# taz.de -- Extremismusforscher über England: „Großbritannien ist eine multiethnische Gesellschaft“
       
       > Der britische Rechtsextremismusexperte Matthew Feldman warnt:
       > Rechtsextreme nutzen lokale Ängste gezielt zur Mobilisierung gegen
       > Geflüchtete.
       
 (IMG) Bild: Lauter Protest gegen Migranten in Epping, am 27.7.2025
       
       taz: Herr Feldman, vor einem Jahr erlebte Großbritannien massive Unruhen,
       nachdem ein Jugendlicher mit Migrationshintergrund drei Mädchen mit einem
       Messer getötet hatte. Rechte Aktivisten wiegelten Proteste vor
       Flüchtlingsunterkünften auf, mobilisierten massiv in sozialen Medien. Es
       gab zahlreiche Gerichtsverfahren mit teils hohen Strafen. Ein Jahr später
       gibt es wieder solche Proteste. Wie kann das sein? 
       
       Matthew Feldman: Es gibt eine Facebook-Gruppe namens [1][„Epping Says No“,
       die zu den Protesten gegen eine Flüchtlingsunterkunft in Epping mobilisiert
       hat]. Diese Seite hat Administratoren von einer Gruppe namens „Homeland
       Party“, vergleichbar mit der NPD in Deutschland. Menschen vor Ort haben
       Sorgen – das nutzen rechtsextreme Aktivisten als Trigger. Hotels in kleinen
       Ortschaften, in denen Migranten untergebracht werden, vor allem große
       Zahlen alleinstehender junger Männer, sind wie Blut im Wasser für
       rechtsextreme Haifische. In England wie in Deutschland oder den USA suchen
       Rechtsextreme ein Mainstreamthema, an das sie andocken können. So war das
       vor einem Jahr und so ist es heute wieder.
       
       taz: Vor einem Jahr hat [2][Keir Starmer] durchgegriffen … 
       
       Feldman: Ja, und als ehemaliger Generalstaatsanwalt weiß er, wie die Justiz
       funktioniert und wie man sie beschleunigt. Das half, die Unruhen
       einzudämmen. Jetzt müssen wir sehen, ob das wieder so läuft. Je mehr Orte
       von Protesten betroffen sind, desto überforderter ist die Polizei und desto
       größer das Risiko von Unruhen.
       
       taz: Heute ist auch die rechtspopulistische Partei Reform UK von Nigel
       Farage viel stärker als vor einem Jahr. Wie wirkt sich das aus? 
       
       Feldman: Es gibt zwei mögliche Einschätzungen von Nigel Farage. Eine ist,
       dass er selbst ein Rechtsextremist ist und auf der Welle reitet. Er selbst
       sagt aber, er habe die Rechtsextremisten in die Schranken gewiesen; er
       meint damit die organisierten, gewaltbereiten Rechtsextremisten. Man mag es
       als Propaganda abtun, doch in einem Punkt hat er recht: Rechtsextremisten
       wie Tommy Robinson wollten sich Reform UK anschließen – doch Farage machte
       klar, dass solche Leute in seiner Partei nichts zu suchen haben. Es gibt
       eine klare Trennlinie zwischen rechter Parteipolitik, die auf Wahlerfolge
       abzielt, und rechter Straßenkonfrontation – und Farage zieht diese Linie
       mit deutlicher Schärfe.
       
       taz: Aber gleichzeitig hält er das Thema Migration am Laufen, mit dem die
       Rechten mobilisieren. 
       
       Feldman: Absolut. Farage sieht das Thema Migration ähnlich wie früher das
       Thema Brexit als Gewinnerthema für sich selbst. Mir wäre es lieber, die
       Trennlinie zur extremen Rechten läge etwas mehr in der Mitte. Aber es ist
       gut, dass sie überhaupt gezogen wird.
       
       taz: Wie kann Protest vor Flüchtlingsunterkünften gestoppt werden?
       
       Feldman: In einer demokratischen Gesellschaft kann man das nicht stoppen.
       Man kann Polizeischutz hinstellen, aber man kann nicht verbieten, dass sich
       jemand mit einem Plakat hinstellt und sagt, das ist meine Meinung.
       
       taz: Wie sehen Sie die weitere Entwicklung? 
       
       Feldman: Seit zehn Jahren erlebt dieses Land einen Nervenzusammenbruch
       wegen des Brexits. Dieser hat dazu geführt, dass weniger Europäer nach
       Großbritannien kommen – dafür aber deutlich mehr Zuwanderer aus anderen
       Teilen der Welt. Die Regierung kann keine Bootsflüchtlinge mehr nach
       Frankreich zurückschicken und sie hat sehr wenig finanziellen Spielraum.
       Wenn in Epping 80 Pfund (95 Euro) pro Nacht für eine Hotelunterkunft für
       Flüchtlinge bezahlt werden, fehlt der Gemeinde dieses Geld woanders. Die
       Leute können ja rechnen und sie haben auch ein Gedächtnis. Es gibt diese
       Proteste nicht im luftleeren Raum, sondern vor allem dort, wo es den
       Menschen früher besser ging, also nicht so sehr in links tendierenden
       Großstädten. Ich würde mir wünschen, dass die Regierung da etwas
       entschlossener auftritt und sagt, dass wir eine inklusive,
       [3][multiethnische Gesellschaft sind und dass wir das nicht bloß
       hinnehmen], sondern stolz darauf sind und es stärker in der Gesellschaft
       verankern wollen. Wir sollten unsere Vorzüge nicht verstecken.
       
       14 Sep 2025
       
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