# taz.de -- Megatrend Tätowierungen: Diffuse Botschaften
       
       > Tattoos sind nicht nur Mainstream geworden, sie haben sich auch
       > stilistisch verändert. Tätowierte Rollstuhlfahrende werden trotzdem
       > schräg angeschaut.
       
 (IMG) Bild: Voll im Trend des Tatoo-Durcheinanders: Fußballer Leonardo Bittencourt 2023 im Bremer Weserstadion
       
       Als ich Kind war, sah ich Tätowierungen nur bei den Leuten, die vor dem
       Supermarkt mit Bierdosen herumstanden. Heute ist gefühlt jeder zweite
       Mensch angemalt, auch wenn es laut Statistik nur jeder Vierte ist. Mit
       Tätowierungen möchte man oft etwas ausdrücken: Individualität, dass man
       Bayern-Fan ist oder eine Tochter namens Stella-Allegra hat.
       
       Beliebt scheinen auch Daten von Geburts- oder Hochzeitstagen – eine
       durchaus praktische Erinnerungshilfe! Trotzdem tätowiere ich mir lieber
       nicht meine Handy- oder Krankenkassennummer. Laut Google könnte nämlich so
       ziemlich jede Zahl auch ein Code für den Geburtstag von Hitlers Katze sein
       oder „Deutschland den Deutschen“ bedeuten.
       
       Auch mit Symbolen ist Vorsicht geboten. Ob Tränen, Flügel oder nur ein paar
       Punkte: Je nachdem, ob man irgendein Gangmitglied ist, im Gefängnis
       gesessen hat oder nur ein Volltrottel ist, kann so was von „Ich bin ein
       Massenmörder“ bis hin zu „Ich habe einen scheiß Geschmack“ so ziemlich
       alles bedeuten.
       
       Man findet im Internet auch sehr lustige Fotos von Menschen, die sich
       bedeutungsschwangere Sinnspruch-Phrasen in geschwungenen Lettern inklusive
       Rechtschreibfehler haben stechen lassen. Ich frage mich, ob das nicht in
       Kombination mit einem Organspende-Bereitschafts-Tattoo vielleicht
       gefährlich sein könnte, weil man es als Nachweis für einen Hirntod
       heranziehen könnte.
       
       Egal. Ich hatte auf jeden Fall erwartet, dass die Generationen nach mir mit
       Tätowierungen nur noch in der Altenpflege Kontakt haben würden. Damit lag
       ich völlig falsch.
       
       Stilistisch hat sich aber [1][eine Menge verändert]. Der Trend scheint weg
       von großflächigen Tribals und Drachen hin zu einzelnen, scheinbar wahllos
       verteilten Strichzeichnungen überall am Körper gegangen zu sein. Es
       erinnert mich stark an die Schreibtischunterlagen, auf denen früher unser
       Festnetztelefon stand: Kunstwerke, gewachsen aus einstmals wichtigen Zahlen
       und Worten, umgeben von jeder Menge kleiner Bildchen, Mustern und
       Kritzeleien, geboren aus der Langeweile. Wahrscheinlich ist [2][der neue
       Tattoo-Stil] schlichtweg die logische Konsequenz daraus, dass wir heute mit
       unseren Telefonen praktisch verwachsen sind.
       
       Angeblich sollen viele Tattoos neben der Betonung der Persönlichkeit ihres
       Besitzers auch einen Gesprächsanstoß für die Auseinandersetzung mit
       gesellschaftlichen Themen bieten. Ich persönlich frage aber nie nach
       [3][Tattoo]-Bedeutungen – ich finde das übergriffig. Ich gehe einfach davon
       aus, dass die Arzthelferin mit der Lavalampe und dem Sponge Bob auf dem
       Unterarm Lavalampen und Sponge Bob mag. Meinem Mann habe ich vorgeschlagen,
       sich als starke persönliche Botschaft den Rücken und die Glatze mit
       Solarmodulen vollzutätowieren. Aber er will nicht.
       
       Apropos übergriffig: Tätowierte Rollstuhlfahrende bekommen anscheinend
       recht häufig mitgeteilt, dass man es wahlweise besonders cool oder
       besonders unpassend findet, dass sie als „solche Menschen“ tätowiert seien.
       
       Für „solche Menschen“ wie unseren Sohn – also mit geistiger Behinderungen –
       ist es schwierig, sich den Wunsch nach einer [4][Tätowierung] zu erfüllen.
       In den Tattoo-Studios will man dafür in der Regel eine Einwilligung der
       gesetzlichen Betreuer sehen – oft also von den Eltern. Und wenn sich Willi
       jetzt gerne einen Dönerteller für zwei Personen auf den Oberschenkel
       stechen lassen möchte, würde ich das auch nicht so toll finden. Während
       viele junge Menschen so verzweifelt auf der Suche nach Individualität sind,
       sortieren wir Kinder mit Besonderheiten schon im Vorfeld aus. Irgendwie
       seltsam.
       
       Für Angehörige von Menschen mit Downsyndrom gibt es übrigens auch ein
       spezielles Tattoo. Es zeigt drei nach oben zeigende Pfeilspitzen und nennt
       sich aus gegebenen Anlass „The Lucky Few“ – die wenigen Glücklichen.
       
       13 Sep 2025
       
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