# taz.de -- Das biologische Geschlecht feiern: Rosa Rauch über Kreuzberg
       
       > Gender Reveal Partys erobern auch Deutschland: Rosa für Mädchen, Blau für
       > Jungs – in einer Zeit, die Vielfalt feiert. Was steckt hinter dem Trend?
       
 (IMG) Bild: Ein Monster namens Gender Reveal Party
       
       Wenige Tage nachdem in Rom weißer Rauch aufgestiegen war, stieg über
       einigen Dächern Berlins rosafarbener Rauch in den Himmel. Anders als im
       Vatikan wurde in Berlin-Kreuzberg allerdings nicht die Entscheidung über
       einen neuen Würdenträger angekündigt, sondern ein Baby: es wird ein
       Mädchen.
       
       Es gab keine Live-Schalte. Nur ein Telefonat, bei dem ich von dem Ereignis
       erfuhr. Kurz blieb mir der Mund offenstehen. Zwar war es nicht so, dass ich
       bis dahin nie von [1][Gender] Reveal Partys – übersetzt in etwa:
       Geschlechtsenthüllungspartys – gehört hatte. Nur dachte ich, sie hätten im
       Unterschied zum Valentinstag, zu Black Friday und Halloween den Weg über
       den Atlantik nicht geschafft. Ich hielt die Idee für zu abwegig.
       
       Andererseits muss man einräumen, dass Abwegigkeit selten ein Kriterium beim
       Übernehmen US-amerikanischer Traditionen oder Feiertage war. Es ist eher
       verwunderlich, dass wir noch kein Thanksgiving feiern.
       
       Seit knapp zwanzig Jahren gehören Gender Reveal Partys in den USA, wo kaum
       eine Gelegenheit ausgelassen wird, ein beliebiges Ereignis in ein
       kommerzialisierbares Event zu verwandeln, zum Repertoire einer
       [2][familiäres Glück] verherrlichenden Gesellschaft:
       
       Die werdenden Eltern laden Familie, Freundinnen und Freunde ein, um ihnen –
       gern vor laufenden Handykameras – das [3][Geschlecht] ihres Babys
       mitzuteilen, und zwar in einem sorgfältig geplanten sowie sozial-medial
       verwertbaren Überraschungsakt. Alternativ können die Eltern sich selbst
       überraschen lassen, indem das geschlechtsenthüllende Ultraschallbild in
       einem geschlossenen Umschlag an Dritte übergeben wird, die die gesamte
       Party ausrichten.
       
       Der Überraschungsakt schließlich sieht Torten, Cupcakes, Konfettikanonen,
       Luftballons, Rauchbomben oder Feuerwerke vor, der Fantasie sind keine
       Grenzen gesetzt. Wichtig ist nur, dass das gewählte Mittel eine von zwei
       Farben hervorbringt: Rosa oder Hellblau.
       
       ## Empfänglich für US-Importe und Eventkultur
       
       Die Torte offenbart im Augenblick des Anschneidens eine hellblaue Füllung
       oder eine rosafarbene, das Feuerwerk ballert rosa Rauch in die Luft oder
       eben hellblauen. Wenn man bei Instagram das Hashtag #genderreveal eingibt,
       kann man sich die abenteuerlichsten Variationen dieser Praxis anschauen,
       Trefferzahl 4 Millionen.
       
       Dass Gender Reveals mit wachsendem Erfolg auch in Deutschland gefeiert
       werden – was sich an der beeindruckenden Vielfalt entsprechender
       Deko-Angebote bei zum Beispiel Amazon ablesen lässt –, verdankt sich im
       Wesentlichen genau jenen Social-Media-Kanälen. Es sind die Millennials, die
       mit ihnen groß geworden und jetzt im Familiengründungsalter sind.
       
       Sie scheinen empfänglich für US-Importe und Eventkultur. Ich möchte
       wirklich keine Spielverderberin sein, alle sollen unbedingt die Feste
       feiern, die sie feiern möchten!
       
       Ich frage mich nur: Waren wir als Gesellschaft nicht gerade halbwegs weit
       darin gekommen, uns mit geschlechtlicher Vielfalt auseinanderzusetzen, eine
       entsprechende Sensibilität im Umgang mit ihr zu entwickeln und stereotyp
       dargestellte Geschlechteridentitäten und -rollen infrage zu stellen?
       
       Prinzessinnen-Duschgel und Glitzerkram für Mädchen, Fußball und
       Superman-Tapeten für Jungs, also diese Zeiten sind eigentlich passé. Und
       jetzt wird mit der selbst Kinder auf die Welt bringenden Generation der
       Millennials die Zukunft wieder – rosa und hellblau?
       
       Die Kritik daran ist nicht neu. Selbst die Initiatorin der Gender Reveal
       Party, die Bloggerin Jenna Karvunidis, hat sich inzwischen von dem von ihr
       gesetzten Trend distanziert und ihn gar bereut – sie habe ein „Monster“
       geschaffen, sagte sie vor einiger Zeit dem Guardian.Nicht nur seien viele
       Gender Reveals aufgrund riskant choreografierter Abläufe vollständig aus
       dem Ruder gelaufen (einige von ihnen mit tödlichem Ausgang), sondern ein
       Kind sei „mehr als sein Geschlecht“. Das erkannte sie nicht zuletzt daran,
       dass sich eins ihrer eigenen Kinder heute als „geschlechtlich nichtkonform“
       bezeichnet.
       
       ## Anachronistischer Rückwärtssalto
       
       Diese Einsicht ist irgendwie wohltuend, sie nützt nur leider nichts. Gender
       Reveal Partys, die streng genommen Sex Reveal Partys heißen müssten, weil
       es doch eben um das biologische Geschlecht geht, nicht ums soziale, werden
       weltweit zunehmend populär. Das Kind scheint in den Brunnen gefallen zu
       sein, und zwar in einem merkwürdig anachronistischen Rückwärtssalto.
       
       Abgesehen vom Paradox der bedenkenlos reproduzierten Geschlechterklischees
       in einer Zeit der Gender-Sensibilisierung verwirren mich allerdings auch
       die damit verbundenen familiären Klischees, diese seltsam gestrig wirkenden
       Bilder von heilen, heterosexuellen Familien – sowie die kapitalistische
       Verwertung all dessen, wobei man sich natürlich fragen muss, ob die
       stärkere Schubkraft aufseiten der Anbietenden oder der Nachfragenden liegt.
       Und ob die jüngsten politischen Entwicklungen in den USA die Schubkraft
       nicht auf beiden Seiten nochmals radikal verstärken werden.
       
       Im Vergleich zu vielem, was ich im Internet gesehen habe, scheint die
       Dachterrassenparty in Berlin unspektakulär verlaufen zu sein. Es gab
       Geschenke, Getränke und Kuchen, und rosa Rauchbomben. Als Letztere gezündet
       wurden – aus meiner Sicht unbestrittener Höhepunkt –, fragte ein
       Zwölfjähriger seine Mutter: „Heißt das jetzt, dass es ein Mädchen wird,
       Mama?“
       
       Wenn diesem Jungen nicht sofort klar war, wofür die Farbe Rosa steht, gibt
       es vielleicht doch noch Hoffnung.
       
       14 Aug 2025
       
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