# taz.de -- Ausgehen und rumstehen von Jenni Zylka: Ein angeschickerter Maulwurf ohne Babypuder
       
       > Bei eingeschränkter Sicht vertraute unsere Autorin lieber aufs Schicksal,
       > samt Biellmann-Pirouette und Erfrischungsgesuch bei Mies van der Rohe.
       
 (IMG) Bild: Puderwolke: Wenn man nichts auf dem Handy erkennen kann, schaut man auch nicht hinein
       
       Glückselig sind die Fehlsichtigen, denn ihnen begegnen ständig
       Herausforderungen! Am Freitag zum Beispiel machten meine bifokalen
       Kontaktlinsen schlapp, die es mir normalerweise ermöglichen, als einzige
       brillenlose alte Frau weit und breit aufzutreten. Schnell merkte ich, dass
       in der getrübten Wahrnehmung eine Chance liegt: Wenn man nichts auf dem
       Handy erkennen kann, schaut man auch nicht hinein. Und zum Barbesuch in
       einem Charlottenburger Live-Jazz-Etablissement passt die verschwommene
       Sicht eh besser – schließlich soll man Musik hören, nicht sehen.
       
       Eigentlich soll man sie auch nicht ablesen – vielleicht war das kleine,
       flache Rechteck, in das die Sängerin auf der Bühne bei ihrer Darbietung von
       Nat King Coles „Autumn Leaves“ immer wieder hineinschaute, um für ihr Alter
       viel zu sehnsüchtige Zeilen wie „Since you went away the days grow long/
       And soon I’ll hear old winter’s song“ zumindest einigermaßen hinzukriegen,
       einfach nur ein Tontäfelchen mit Keilschrift. Oder so ähnlich. Ich konnte
       es nicht erkennen. Als ich nach diversen „Gin Sparklers“ sicher sein
       konnte, dass die Linsen jetzt auch nicht mehr helfen würden, setzte ich
       mich glücklich wie ein angeschickerter Maulwurf in irgendeinen Nachtbus und
       vertraute auf mein Schicksal.
       
       Was ja immer die richtige Wahl ist. Für Samstag organisierte ich
       Ersatzlinsen und ließ mich am Nachmittag zu einer Partie „Kubb“,
       Wikingerschach, überreden, ein undurchsichtiges Spiel mit willkürlichen
       Regeln, das mit überdimensionalen Bauklötzchen und großen Klanghölzern
       gespielt wird, die aus dem [1][Orff’schen Instrumentarium] einer Kita für
       die Kinder von Riesen stammen. Wir spielten „Mädchen die Jungs“ und
       gewannen, nehme ich mal an. Vielleicht verloren wir auch. Der
       blitzgescheite „Wickie“ hätte sich eh etwas ausgedacht, um das alberne
       Stöckchenwerfen nicht mitmachen zu müssen.
       
       ## Zuweilen mit frischen Windeln unterwegs
       
       Am Samstagabend besuchte ich eine Soul-Tanzveranstaltung in Kreuzberg und
       wurde beim Betreten des Clubs gefragt, ob ich Babypuder mit mir führte.
       Wahrheitsgemäß antwortete ich: „Nur Kompaktpuder gegen die glänzende Nase
       …“ Aber mich wundert ja nichts mehr. Vor Jahrzehnten, als die Kinder noch
       klein waren und man darum zuweilen mit frischen Windeln unterwegs sein
       musste, hatte mal ein Türsteher nach Blick auf die Windel in meiner
       Handtasche anerkennend gesagt: „Kinky!“ Das mit dem schwer von den Böden zu
       entfernenden Babypuder hat natürlich mit der besseren Rutschbarkeit eines
       gepuderten Dance Floors zu tun, aber gut, dass mir so ein [2][Northern
       Soul]-Backdrop überhaupt zugetraut wird. Ich versuchte mich darum eifrig
       daran und legte etwas aufs Parkett, was man mit gutem Willen als zarten
       Versuch einer Biellmann-Pirouette deuten könnte.
       
       Sonntag schaute ich endlich die irre interaktive Kunst von Lygia Clark in
       meinem Lieblingsmuseum, der Neuen Nationalgalerie, an und blieb noch beim
       „Psicotropicos“-Festival auf der dortigen Terrasse hängen, bei dem
       brasilianische Musiker:innen sich die Klinke beziehungsweise die
       Pandeiro in die Hand gaben. Zum Beispiel die großartigen „Yoún“, die
       klingen, als ob [3][Erykah Badu] und Tom Jobim und Elis Regina und der
       Rapper Guru zusammen eine Handvoll „Love Childs“ aufgezogen hätten. Weil
       [4][Mies van der Rohe] damals beim Bau des schönen Hauses noch etwas an
       Schattenspendern gespart hatte, musste ich mich ein paar Mal im
       Untergeschoss abkühlen. Dort gibt es einen fensterlosen, atmosphärisch
       ziemlich gegen die Umgebung abstinkenden „Erfrischungsraum“, der sich nicht
       traut, sich „Café“ zu nennen. „Erfrischungsstäbchen“ werden dort leider
       nicht angeboten.
       
       30 Jul 2025
       
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