# taz.de -- Jahrestag der Loveparade-Katastrophe: Als wären die Opfer selber schuld
       
       > Vor 15 Jahren wurden bei einer Massenpanik 21 Menschen in Duisburg
       > getötet, Hunderte verletzt und traumatisiert. Verantwortung hat niemand
       > übernommen.
       
 (IMG) Bild: 21 Kreuze in Gedenken an die Opfer am Eingang zum Loveparade-Gelände, Duisburg, 8. September 2010
       
       Es war ein Bild der Erbärmlichkeit. Bis heute kommt bei der Erinnerung an
       diese unwürdige Pressekonferenz im Duisburger Rathaus am Tag danach
       Empörung, ja Wut hoch. Vorne saßen jene, die verantwortlich dafür waren,
       dass trotz aller Warnungen am 24. Juli 2010 die Loveparade in der
       Ruhrgebietsstadt stattgefunden hatte. Nun schauten die Herren von der Stadt
       und der Polizei sowie der Chef einer Billigfitnessstudiokette mächtig
       bedröppelt in die Kameras.
       
       Oberbürgermeister Adolf Sauerland fabulierte etwas von einem „entsetzlichen
       Unglück“ und dem „Mitgefühl aller Duisburgerinnen und Duisburger“. Was halt
       ein politischer Repräsentant so sagt, wenn er Anteilnahme demonstrieren
       will. Angesagt gewesen wäre etwas anderes. Doch weder er noch sonst einer
       der Verantwortlichen wollte für irgendetwas irgendwie Verantwortung
       übernehmen – schon gar nicht rechtlich, aber auch nicht einmal moralisch
       oder politisch. Von Minute zu Minute wurde die Stimmung gereizter im Saal.
       Die Empörung über die versammelte Unverantwortlichkeit brachte ein Kollege
       auf den Punkt: „Es sind Menschen gestorben, und Sie eiern hier herum!“
       
       Fünfzehn Jahre ist es jetzt her, dass bei einer Massenpanik auf der ersten
       und einzigen Loveparade in Duisburg 21 Menschen im Gedränge getötet und
       mehr als 650 verletzt wurden. Hinzu kamen unzählige traumatisierte
       Festivalbesucher:innen. Sie alle wurden Opfer einer fatalen Mischung aus
       Größenwahn, Inkompetenz und Verantwortungslosigkeit.
       
       Mit knapp zweijähriger Verspätung musste immerhin Oberbürgermeister
       Sauerland, der das Techno-Spektakel entgegen späterer Behauptungen auf
       Biegen und Brechen in seine Stadt hatte bekommen wollen, die Konsequenzen
       tragen. Nachdem er einen Rücktritt entschieden abgelehnt hatte, wurde der
       Christdemokrat im Februar 2012 per Bürgerentscheid mit großer Mehrheit aus
       dem Amt gejagt – was Sauerland bis heute für zutiefst ungerecht hält. Er
       ist nach wie vor überzeugt davon, es liege keine Schuld bei der Stadt
       Duisburg und schon gar nicht bei ihm. Aber bei wem dann?
       
       ## Recht ist nicht immer gerecht
       
       J[1][uristisch zur Rechenschaft gezogen wurde niemand:] Kurz vor der
       Verjährung wurde vor fünf Jahren das Strafverfahren gegen die letzten der
       ursprünglich zehn wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger
       Körperverletzung Angeklagten ohne Schuldspruch eingestellt. Allerdings
       standen ohnehin nur Befehlsempfänger vor Gericht, sechs städtische
       Mitarbeiter und vier Beschäftigte der Veranstaltungsfirma.
       Oberbürgermeister Sauerland und dem 2022 bei einem Flugzeugabsturz
       verstorbenen McFit-Manager Rainer Schaller, Veranstalter des Todesevents,
       blieb das erspart. Recht ist nicht immer gerecht.
       
       Nach so manchen Verschleierungsversuchen im Vorfeld ist es dem Landgericht
       Duisburg immerhin gelungen, in 183 Hauptverhandlungstagen minutiös die
       Entstehung und den Ablauf der Katastrophe aufzuklären. Allein die Hauptakte
       umfasste am Schluss mehr als 60.000 Seiten, hinzu kamen mehr als 1.000
       Aktenordner mit ergänzendem Aktenmaterial und knapp 1.000 Stunden an
       Videomaterial. Herausgekommen ist, was eigentlich von Anfang offensichtlich
       war: Die Katastrophe war das Ergebnis massiv schlechter Planung,
       unzulässiger Genehmigungen und fehlerhaften Polizeiverhaltens – und am Ende
       auch einer Verkettung unglücklicher Umstände.
       
       Für die Überlebenden und Hinterbliebenen hat die juristische Aufklärung
       [2][keinen großen Trost gebracht.] Am Rande einer der jährlichen
       Gedenkveranstaltungen brachte ein Vater, der seinen Sohn auf der Loveparade
       verloren hat, traurig wie verbittert das Grundproblem auf den Punkt: „Es
       gibt keine Verantwortlichen“, sagte er der taz. „Es ist, als würde man
       sagen: Die waren selber schuld.“
       
       Am [3][Karl-Lehr-Tunnel], der vor 15 Jahren zur Todesfalle wurde, sollte
       nach Redaktionsschluss am Mittwochabend zum letzten Mal die traditionelle
       „Nacht der 1.000 Lichter“ stattfinden. Auch wie es mit der für diesen
       Donnerstag geplanten jährlichen Gedenkfeier am selben Ort weitergehen wird,
       ist unklar. Die von Hinterbliebenen und Überlebenden gegründete Stiftung,
       die sie organisiert hat, löst sich auf. Die Ausrichtung einer möglichen
       neuen Veranstaltung müsste wohl künftig in städtischer Hand liegen.
       Konkrete Planungen sind jedoch bislang nicht bekannt.
       
       ## „Wahnsinnig spannendes Stück Zukunft“
       
       Immerhin soll es aber wohl die kleine Gedenkstätte am Karl-Lehr-Tunnel
       weiterhin geben. Das einstige Festivalgelände, auf dass die Raver:innen
       über eine Rampe hatten kommen sollen, steht hingegen vor einer radikalen
       Umgestaltung. Auf dem Gelände des früheren Güterbahnhofes soll bis zum Jahr
       2032 ein neues modernes Stadtquartier entstehen. Bis zu 5.000 Menschen
       sollen dort künftig wohnen können, rund 8.000 Arbeitsplätze entstehen.
       
       „Aus einem alten, brachliegenden Bahnhof wird ein dynamisches und
       wahnsinnig spannendes Stück Zukunft“, schwärmt Duisburgs heutiger
       sozialdemokratischer Oberbürgermeister Sören Link, der Nachfolger
       Sauerlands. Hoffentlich wird’s was. Die Verantwortlichen in der
       heruntergekommenen Eisenhüttenstadt des Westens hatten immer schon gerne
       hochfliegende Pläne. Die Verantwortung zu übernehmen, wenn’s dann doch mal
       wieder schiefgeht, fiel ihnen stets schwerer. Zum Glück waren die Folgen
       nicht immer so fatal wie vor 15 Jahren.
       
       23 Jul 2025
       
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 (DIR) Pascal Beucker
       
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