# taz.de -- Kenianischer Aktivist über Proteste: „Jeder getötete Mensch wird ein weiterer Weckruf sein“
       
       > Kenias junge Protestbewegung „Generation Z“ muss sich noch besser
       > organisieren, sagt Aktivist Njuki Githethwa. Dann könnte ihr ein Umbruch
       > gelingen.
       
 (IMG) Bild: „Bei den aktuellen Protesten gibt es keine Anführer“: Ausschreitungen im Nairobi im Juni
       
       taz: Herr Githethwa, [1][wir sehen dieser Tage eine enorme Masse an jungen
       Menschen, die in Kenia auf die Straße gehen]. Sie nennen sich selbst
       „Generation Z“, doch was genau verbirgt sich dahinter? 
       
       Njuki Githethwa: Es gab in Kenia in der Vergangenheit schon mal eine
       massive Protestbewegung. Die Art Protest, die wir heute in Kenia sehen, gab
       es schon in den 90er Jahren. Damals forderten die Demonstranten eine
       Mehrparteiendemokratie, eine neue Verfassung und ein Ende der Diktatur.
       Jetzt wiederholt sich quasi diese Geschichte. Aber der Unterschied ist,
       dass es bei der Protestbewegung in den 90er Jahren Oppositionsfiguren
       waren, die die Proteste anführten. Bei den aktuellen Protesten gibt es
       keine Anführer. Es ist jetzt eine ganze Generation, also Millionen von
       jungen Menschen, die sich marginalisiert fühlen und nicht wissen, wie sie
       aus der Armutsfalle herauskommen. Denn in Kenia sind fast 80 Prozent der
       jungen Leute zwischen 18 und 24 Jahren arbeitslos. Sie sind dem Alkohol
       verfallen, sie wollen auswandern – nach Europa oder in die Golfstaaten –
       oder sie lungern sie einfach nur in der Innenstadt oder in Einkaufszentren
       herum und haben nichts zu tun. Diese jungen Menschen fühlen sich von den
       Versprechungen, die ihnen von der Regierung gemacht wurden, betrogen.
       
       taz: In was für einem Land ist diese Generation Z konkret groß geworden und
       gegen welches System lehnt sie sich auf? 
       
       Githethwa: Kenia hat eine sehr ungleiche Gesellschaft. Es gibt ein paar
       Superreiche, aber die Mehrheit lebt in Armut. Die meisten wissen nicht, wie
       heute das Essen auf den Tisch kommen soll. Dies ist seit der Unabhängigkeit
       1963 der Fall, weil die Regierungen nicht in der Lage waren, die Wirtschaft
       so umzustrukturieren, dass Wohlstand gleichermaßen verteilt wird. Dann trat
       der derzeitige Präsident William Ruto bei den Wahlen 2022 mit den
       Versprechen an, er wolle die marginalisierten Menschen zu Wohlstand, Würde,
       Hoffnung und Selbstbestimmung führen. Er sagte von sich selbst, er komme
       ursprünglich aus armen Verhältnissen, er war einst Hühnerverkäufer. Diese
       aktuelle Regierung war also mit großen Hoffnungen verbunden. Aber Ruto
       konnte diese Hoffnungen nicht umsetzen. Was noch schlimmer ist: Es wurden
       Gesetze verabschiedet, die die Jugend noch mehr in die Armut hineinziehen.
       Ein Beispiel ist das Finanzgesetz, gegen das die Generation Z im Juni 2024
       auf die Straße gegangen ist. Es sah sogar vor, die digitalen Medien zu
       besteuern. Sprich, die Regierung wollte auf genau das Steuern erheben, was
       diese junge Generation nutzt, um zu überleben. Aber nichts ist gefährlicher
       als jemand, der nichts zu verlieren hat. Denn für diese Leute geht es ums
       nackte Überleben.
       
       taz: Wie haben sich die Forderungen der Protestler im Laufe des vergangenen
       Jahres verändert und was wurde durch die Proteste bereits erreicht? 
       
