# taz.de -- Gedenktag zur Hafenexplosion im Libanon: Aus fünf Tagen wurden fünf Jahre
       
       > Vor fünf Jahren explodierten 2.750 Tonnen Ammoniumnitrat im Hafen von
       > Beirut. Angehörige der Opfer ringen bis heute um Aufklärung und
       > Gerechtigkeit.
       
 (IMG) Bild: Trauerzug für die Getöteten: am 5. August 2025 in der libanesischen Hauptstadt Beirut
       
       Beirut taz | Am Abend des 4. August 2020 geht ein Notruf in der Zentrale
       der Feuerwachstation Karantina ein. Zehn Feuerwehrleute eilen an den Hafen,
       um den Brand von Feuerwerkskörpern zu löschen. Einige Minuten später, um
       18.07 Uhr Ortszeit, detonieren 2.750 Tonnen Ammoniumnitrat im Lagerhaus 12.
       
       Joe Bou Saab war einer der Feuerwehrleute, die praktisch in den Tod
       geschickt wurden, ohne dass man ihnen mitteilte, dass sich dort explosives
       Material befindet.
       
       Fünf Jahre später steht seine Tante Nada Awad mit einem Bild des
       Verstorbenen vor dem Beiruter Hafen. „Wir haben 17 Tage lang gesucht und
       nichts von ihm gefunden, außer einer SIM-Karte“, erzählt Awad. Das Haus
       ihrer Schwester sei seitdem wie ein Schrein: „Dort schläft sie unter
       Schlafmitteln und bewahrt die Kleidung ihres Sohnes auf, die niemand
       berühren darf.“ Ihre 50-jährige Schwester sei nervlich am Ende, ihr
       Schwager könne nicht mehr arbeiten. „Beide verbringen ihre Tage damit,
       Fotos von Joe anzuschauen.“
       
       Durch die Explosion starben mindestens 250 Menschen, rund 6.000 Menschen
       wurden verletzt, knapp 300.000 verloren ihr Zuhause. Die Explosion
       zerstörte Häuser und das Gefühl von Heimat und Sicherheit.
       
       ## Fünf Jahre sind vergangen – ohne Ermittlungsergebnis
       
       Fünf Tage brauche man, hatte der damalige Ministerpräsident Hassan Diab
       angekündigt, um alles aufzuklären. Nun sind fünf Jahre vergangen, Diab ist
       lange nicht mehr Kabinettschef und selbst angeklagt wegen Fahrlässigkeit.
       Vorläufige Untersuchungen ergaben, dass er und viele hochrangige Beamte bis
       hin zum damaligen Präsident Michel Aoun über das Ammoniumnitrat informiert
       waren. Trotzdem lag die hochexplosive Fracht fast sechs Jahre lang achtlos
       im Hafen.
       
       Fünf Jahre später ist das Land der Gerechtigkeit keinen Schritt näher.
       Politische Akteure behindern die innerstaatliche Untersuchung –
       hauptsächlich die Partei und Miliz Hisbollah.
       
       Der erste Untersuchungsrichter, Fadi Sawan, lud namhafte Politiker zur
       Befragung vor. Diese beantragten die Überweisung des Falls an einen anderen
       Richter. In einem Gerichtsurteil heißt es, Sawans Haus sei bei der
       Explosion beschädigt worden und er sei daher parteiisch. Im Februar 2021
       übernahm Tarek Bitar. Er erließ Haftbefehle gegen die Ex-Minister Ali
       Hassan Khalil und Ghazi Zeiter, Verbündete der Hisbollah. Die
       Sicherheitskräfte weigerten sich, die Haftbefehle zu vollstrecken. Der
       ehemalige Generalstaatsanwalt, Ghassan Oueidat – selbst von Richter Bitar
       angeklagt – reichte Beschwerde gegen Bitar ein, wodurch die Ermittlungen
       eingestellt wurden.
       
       Nach zwei Jahren – und einem Machtverlust seitens der Hisbollah – nahm
       Bitar im Februar 2025 seine Arbeit wieder auf. Ein neuer
       Generalstaatsanwalt hob die verhängten Maßnahmen gegen ihn auf, unterstützt
       durch den neuen Präsident Joseph Aoun und Premierminister Nawaf Salam, die
       den Opfern Gerechtigkeit versprechen.
       
       ## Jedes Jahr demonstieren die Angehörigen erneut
       
       Dafür protestieren die Angehörigen heute noch. [1][Jedes Jahr ziehen sie
       vom Märtyrerplatz und der Feuerwehr-Station an den Hafen]. Mit einer
       Schweigeminute und Fotos der Verstorbenen auf einem großen Bildschirm
       gedenken sie der Toten.
       
       Am fünften Jahrestag der Tragödie gibt es erstmals so etwas wie Optimismus.
       [2][Der seit Januar regierende Nawaf Salam] war zuvor Chef des
       internationalen Gerichtshofs. Er gilt als unabhängig von Korruption.
       
       Die neue Regierung ist symbolische Schritte gegangen: Kulturminister
       Ghassan Salameh hat [3][das zerstörte Weizensilo] als historisches Denkmal
       annerkannt. Justizminister Adel Nassar und Premier Salam haben sich drei
       Mal mit den Familien getroffen. Am Vorabend des Jahrestages eröffnete Salam
       einen Gedenkpfad mit 75 Olivenbäumen vor dem Hafen, die Namen der Opfer
       tragen.
       
       Die 19-Jährige Sibelle Audi steht vor den [4][Olivenbäumen]. Bei der
       Explosion hat sie ihre Mutter verloren. „Es ist eine Wunde, die seitdem
       blutet.“ Ihre Stimme bricht. „Ich komme jedes Jahr her, um Gerechtigkeit
       für sie zu fordern, dass die verantwortlichen Beamten für dieses Verbrechen
       zur Rechenschaft gezogen werden.“ Hoffentlich werde die Regierung das Recht
       durchsetzen, sagt sie.
       
       ## „Weder Gerechtigkeit noch Reformen“
       
       Viele Angehörige sehen in Rechenschaftspflicht auch die Verknüpfung zur
       Hisbollah, die das Ammoniumnitrat für Fassbomben in Syrien gelagert haben
       soll. So auch Nada Awad:„Solange im Libanon Waffen vorhanden sind, kann es
       weder Gerechtigkeit noch Reformen geben.“ Die Hisbollah müsse ihre Waffen
       deshalb in die Hände des Staates geben. „Ich bin heute hier, um dies zu
       fordern. Damit nichts mehr explodiert, niemand mehr stirbt, niemand mehr
       seine Kinder beerdigen muss.“ [5][Am Dienstag soll das Kabinett über einen
       Plan zur Entwaffnung entscheiden.]
       
       Obwohl der Weg zur Gerechtigkeit noch lang ist, gibt es erstmals
       Optimismus. Eine Entscheidung des leitenden Staatsanwalts werde in Kürze
       erwartet, erklärten Aktivisten und Rechtsquellen dem arabischen Sender Al
       Jazeera.
       
       5 Aug 2025
       
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