte Barbara
       Metz von der Deutschen Umwelthilfe. So fehlten etwa eine Solardachpflicht
       oder andere klimafreundliche Vorgaben. „Das ist nicht zeitgemäß.“
       
       ## „Umbau-Turbo“ statt „Bau-Turbo“
       
       Joachim Rock vom Paritätischen Wohlfahrtsverband kritisierte, dass bei den
       Bauprojekten kein bestimmter [2][Anteil an Sozialwohnungen] verlangt werden
       soll. Sie müssten „mindestens die Hälfte“ ausmachen, bekräftigte Andrea
       Gebhard von der Bundesarchitektenkammer. Und: „In den Erdgeschossen muss es
       Geschäfte geben.“ Elisabeth Broermann von Architects for Future plädierte
       für einen „Umbau-Turbo“ – etwa von ungenutzten Dachflächen und zu großen
       Wohnungen. Das sei in wenigen Monaten machbar.
       
       Sie alle fürchten, dass vor allem in den Randbezirken von Städten und
       Gemeinden Luxuswohnungen und Einfamilienhäuser entstehen, Natur und Äcker
       darunter verschwinden. Und sie sehen Alternativen – kompakter,
       flächensparender –, die die Bundesregierung zu wenig im Blick habe. Auch
       von Reutern sagt: „Es gibt schon die guten Beispiele, die zeigen, dass es
       anders geht, schöner, klimafreundlicher, mit weniger Flächenfraß.“
       
       ## Stelzenbau in München
       
       Mit Verdichten etwa. Im hochpreisigen Münchener Stadtteil Gern hat die
       städtische Wohnungsbaugesellschaft Gewofag über dem Parkplatz eines
       Schwimmbads Sozialwohnungen gebaut. „Dante I“ heißt der Bau auf Stelzen.
       Andernorts werden ein oder zwei Geschosse direkt auf Discounter gesetzt.
       
       Eine andere Möglichkeit: Das Büro RAU Architects hat nahe Utrecht ein
       komplett demontierbares Bürogebäude zumeist aus Holz für die Triodos-Bank
       errichtet. Holz statt Stahlbeton spart Emissionen. Es bindet während seines
       Wachstums Treibhausgase, sodass diese so lange gespeichert sind, wie das
       Gebäude steht. Das Triodos-Gebäude wurde mit 165.312 Schrauben verschraubt.
       Es kann wieder auseinandergeschraubt und alle Materialien können wieder
       verwendet werden.
       
       Ein dritter Weg ist in Wuppertal-Oberbarmen zu sehen. Dort machte 2012 eine
       alteingesessene Textilfabrik dicht. Nun finden sich auf dem Gelände,
       entworfen vom Kölner Büro raumwerk.architekten, in zwei Gründerzeithäusern
       elf Wohnungen, neun davon sind gefördert, fünf auch barrierefrei. In einer
       früheren Fabrikhalle gibt es eine Kita, eine Stadtteilbibliothek, auch die
       gegenüberliegende Realschule nutzt dort Werkstatträume. Zum zukunftsfähigen
       Konzept gehört eine Photovoltaikanlage. In einem großen Garten können sich
       Anwohnende austoben.
       
       ## Frischluftschneise Rasen
       
       Grünflächen in der Stadt sind nicht nur was zum Spaß. Sie speichern Wasser,
       lindern oder verhindern Überschwemmungen, und sie regeln die Temperatur.
       Weil Asphalt und Beton Wärme speichern, können die Temperaturen in der
       Stadt nachts bis zu zehn Grad höher sein als im Umland. [3][Gärten,
       Rasenflächen wirken als Frischluftschneisen]. Ende Juli bekam das Projekt
       den Deutschen Städtebaupreis 2025.
       
       Von Reutern würde gerne im niedersächsischen Celle den 2023 geschlossenen
       Karstadt in ein Gebäude mit Datenspeicher verwandeln, das auch sozialer
       Treffpunkt ist – Server oben, überdachter Spielplatz, Radwerkstatt,
       Bibliothek, Informationszentrum zu künstlicher Intelligenz unten. Auch
       andere Architekten haben Vorschläge gemacht, um das Warenhaus zu erhalten.
       Nur: „Ein Abriss steht immer noch im Raum“, sagt von Reutern. Sie fordert,
       „das Bestehende schätzen zu lernen“.
       
       27 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Wohnungsbau-in-Deutschland/!6091610
 (DIR) [2] /Sozialwohnungen/!t5043136
 (DIR) [3] /Hitze-und-Vorsorge/!6094672
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hanna Gersmann
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Klima
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Bauen
 (DIR) Wohnen
 (DIR) Wohnraummangel
 (DIR) Alternatives Wohnen
 (DIR) Wohnen
 (DIR) GNS
 (DIR) Bauen
 (DIR) Wohnen
 (DIR) Expertenkommission
 (DIR) Rotterdam
 (DIR) Architektur
 (DIR) Bauministerium
 (DIR) Wohnen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Deutsche Umwelthilfe über Bauturbo: „Wir brauchen einen Fokus auf den Umbau“
       
       Dem Bau-Turbo fehlen soziale Vorgaben, kritisiert Barbara Metz,
       Geschäftsführerin der Deutschen Umwelthilfe. Er konterkariere zudem die
       Klimaziele.
       
 (DIR) Bundestag beschließt Baugesetz: Turbo mit zweifelhafter Wirkung
       
       Mit dem Bau-Turbo sollen Planungsprozesse beschleunigt werden. Grüne und
       Linke befürchten, dass das die Bodenspekulation anheizen wird.
       
 (DIR) Start einer Mietrechtskommission: Erst mal drüber sprechen
       
       Eine Expertenkommission für Mietrecht startet ihre Arbeit. Diskutiert
       wird, ob es Bußgelder bei Verstößen gegen die Mietpreisbremse geben soll.
       
 (DIR) Architektur in Rotterdam: Ästhetisch freche Superquader
       
       Die Kubushäuser sind selbst im architektonischen Experimentierfeld
       Rotterdam ein Hingucker. Man kann in ihnen auch behaglich übernachten.
       
 (DIR) Ausstellung über nachhaltiges Bauen: Bauturbo aus der Gemeinschaftsküche
       
       Kreislaufwirtschaft oder Superblock: In der Bundeskunsthalle Bonn zeigt die
       Ausstellung „WEtransFORM“, was die Architektur für die Bauwende parat hat.
       
 (DIR) Bauministerin Verena Hubertz: Bauen first, Bedenken second
       
       Die neue Bauministerin war früher Unternehmerin. Sie setzt auf Tempo, vor
       allem bei den Genehmigungsverfahren. Das soll die anfallenden Kosten
       halbieren.
       
 (DIR) Fragen und Antworten zur Wohnkrise: Eine riesige Baustelle
       
       Die Mieten steigen, die Zahl der Sozialwohnungen sinkt und Bauen ist sehr
       teuer. Was will die Regierung dagegen tun? Und bringt das was?