       Githethwa: Manche Leute denken, eine Revolution sei dann gegeben, wenn man
       innerhalb der Regierungsstrukturen Verbesserungen erzielt, also neue
       Führungskräfte einsetzt, Reformen durchführt. Soweit sind wir noch nicht.
       Aber einer der größten Aspekte unserer Revolution ist, dass die Regierung
       sehr vorsichtig geworden ist, um die jungen Leute nicht weiter zu
       verärgern. Man konnte dies klar bei den Konsultationen zum Finanzgesetz für
       dieses Jahr sehen. Das Parlament ist derzeit mit einer Bürgerbeteiligung
       konfrontiert, wie es sie bisher nicht gab. Sie muss das tun, denn jeder
       Anlass treibt Millionen von Menschen auf die Straße. Auch die Richter
       agieren jetzt vor Gericht mit großer Autorität, weil sie wissen, dass ihnen
       die Masse zur Seite steht. Es wurden also bereits kleine Erfolge erzielt.
       
       taz: Immer mehr Oppositionspolitiker schließen sich nun den Protesten an –
       oder ist das bereits Teil des Vorwahlkampfes für die Wahlen 2027? 
       
       Githethwa: Wir beobachten derzeit, wie die Opposition versucht, die Gunst
       der Stunde für ihre eigenen Interessen zu nutzen. Der Unterschied zwischen
       der Opposition und der Generation Z liegt darin, dass die Opposition zwar
       gegen das Regime ist, aber nicht gegen das System, das Präsident Ruto
       vererbt bekommen und weiter ausgebaut hat. Es gibt also etwas, das wir
       „Rutoismus“ nennen. Sie sind nicht bereit, diesen Rutoismus auszumerzen.
       Deshalb werden sie langfristig keine grundlegenden Veränderungen
       herbeiführen können. Aber für uns von der Kenya Left Alliance spielt dies
       eine zentrale Rolle. Wir sehen es als einen grundlegenden Bruch mit dem
       Status quo und vielleicht historisch gesehen auch als einen Moment, die
       Fehler zu korrigieren, die seit der Unabhängigkeit nie behoben wurden. Wir
       leben in einer Generation, die über Bildung, Chancengleichheit,
       Gesundheitsversorgung und Landverteilung spricht – also grundlegende linke
       Themen. Und ich denke, Leute wie ich und andere versuchen, diese
       durchzusetzen. Das Problem liegt darin, dass die Oppositionspolitiker die
       Agenda durcheinanderbringen.
       
       taz: Wie verhalten sich die Medien und die Zivilgesellschaft gegenüber der
       Protestbewegung – schließen sie sich an? 
       
       Githethwa: Das Regime von Ruto neigt dazu, die Menschenrechte zu
       unterdrücken, durch Polizeigewalt, Entführungen und Todesfälle in
       Polizeigewahrsam. All diese Dinge spielen jetzt eine Rolle, weswegen sich
       viele Menschenrechtsorganisationen oder die Zivilgesellschaft engagieren.
       Das Gleiche gilt für die Medien. Die Medien sind aber immer noch
       Mainstreammedien: Manche stehen auf der Seite der Opposition, andere sind
       noch unentschlossen, wieder andere wollen tunlichst vermeiden, als
       regierungsfeindlich wahrgenommen zu werden. Deswegen konzentriert sich die
       Generation Z auf die sozialen Medien: Twitter, Tiktok, Facebook, Instagram.
       Und die Generation Z versteckt sich nicht, um heimlich Plakate zu malen,
       wie wir es noch in den 1990er Jahren getan haben. Im Gegenteil, die
       Generation Z kündigt ihre Proteste auf allen Kanälen vorher an. Und es gibt
       nichts, was die Regierung dagegen tun kann.
       
       taz: Die Jugend in den umliegenden Ländern verfolgt die Protestwelle genau,
       sie haben ähnliche Probleme. Rechnen Sie damit, dass die Welle
       überschwappt? 
       
       Githethwa: Ja, in den umliegenden Ländern brodelt es ebenso gewaltig.
       [2][Es gibt massive Unzufriedenheit in Tansania] und Uganda. Doch was wir
       derzeit in Kenia erleben, kam nicht aus heiterem Himmel. Wut und
       Verzweiflung haben sich über lange Zeit aufgestaut. Der kenianische
       Widerstand ist sicherlich inspirierend für viele in Afrika und weltweit.
       Doch in Tansania oder [3][Uganda] können die Menschen nicht einfach auf die
       Straße gehen, weil die Regime bereits in der Vergangenheit so viel
       exzessive Gewalt angewandt haben, dass sie nachhallt. Man muss sich nur mal
       ansehen, was sie mit Ugandas Oppositionspolitiker Bobi Wine getan haben,
       [4][oder was mit dem Oppositionspolitiker Tundu Lissu in Tansania geschehen
       ist], der jetzt im Gefängnis sitzt. Eines Tages wird all diese aufgestaute
       Unzufriedenheit aus dem Nichts heraussprudeln und die Regierungen
       überwältigen, genau wie in Kenia.
       
       taz: Was wäre ein möglicher Ausgang für diese Bewegung? 
       
       Githethwa: Es gibt nichts, was Präsident Ruto tun kann, um den Zorn der
       jungen Menschen zu beschwichtigen. Als er im Juni sagte, er werde ein
       Dialogforum einrichten, war niemand interessiert. Denn wenn man erst einmal
       den Respekt und das Vertrauen der Bevölkerung verloren hat, kann man nichts
       mehr tun, um dieses Vertrauen zurückzugewinnen. Das beste Szenario wäre,
       wenn er eine Übergangsregierung einberuft und zurücktritt, ohne bis zu den
       Wahlen 2027 zu warten. Denn die Generation Z kann ihn nicht länger als
       Staatschef akzeptieren, selbst wenn er die Wahlen gewinnt. Allerdings
       zeichnet sich derzeit das negative Szenario ab. Denn die Leute um ihn herum
       wollen weiter an der Diktatur festhalten. Sie flüstern ihm ein, er solle
       hart durchgreifen. Und ich denke, er wird sich darauf einlassen. Aber wir
       Kenianer lassen uns nicht einschüchtern.
       
       taz: Wenn jedoch diese Revolution nicht gelingt, wie sehen Sie dann die
       Zukunft des Landes? In vielen afrikanischen Ländern sind Regime aus
       Massenprotesten noch autokratischer hervorgegangen. 
       
       Githethwa: Deshalb müssen selbst die, die an grundlegende Veränderungen im
       Land glauben, sehr gut organisiert sein. Andernfalls könnte unsere
       Regierung – wie in Südsudan, in Sudan, in Mosambik und anderswo – in einem
       Gewaltsystem oder im Chaos untergehen, die Revolution quasi verschlingen.
       Ich denke jedoch, dass jetzt ein guter Zeitpunkt für uns ist, eine neue
       Ordnung in Kenia zu schaffen. Das gibt uns allen Hoffnung.
       
       taz: Die Massenproteste haben innerhalb von einem Jahr über 100 Todesopfer
       gefordert. Ist die Generation Z bereit, ihr Leben zu riskieren? 
       
       Githethwa: Wir sind uns alle einig, dass Opfer gebracht werden müssen.
       Manche werden ins Kreuzfeuer geraten. Und ich denke, einige haben
       akzeptiert, dass der Tod in diesem Prozess unvermeidlich sein könnte. Doch
       all diese Opfer lösen viele weitere Aufstände aus. Zum Beispiel wurden die
       Proteste in den vergangenen Wochen einberufen, um der Menschen zu gedenken,
       die gestorben sind. Jeder Mensch, der getötet wird, wird ein weiterer
       Weckruf sein.
       
       17 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Protesttag-in-Kenia/!6098624
 (DIR) [2] /Politische-Verfolgung-in-Tansania/!6085871
 (DIR) [3] /Schutz-fuer-Kuenstlerinnen-in-Uganda/!6078087
 (DIR) [4] /Politische-Verfolgung-in-Tansania/!6085871
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simone Schlindwein
       
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